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July 25, 2017
Schwanken + Kippen: Nicolò Degiorgis im Plessi Museum am Brenner
Greta Stampfer
„Und wenn der Horizont keine Grenze wäre?“, mit dieser Frage eröffnet der Fotograf und Gastkurator des Museions, Nicolò Degiorgis, seine vierte Satellitenausstellung der großen Themenausstellung „Hämatli & Patriæ“. Eine Annäherung an den Themenkomplex Grenzen, deren Brisanz durch den Ausstellungsort, das Plessi-Museum auf dem Brennerpass, unterstrichen wird.
Grenzen. Ein Begriff, der Endgültigkeit vermittelt. Ein Abschluss. „Meine Grenze ist erreicht“ – ein Gefühl, das individuell und subjektiv ist. Diese Subjektivität kann sich auch auf nationale Grenzen beziehen: Politische Umstände lassen Grenzen aufheben oder verschieben. Aber auch verstärken. Ein Wandel, der politisch geprägt ist, wie auch die Grenze am Brenner zeigt: Einst trennende Mauer zwischen Italien und Österreich, dann durch das Schengen-Abkommen Symbolbild für die Verbindung des mediterranenen und mitteleuropäischen Raum. In den letzten Jahren rückte die Brennergrenze insbesondere durch die Flüchtlingsthematik in den Vordergrund. Die Medien entwickelten ein neues Symbolbild für den Brenner: „Das Schwanken des Konzepts ‚Europa‘“, wie es der technische Generaldirektor der Brennerautobahn AG, Ing. Carlo Costa beschreibt.
Deshalb ist es nur logisch, dass sich nun die Kunst der Thematik annimmt: Vom 25. Juli 2017 bis zum 15. September 2017 laufen im Plessi Museum am Brenner Nicolò Degiorgis Ausstellungen, die sich diesem Kippen und Schwanken annehmen. Der Bozner Künstler eignet sich die Elemente Meer und Himmel an und verdreht sie. Ein Kippen lässt die beiden Komponenten schwanken und die Grenze des Horizonts verschiebt sich – eine Anspielung auf territoriale Grenzen? „Und wenn der Horizont keine Grenze wäre?“, lautet die Frage, die sich Nicolò Degiorgis stellt. Damit diese Frage nicht unbeantwortet bleibt, wird die Ausstellung von Postkarten begleitet, welche den BesucherInnen der Ausstellung die Möglichkeit geben, ihre Gedanken zu dieser Frage zu formulieren – ein Versuch, die Meinung des Publikums zur öffentlichen Diskussion mit dem Künstler verschmelzen zu lassen. Nicolò Degiorgis stellt das Umkippen auch in seinem neuen Buch „blue as gold“, das vom 25. Juli bis 10. September 2017 in der Museion Passage vorgestellt wird, in den Vordergrund. Dabei werden Bilder von Flüchtlingsbooten, die der Künstler im Internet gefunden hat, ins Negativ getaucht: Aus dem Blau des Meeres wird ein Gold. Das Kippen von Positiv in Negativ der Fotografie als Stil- und Bruchmittel, wobei das Positiv dem Negativ gegenübergestellt wird – ganz im Sinne der dialektischen Formsprache.
Neben der Fotografie stellt der Fotograf und Gastkurator ein weiteres Medium in den Fokus: Das Bewegtbild. Ein Video zeigt die Überquerung des englischen Kanals, von Calais nach Dover. Wiederum wird die Überquerung der Grenze in den Mittelpunkt gestellt, jedoch wird sie um die europäische Ebene erweitert: Das Video zeigt Flüchtlinge, die sich auf einem unbeständigen Weg befinden – zwischen französischer und englischer Grenze, eine Art Niemandsland. Parallelen zur Brennergrenze ziehen sich durch das gesamte Projekt von Nicolò Degiorgis – nur schlüssig, dass deshalb das Plessi Museum am Brennr die Ausstellungen beherbergt.
Foto: Elisa Cappellari
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