Lass uns gemeinsam den Bach runtergehen! – Punk Rock auf der VBB-Bühne in Bozen

Im Stadttheater Bozen läuft zur Zeit das Stück “Punk Rock” von Simon Stephens unter der Regie von Christian Mair. Der Schauplatz des Stücks ist ein englisches Privatgymnasium, durchschnittlicher wie es kaum sein könnte. Die Charaktäre, fünf Siebzehnjährige, kurz vor den Abschlussprüfungen, Leistungsdruck, alle wollen raus. Weit weg – weg von der englischen Kleinstadt, von den Menschen, die hier leben und sich nichts dabei denken. Jeder, der fünf träumt vom Leben danach und wird vom Leben jetzt einfach so überfahren. Wichtig ist, dass alle zusammen sind – dazugehören. “Komm lass uns gemeinsam den Bach runter gehen!”, singen sie. Alles egal, Hauptsache zusammen.
Dann kommt die “Neue” – Lilly, gespielt von Kathrin Ploner, die mit blauen Strähnchen und schlagfertigen Antworten William den Kopf verdreht. William, überzeugend umgesetzt von Thomas Wachtler, ist der Spinner, der manchmal komische Lügenmärchen erzählt, aber trotzdem sympathisch wirkt. Lilly findet jedoch den Schulschwarm Nicholas, umgesetzt von Manuel Saxl, besser – der zieht mit und die beiden sind schon bald ein Paar. So wie Bennet und Cissy – auch sie sind zusammen. Bennet, das mutige Großmaul, der seine pubertäre Unsicherheit damit kompensiert, den hyperintelligenten Schlaumeier Chadwick (Tobias Gruber) zu mobben und Cissy, die hysterisch, panisch auf gute Noten getrimmt, immer und überall die Beste sein will. In der Clique ist noch die mollige Tanya, Nathaly Ebner, die heimlich davon träumt, barfuß und schwanger durch die Wohnung des Mathelehrers zu watscheln.Was hier passiert, ist das Alltagsleben von Klischee-Teenagern – fünf Stereotypen, die orientierungslos zwischen Coolness und Hormonen schwanken. Zwischendurch wird den Zuschauern ein Einblick in das Innenleben der Jugendlichen gewährt, geheime Gedankengänge werden vertont und mit passender Musik und Licht eingehüllt. Virtuos wird mit Wirklichkeit und Fantasie gespielt, eine parallele Welt wird inszeniert, in der die Masken fallen, alles echter und authentischer ist.
Doch schon bald merkt man, dass irgend etwas schief läuft; aufgestaute Emotionen lassen die Stimmung angespannter werden. Und plötzlich: Peng! Vier Schüsse fallen. Ein Amoklauf, vier der fünf sind tot. Lange bleibt es den Zuschauern vorenthalten, welcher der fünf pubertierenden Jugendlichen nun schlussendlich zum Abzug greifen würde. Überraschenderweise ist es William, der eigentlich gut integriert in die Clique war.
Sich selbst erschießt er nicht. Deshalb sitzt er am Schluss auch da – vor uns, dem geschockten Publikum und dem Psychologen Harvey (Hannes Holzer) – und soll Antworten geben, auf die Fragen nach dem großen “Warum?”. Es folgt eine akribische Analyse der Tat: Was war das Motiv? Hätte das Blutbad verhindert werden können?
Die Zettel fliegen durch die Luft. Der Fragenkatalog auf dem Boden beweist, dass das Ganze eigentlich egal ist. William wollte sich nicht rächen und Nein, auch die Bücher, die er liest, sind nicht schuld. Er ist kein Mobbingopfer, weder Liebeskummer noch Familiensituation brachten ihn dazu. Es ist einfach passiert. “Ich habe es getan, weil ich konnte!” Peng! Unerklärbar und willkürlich. – So wie Amokläufe nun mal sind.
Der englische Schriftsteller beschreibt den Wunsch, dazu zu gehören, einfach nur normal zu sein. Mit eigenem Haus und vielleicht einem kleinen Garten, Familie und einem Kopf, der funktioniert. Schluss mit den wirren Gedanken, mit der Verzweiflung und den Emotionen, die so unaufgeräumt im Schädel herumschwirren. Dazugehören und ein normales Leben führen. Normal sein heißt jedoch, auch angepasst, durchschnittlich, realitätsorientiert zu leben, und wer will das schon? So entsteht ein Dilemma: Erwünscht ist eine Prise Individualität, jedoch nicht zu viel – man sollte doch nicht aus der Reihe tanzen.
Gekonnt wird das Innenleben und die Zerissenheit fünf Jugendlicher beschrieben. Ein Stück über Angst, Wahn und Traumvorstellungen, das zum Denken anregt.
Punk Rock ist noch bis zum 19. April 2015 im Stadttheater Bozen zu sehen.
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Foto: Maximilian Malfertheiner