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April 23, 2014
Erwin Wagenhofer, Regisseur von “Alphabet”, im Interview
Kunigunde Weissenegger
Der österreichische Regisseur und Autor Erwin Wagenhofer ist vor allem durch die Dokumentarfilme “We feed the World” (2005) und “Let’s make money” (2008) bekannt geworden. “We Feed the World” ist eine kritische Betrachtung der zunehmenden Massenproduktion von Nahrungsmitteln und hat 2006 unter anderem auch den Österreichischen Filmpreis erhalten. “Let’s make money” handelt von der weltweiten Entwicklung des Finanzsystems und gewann 2009 den Deutschen Dokumentarfilmpreis.
In seinem neuen Dokumentarfilm “Alphabet” analysiert Erwin Wagenhofer Bildungssysteme weltweit. – Leistung ist das, was in der heutigen Wettbewerbsgesellschaft zählt, Lernziele gilt es zu erreichen, um nachher in der Produktionsgesellschaft gut funktionieren zu können. Kreativität und Eigenständigkeit gehen unterwegs jedoch flöten. Eine der Kernaussagen des Films: “98% aller Kinder kommen hochbegabt zur Welt. Nach der Schule sind es nur noch 2%.” Zum Film ist auch ein Buch erschienen. Anlässlich des Festivals delle Resistenze 2014, wo er mit “Alphabet” zu Gast war, haben Erwin Wagenhofer via Mail ein paar Fragen zu seinem Schaffen gestellt.
Ihr Dokumentarfilm “Alphabet” ist seit Herbst 2013 in den Kinos. Dieses Thema war doch längst fällig. Warum hat das so lange gedauert? – Und glauben Sie, wir sind nun bereit, etwas zu ändern?
Wenn dieses Thema schon längst fällig war, dann frage ich mich, warum so wenig geschieht? Von Seiten der Wirtschaft wird plötzlich sehr viel über Ausbildung geredet, eben weil diese Form des Wirtschaftens am Ende ist und jetzt suchen sie nach Auswegen, und das Einzige, das ihnen einfällt, ist wiederum das Alte, sprich Wirtschaftswachstum, Produktionssteigerung etc. Dabei hat ja genau dieses System die Krisen produziert und jetzt glauben plötzlich, meist grau melierte, ältere Herren, die sich nie um Kinder gekümmert haben, zu wissen, was für die Kinder gut ist. So wird sich nichts ändern, vor allem nicht zum Besseren. Aber in der Zwischenzeit wird auch die Gegenbewegung immer größer, die sich einfache Fragen nach dem Sinn des Lebens und des Daseins stellt und das ist gut!
Was war denn bei der Produktion von “Alphabet” für Sie die überraschendste Erkenntnis oder Entdeckung?
Dass es so einfach wäre, zu neuen Ufern aufzubrechen und eine Welt zu gestalten, die für alle wirklich ein gutes Leben ermöglichen könnte; dass wir aber solche Angst vor dem Neuen haben und daher wie besessen, panisch am Alten festhalten, von dem wir längst wissen oder spüren, dass es falsch (weil vorbei) ist. Mit anderen Worten: Wir leben in einem Gefängnis mit offenen Türen und trauen uns nicht hinaus!
Was wollten Sie mit Ihrem Film bewirken? Sehen Sie schon positive Entwicklungen…?
Ein Filmemacher macht Filme, so wie ein Schuhmacher Schuhe macht, also wir bringen Beiträge und hoffen, dass die Menschen damit frische Energie bekommen. Im Fall von Alphabet”, dass sie eventuell beginnen, selbst zu denken, und den ersten Schritt wagen – so endet ja auch der Film. Und er hat in den Ländern, in denen er bis jetzt gestartet ist, eine große, gesellschaftliche Debatte angestoßen – hier in Österreich bis ins Ministerium und ins Parlament. Aber was viel wichtiger ist: Er ist vom Publikum angenommen worden, was mich sehr freut, weil es ja kein einfacher Film ist. Immerhin war er der bei weitem erfolgreichste österreichische Kinofilm 2013.
Sie sind, unter anderem, auch der Regisseur der Dokumentarfilme “We feed the World” (2005) und “Let’s make money” (2008); der Spielfilm “Black Brown White” (2011) ist auch kein nettes Geschichtchen – was reizt Sie an solch “schwierigen”, schweren Themen?
Das kann ich nicht wirklich beantworten, weil das mit Intuition zu tun hat. Als Filmemacher schaut man sich um und dann entdeckt man Bereiche in seiner gesellschaftlichen Umwelt, in der die DNA dieser Gesellschaft besonders stark zum Ausdruck kommt und dort setzt man dann an. Die große Herausforderung ist es dann, dies in einer filmischen Form so umzusetzen, dass es eben Kino wird, sprich etwas Lebendiges in den Köpfen der ZuseherInnen entsteht, was gar nicht im Film vorhanden ist. Denn das ist Kino: Etwas, das in den Köpfen der Menschen entsteht und besteht und dann durch einen Film ausgelöst wird.
Was wird Ihr nächstes Thema sein? Woran arbeiten Sie in Bälde?
Über ungelegte Eier ist schwer sprechen. Ich muss mich jetzt einmal ausruhen und dann werde ich zu ganz neuen Ufern unterwegs sein – wenn es denn sein soll – ich bin ja nur ein kleines Werkzeug des großen Ganzen.
Foto oben: Erwin Wagenhofer by Lukas Beck
Am Dienstag, 29. April 2014 nahm Erwin Wagenhofer im Rahmen des Festival delle Resistenze am Matteottiplatz in Bozen neben Anna Sarfatti, Alex Corlazzoli und Ugo Morelli an einem Runden Tisch zum Thema ”Kreative Bildung – die neuen Herausforderungen von Bildungssystemen” teil. Um 18 Uhr waren er und sein Dokumentarfilm “Alphabet” sodann im Filmclub Bozen zu sehen.
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