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February 16, 2016

Die humanistische Linse von Anna Mayr wirft Blicke hinter Klostermauern

Allegra Baggio Corradi

Ordensgemeinschaften beschreibt sie mit dem Begriff “Familie”. Wenn es darum geht, eine Definition des Wortes “Einfachheit” zu geben, dann antwortet sie: “zu sein”. – Anna Mayr ist eine junge Fotografin aus Kastelruth, die von 2011 bis 2015 an der Hochschule München Fotodesign studiert hat. Für ihre Abschlussarbeit im Bachelor of Arts begab sie sich auf die Spuren einer alternativen, scheinbar veralteten Lebensweise und hat das einfache, klösterliche Leben von Schwestern in fünf Klöstern im Engadin, in Südtirol und in Bayern in ihren Aufnahmen verewigt. Im März 2016 erscheint im Athesia-Tappeiner-Verlag dazu das fotodokumentarische Buch “Die Große Einfachheit”, vorgestellt wird es am 9. März um 20h in der Aula der Mittelschule Kastelruth. Wir haben mit Anna über dieses Projekt und ihre Auffassung von Fotografie gesprochen.

Gib uns bitte eine kurze Einführung in dein Lebens als Fotografin: Wann hast du damit begonnen, welches sind deine bevorzugten Themen, welche Techniken verwendest du am Liebsten?

Ich bin mit etwa 17 Jahren auf meine Faszination für die Fotografie gestoßen. Zu der Zeit befand ich mich wegen eines Auslandjahres in Großbritannien und habe dort einen ersten Fotokurs belegt. Dann, als es ein Jahr später darum ging sich für ein Studium zu entscheiden, lag die Antwort auf der Hand. Ich wollte Kreativität und Technik verbinden. Welches Mittel war besser dafür geeignet als die Fotografie?
Während meines Studiums habe ich dann so einiges ausprobiert. Ich habe mit einer analogen Großbildkamera fotografiert und ab und zu auch meine eigenen Filme entwickelt. Dennoch benutze ich heute für die meisten meiner Projekte eine digitale Kamera und fotografiere nur mehr für persönliche Kunstprojekte analog. Einfach weil es weniger Aufwand bedeutet.
Meine Arbeiten sind im Moment vor allem fotojournalistischer Natur. Aber durch mein Studium des Fotodesigns habe ich auch die vielen Anwendungsbereiche der Fotografie kennengelernt und immer wieder nehme ich Fotografien als Grundlage für künstlerische und grafische Projekte.Anna MayrWie ist es zur Idee für das Projekt “Die Große Einfachheit” gekommen? 

Die Idee zu diesem Projekt ist mir auf interessante Art und Weise in die Hände gefallen: Ich war auf einer Mehrtageswandertour unterwegs und habe dabei zufällig im Kapuzinerkloster in Neumarkt übernachtet. Dort habe ich das erste Mal einen Blick hinter die Mauern werfen können. Und ich war überrascht über die Menschlichkeit und den Humor, den ich dort antraf. Dies hatte kaum etwas mit meinen eigenen Vorurteilen von einer strengen, sterilen, weltabgewandten und veralteten Lebensweise zu tun. Also habe ich begonnen zu recherchieren und mich etwas mehr mit dem Thema zu befassen. Die Entscheidung, eher Männer- oder doch lieber Frauenklöster zu fotografieren, unterlag dabei ganz praktischen Überlegungen. So wie einem Mann nur ungern Zutritt zu einer Frauenklausur gestattet wird, ist es auch anders rum.

Wie unterscheiden sie sich das monastische und das weltliche Leben?

Meist liegt die Vorstellung zugrunde, dass sich ein Leben im Kloster gänzlich vom Leben “draußen” unterscheidet. Dies trifft vor allem auf die äußere Struktur der beiden Lebensweisen zu. Im Kloster gibt es sehr genaue Vorschriften, was ein Ordensmitglied machen darf und was nicht. Die Frauen, die in Müstair in Klausur leben, dürfen beispielsweise nur zu ganz bestimmten Anlässen den abgeschlossenen Bereich des Klosters verlassen, es gibt genaue Essens-, Gebets- und Arbeitszeiten und es bleibt nicht viel Raum für persönliche Hobbys, wie wir es nennen würden. Dazu kommt natürlich auch die Ehelosigkeit. Andererseits bildet die Regelmäßigkeit eines Ordenslebens auch einen Rahmen, bewusst zur Ruhe zu finden. In unserer modernen Arbeitswelt besteht doch oft das Problem darin, dass zwischen Beruf, Familie und Freizeitbeschäftigungen kaum noch Zeit für Stille und Besinnung besteht. Damit meine ich ganz einfach einen Moment, in dem man darüber nachdenkt, was man gerade alles erlebt hat, wie man sich dabei fühlt und wie man gewisse Situationen ein nächstes Mal besser angehen kann. – Das ist die äußere Struktur. 
Doch im Grunde genommen bin ich inzwischen der Meinung, dass sich das Leben in einer Klostergesellschaft selbst kaum von einem Leben außerhalb unterscheidet. Ich habe in meinem Buch nicht umsonst den Begriff “Familie” benutzt, wenn es darum geht, die Ordensgemeinschaft zu beschreiben, oder auch den Begriff “Fernweh”. – Die Frauen, die ich in den besuchten Klöstern angetroffen habe, hatten alle sehr beeindruckende Lebensgeschichten vorzuweisen. Sie haben mir von Konfliktsituationen genauso wie von Liebesgeschichten erzählt, von ihren Sehnsüchten, ihren Wünschen zu reisen und ihrer Arbeit in den öffentlichen Bereichen der Gesellschaft, wie zum Beispiel in Krankenhäusern, Schulen, Kindergärten und Verwaltungsstellen. Ein Kloster ist kein steriler, weltentfremdeter Ort. Anna Mayr  "Die große Einfachheit"Hast du Unterscheide bemerkt in der Religiosität der jüngeren und der älteren Schwestern?

Das ist eine schwierige Frage, denn es ist nicht unbedingt gut, zu pauschalisieren. Ich hatte während meines Projektes tatsächlich die Möglichkeit mit zwei jüngeren, damals 27-jährigen Schwestern zu sprechen, die aus der Gemeinschaft der vorrangig 60- bis 90-jähriger Schwestern herausstachen. Das Beeindruckende daran war für mich, dass sie einen Weg gefunden hatten ihr Studium, das Klosterleben und ihre außerklösterlichen Freundschaften in Einklang zu bringen. Weltfremd, überfromm und einseitig sind ganz einfach Begriffe, die hier nicht zutreffen. Vielmehr würde ich “zeitgemäß, bedacht und vielseitig” benutzen, um das Leben dieser jungen Schwestern zu beschreiben. Immerhin läuft alles darauf hinaus, die Sehnsucht nach mehr Einfachheit, Spiritualität und Achtsamkeit mit einer zeitgemäßen Weltansicht zu vereinen. 
Man könnte vielleicht sagen, dass die älteren Schwestern oft mehr an die Traditionen gebunden sind, deren soziokulturellem Kontext sie entstammen. Aber allgemein geht es bei Jung wie bei Alt nicht mehr unbedingt darum, vorbehaltlos zu glauben, sondern einzusehen, dass die Suche nach Erfüllung “in Gott” tatsächlich auch das ist, was sie verspricht – eine beständige Suche, ein beständiges Zweifeln, eine beständige Sehnsucht. 

Welche Rolle spielt heute die Religiosität für die Südtiroler/innen?

Ich denke, dass religiöse Traditionen in Südtirol nach wie vor eine große, identitätsstiftende Rolle spielen. Dabei spreche ich von großen Festtagen wie Weihnachten, Dreikönige oder zum Beispiel Herz Jesu, die mit alten, ortsspezifischen Bräuchen verbunden sind und vor allem in einer global vernetzten Welt und im Angesicht der unübersehbaren Migrationsströme einen bedeutenden Stellenwert einnehmen. Andererseits gehöre ich selbst auch der Generation der Millennials an, deren Leben keineswegs mehr vom kirchlichen Geschehen bestimmt wird. Wenn ich von der Religiosität meiner Generation sprechen würde, dann würde ich deshalb heute weniger von der katholischen Kirche reden, sondern eher von einer ungestillten Sehnsucht nach Spiritualität, innerer Einkehr, Einfachheit und Nachhaltigkeit. – Warum habe ich mein Buch mit dem Untertitel “Auf der Suche nach einer alternativen Lebensweise” versehen? – Eben weil ich als junge Südtirolerin der Meinung bin, dass ein bewussterer, alternativer Lebensstil durchaus möglich und anstrebenswert ist; sei es hinter Klostermauern oder eben auch davor. Aufgrund des bewussteren Umgangs mit Ressourcen und der sozialen Aufopferungsbereitschaft kann das klösterliche Leben meiner Meinung nach auch als Beispiel für etwas Neues und Zukunftsorientiertes stehen. Anna Mayr  "Die große Einfachheit"

Glaubst du, dass die Eigenschaft der Fotografie, die Zeit festzuhalten, eine Verbindung mit der spirituellen Betrachtung des Klosterlebens hat? Ist deiner Meinung nach, die Fotografie eine spirituelle Kunstform?

Das ist ein interessanter Gedanke. Ästhetik hat meiner Meinung nach durchaus etwas mit Spiritualität im Allgemeinen zu tun. Kunst und Musik beispielsweise haben ja auch immer den Anspruch etwas darzustellen, das der Verstand nur in abstrakten Symbolen umschreiben kann. – Genauso wie die Fotografie: Jeder Moment ist ein Abstrahieren der Realität. Indem ich etwas Fließendes auf einem Blatt Papier “für immer” festhalte, verliert es etwas seines wahren Wesens und wird zum Symbol.
Auch das Leben im Kloster ist meiner Meinung nach ein Versuch etwas herauszukristallisieren oder einem Etwas Gestalt zu verleihen, das nicht so einfach in Worte gefasst werden kann. Alles – die Einfachheit, die Strenge, der Gehorsam, die Aufopferungsbereitschaft für andere – läuft auf das Ziel hinaus, dieser höheren Wirklichkeit eine Form zu geben, die in vielen Religionen als “Gott” bezeichnet wird.

Am Ende deiner fotografischen Abenteuer: Was schätzt du als die größte Einfachheit des Lebens?

Zu sein. 

Anna Mayr, Jahrgang 1992, aus Kastelruth in Südtirol, von 2011 bis 2015 Studium des Fotodesign an der Hochschule München, Abschluss Bachelor of Arts. Praktika im Bereich Redaktion und Fotografie in München und Berlin, im März 2016 publiziert sie ihren Fotoband “Die große Einfachheit” (Auf den Spuren einer alternativen Lebensweise; 200 Seiten; 172 SW- und Farbabbildungen; 30×24 cm; Hardcover mit Schutzumschlag; 29,90 ˆ). Lebt zur Zeit in Südtirol. 

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