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December 7, 2018
Auf der Suche nach dem richtigen Augenblick: Michael Santeler
Sophie Huber
Die Kunst als einzige Möglichkeit, die Zeit einzufangen, einzufrieren und festzuhalten. Einzelne Augenbliche mithilfe der Kunst wieder heranzuziehen und es dadurch vielleicht sogar zu schaffen, in der Zeit zu reisen. Zumindest gedanklich. Die Fotografie als Zeitmaschine und der Fotograf als Machthaber über die Zeit. Michael Santeler, Street-Photographer würde wahrscheinlich nicht soweit gehen und sich selbst als einen Herrscher über die Zeit bezeichnen. Dennoch liebt er es, mit seiner Kamera für ihn besondere Augenblicke festzuhalten und dadurch beim Betrachter einen ganz neuen einzigartigen Gedanken zu schaffen. Also nicht den Augenblick zurückzuholen, sondern aus dem Augenblick einen neuen, für jeden individuellen Gedanken zu kreieren.
Im Oktober 2018 präsentierte der Street-Photographer in der Bäckerei in Innsbruck eine Fotoausstellung: „Augenblicke“. Für den vielseitigen Künstler sind spontane Begegnungen, interessante Gesichter und der richtige Augenblick, Anlass zur Kunst. franzmagazine hat Michael Santeler einige Fragen gestellt.
Zuerst einmal zu dir: Wer ist Michael Santeler? Der Mensch, der Künstler.
Ich bin 34 Jahre alt und lebe mit meiner Lebensgefährtin in Innsbruck. Zu mir als Mensch fällt mir als erstes ein, dass mir Ruhe und Gelassenheit sehr wichtig sind. Man könnte fast schon sagen, dass ich introvertiert bin. Interessanterweise ändert sich das, wenn ich fotografiere oder Musik mache – da versuche ich aus mir herauszugehen, weil sich oft nur an der (überschrittenen) Grenze der Komfortzone das beste Ergebnis erzielen lässt. Zwischen dem Menschen „Michael Santeler“ und dem „Künstler“ (wenn ich mich so nennen darf) ist nur ein schmaler Grat – das zeigt sich z. B. vor allem, wenn ich durch die Stadt gehe und mir etwas ins Auge sticht – dann ist die Kamera sofort gezückt und der „Foto-Modus“ aktiviert. Ansonsten lässt sich über mich sagen, dass ich gerne mit offenen Augen durch die Welt gehe – und das im wahrsten Sinne des Wortes, da ich gerne reise.
Auf deiner persönlichen Homepage steht: I’m a passionate photographer from being a musician and a jurist. Wie darf man das verstehen? Welcher Hintergrund steckt dahinter?
Mit zehn Jahren habe ich begonnen Gitarre zu spielen, habe dann bald auf E-Gitarre gewechselt und bin seither der Musik treu geblieben. So habe ich z. B. neben meinem Jus-Studium auch am Konservatorium Jazz-Gitarre studiert. Die Musik stand in dieser Zeit immer im Vordergrund und ich habe dann auch im beruflichen Alltag als Jurist gemerkt, dass ich mehr meine kreative Seite ausleben möchte. Eine Zeit lang war ich daher hauptberuflich Musiker. Während dieser Zeit habe ich zusätzlich visuelle Medien wie Film und Fotografie für mich entdeckt. Um meinem immer größer werdenden Interesse an diesen Medien nachgehen zu können, habe ich einen „normalen Day-Job“ und widme mich in meiner Freizeit vor allem leidenschaftlich der Fotografie. Diese Trennung empfinde ich als sehr befreiend, da es mir so möglich ist, meine eigenen Projekte stressfrei umzusetzen.
Wie bist du zur Fotografie gekommen?
Ein befreundeter Musikerkollege hat ein Musikvideo für seine Band mit einer digitalen Spiegelreflexkamera gedreht. Vom Resultat war ich so beeindruckt, dass ich mir sofort eine ähnliche Kamera gekauft habe – allerdings um primär zu filmen. Ich hatte bis dahin weder in Fotografie noch Film Erfahrung, habe mich aber von Anfang an bei diesen Medien äußerst wohl gefühlt. Man kann zwar viel von YouTube-Tutorials oder Ähnlichem lernen, aber man wird nur besser, wenn man so viel wie möglich aktiv übt. Um mein Auge zu schulen, habe ich dann vermehrt begonnen zu fotografieren. Im Zusammenhang mit Instagram – wodurch man auch immer einen kreativen Output hat – habe ich mir zum Ziel gesetzt, täglich zu versuchen mindestens ein gutes Foto zu machen. Ohne es so richtig zu merken, hat sich dann mein Fokus von Film auf Fotografie verschoben.
Du bist Street-Photographer: Was reizt dich daran?
Das Besondere an Street-Photography ist für mich, dass man sie immer ausüben kann und es eigentlich nichts gibt, was einen davon abhält. Zu jeder Uhrzeit, an jedem Ort, bei jedem Wetter gibt es interessante Momente. Bei dieser Form der Fotografie kann ich aufgrund der Unabhängigkeit von äußeren Umständen meinen kreativen Drang am besten ausleben.
Außerdem ist natürlich die Interaktion mit anderen Menschen immer sehr spannend. Je nach Lust und Laune kann man z. B. abstraktere Fotos machen oder auch sehr direkt an die Person heran gehen und einfach schauen, wie sich die Situation entwickelt. Ich weiß nie, was auf mich zukommt, wenn ich eine Person fotografiere – und dadurch bleibt die Street-Photography immer abwechslungsreich und spannend.
Dein schönstes Foto? Dein Lieblingsmotiv?
Als ich in Paris war, habe ich in der Metro bzw. an den Metro-Stationen fotografiert. Ich war fasziniert, wie viele unterschiedliche Menschen hier dasselbe machen – auf die nächste Metro warten – und habe diese Wartezeiten eben für Fotos genutzt. Dabei ist mir dann eine Frau besonders ins Auge gestochen, die ich einfach fotografieren musste. Ihr Aussehen war sehr extravagant mit Riesenbrille und riesigen Halsketten. Ich bin dieser Frau sogar für ein Foto nachgerannt – und als sie dann für das Foto auch noch ein Riesen-Handy zum Posen zückte, war die Situation perfekt und mein bis dato schönstes Foto im Kasten.
Was interessiert dich besonders an der Portraitfotografie?
Portraits, besonders im Bereich Street-Photography, können manchmal sehr ehrlich, intensiv und authentisch ausfallen. Besonders wenn man sich nicht kennt, habe ich den Eindruck, dass die noch vorhandene Distanz dazu führt, dass die fotografierten Personen eine sehr persönliche Seite von ihnen preisgeben. Außerdem ist die Erfahrung auf fremde Menschen zuzugehen und sie um ein Foto zu bitten sehr positiv. Ich finde ja immer etwas interessant an meinem Fotomotiv und teile das auch in Form eines Kompliments mit. Auch wenn dann jemand nicht fotografiert werden möchte, bleibt doch ein gutes Gefühl bei der Person und auch bei mir zurück.
Du fotografierst vor allem auch in Schwarz-Weiß. Warum? Welchen Vorteil siehst du darin?
Dass ich Schwarz-Weiß-Fotografie für mich entdeckt habe, ist daraus entstanden, dass ich auch analog fotografieren und diese Filme dann selbst entwickeln wollte. Ich dachte mir, dass es leichter sein müsste, schwarz-weiß zu entwickeln. Ich habe dann zahlreiche Rollen von Schwarz-Weiß-Filmen verschossen und entwickelt. Beim Auseinandersetzen mit diesen Bildern habe ich dann festgestellt, dass durch das Fehlen der Farben nicht abgelenkt wird und man viel bewusster auf das Motiv eingeht.
Eine deiner Ausstellungen nennt sich „Augenblicke“. Warum?
In der Ausstellung „Augenblicke“ habe ich Auszüge aus meinen Serien „Innsbruck Noir“, „Metro Portraits“ und „Street-Portraits“ gezeigt. Der gemeinsame Nenner dieser Serien ist der Augenblick – bei „Innsbruck Noir“ der Augenblick, in dem das Spiel aus Licht und Schatten stimmt, bei den beiden anderen Serien jeweils der Augenblick, bei dem zufällig die fotografierte Person und ich zur selben Zeit am selben Ort sind und zudem der Zeitpunkt zum Fotografieren gepasst hat. Allen bei dieser Ausstellung gezeigten Fotos ist also gemeinsam, dass sie nur in diesem einen Augenblick gemacht werden konnten.
Wann ist bzw. wird ein Augenblick besonders schön?
Es kann schon mal vorkommen, dass ich ein paar Stunden unterwegs bin und ich das Gefühl habe, nur schlechte Fotos gemacht zu haben. Die Geduld und die Motivation sind dann schon mehr oder weniger am Ende – und dann kommt meistens doch dieser eine Augenblick, wo man gleich merkt, dass alles stimmt und ein Foto jetzt gut wird.
Ist die Fotografie eine Möglichkeit einen Augenblick festzuhalten? Vielleicht sogar die einzige Möglichkeit die Zeit stillstehen zu lassen bzw. einzufangen?
Mit der richtigen Herangehensweise kann man natürlich versuchen, etwas mit einem Foto so originalgetreu wie möglich festzuhalten. Das Interessante ist jedoch, welches subjektive Gefühl ein Foto beim Betrachter hinterlässt: Ein und dasselbe Foto kann nämlich bei unterschiedlichen Personen jeweils verschiedene Emotionen auslösen – ich vertraue aber am Liebsten dann doch auf meine Erinnerung, um einen Augenblick für mich tatsächlich festzuhalten.
Fotos: Michael Santeler
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