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January 18, 2017
„Die inneren Augen öffnen…“ Carina Riedl über „Immer noch Sturm“
Kunigunde Weissenegger
„Eine Heide, eine Steppe, eine Heidesteppe, oder wo. Jetzt, im Mittelalter, oder wann. Was ist da zu sehen?“ – Beginnen wir von vorn und mit dem ersten Satz. – Aus dem 2010 erschienenen Buch von Peter Handke. „Immer noch Sturm“ hat fünf Kapitel, das allerletzte Wort lautet „zuwinken“. Bis 4. Februar ist Peter Handkes Familiendrama und Geschichtsepos auf der Bühne der VBB im Stadttheater Bozen zu sehen. Carina Riedl führt Regie. Gehen wir gleich in die Vollen:
Wie oft hast du das Buch von Peter Handke gelesen?
Carina Riedl: Oh, das ist schwer zu sagen, an die 15, 20 Mal wahrscheinlich.
Was ging dir dabei durch den Kopf?
Dieser Text hat in mir so viel Freude und Traurigkeit, Zorn und Zuversicht ausgelöst, er ist so vielschichtig, dicht und brillant geschrieben, dass ich es stets als Geschenk empfunden habe, mich damit zu beschäftigen. Jeder Tag in der etwa 6-monatigen Vorbereitung war reicher dadurch, weil Handke einem – um seine eigene Wendung zu benutzen – die „inneren Augen“ öffnet für das, was wesentlich ist.
Welche Rolle würdest du in dem Stück spielen wollen? – Warum?
Ehrlich gesagt, bin ich ganz glücklich mit meiner Rolle als Regisseurin… Aber es gibt bei Handke seit Jahren Figuren, die er als „der Dritte“, „der Zeuge“, „der Zuschauer“ bezeichnet. Der Blick dieser scheinbar unbeteiligten Figur beGRÜNDet das situative Geschehen überhaupt erst, ist der Grund dafür, die Basis. Das „Ich“ in „Immer noch Sturm“ ist eine sehr besondere Ausprägung davon und schon beim Lesen ist nicht exakt trennbar, ob es sich um das Autoren-, Leser-, Zuschauer-, oder Schauspieler-Ich handelt. Meine Rolle im Probenprozess hat damit viel zu tun.
Was assoziierst du mit folgenden Wörtern?
* Apfel:
Duft, Erbsünde, Schlange, rot, Erde
* Heimat:
heikel, Zugehörigkeit, Attersee, Zufall, Glück
* Sturm:
Handke, Geschichte, Ausgeliefertsein, Dagegen-Anrennen, Tabula rasa
* immer:
Nichts. Also nichts ist für mich „immer“ auf dieser Welt.
Was ist immer wieder eine große Herausforderung für eine Regisseurin?
Was die sich stets wiederholenden Herausforderungen in meinem Beruf anlangt, ist die für mich vielleicht größte, einerseits den Autor abzubilden, seinen Rhythmus, seinen Atem, das Besondere seiner Welt, andererseits aber Platz und Spielraum zu schaffen für die 2017er-Gedanken, die der Text in mir, meinem Ensemble und meinem Team auslöst.
Wie gefällt dir das Inszenieren in Bozen? Es ist nun ja bereits das 4. Mal.
Bozen ist für mich einer der beruflich wichtigsten Orte geworden, ich fühle mich sehr wohl hier und frei. An Irene Girkingers Haus herrschen Offenheit, Motivation, Frische, das Gefühl, dass man gemeinsam etwas schaffen kann, wenn alle zusammen helfen. Das ist rar und etwas ganz Besonderes für mich. Und ich schätze diese Stadt sehr. Stets habe ich das Gefühl gehabt, man spüre hier die Achse nach Nord UND Süd. Das „Zwischen-den-Welten“, „Zwischen-den-Sprachen“, „Zwischen-den-Landschaften“, birgt ein hohes kreatives Potential und das „Zwischen“ als Zustand ist mir nah, darin komme ich gut bei mir selber an.
Was sollte das Südtiroler Publikum bewegen sich „Immer noch Sturm“ anzusehen?
Ein fantastischer Text, ein großartiges, engagiertes Ensemble und eine wunderbare Schlagzeugerin. Und die Möglichkeit, mal wieder über sich – also dein Ich – nachzudenken und was es ausmacht.
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