Contemporary Culture in the Alps
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“Heimatverräter” oder “Walsche” – Gesichter der Option im Stadttheater Bozen

Die Theaterproduktion “Option. Spuren der Erinnerung” der Vereinigten Bühnen Bozen ist noch am 20., 21. und 22.2. jeweils um 20.00 Uhr und am 23.2. um 17.00 Uhr im Stadttheater Bozen zu sehen.

18.02.2014
Christine Kofler
VBB OPTION Zeitzeugen – Foto Bernhard Aichner

Für das Wort “Heimat” gibt es eigentlich keine Übersetzung, es ist sehr deutsch. Für mich ist der Begriff ja irgendwo zwischen “Berg Heil”, alten Filmen mit Luis Trenker und Werbeplakaten mit Rosengarten drauf angesiedelt, also zwischen Wörtern und  materialistischen Vorstellungen, die entweder einen bitteren Beigeschmack haben oder aber zu Verkaufszwecken genutzt werden. Die Instrumentalisierung des Begriffs im 20. Jahrhundert hat Ihre Spuren hinterlassen.

Wie anders muss sich Heimat für die zehn ZeitzeugInnen anfühlen, die am vergangenen Wochenende auf der Bühne des Stadttheaters Bozen im Rahmen der Veranstaltung “Spuren der Erinnerung – 75 Jahre Option” der VBB www.theater-bozen.it über Ihre Erlebnisse während der Zeit der Umsiedlung berichtet haben. Heimat wird vielleicht gerade dann wichtig, wenn sie zu entschwinden droht. Heimat ist vielleicht für jede Generation anders. Heimat ist vielleicht für jeden anders.

VBB OPTION Zeitzeugen – Foto Bernhard Aichner

“Der Samen des Nationalsozialismus fiel in Südtirol auf fruchtbaren Boden”

Erst die Italianisierung, dann die massive nationalsozialistische Propaganda und die Hoffnung, endlich wieder “deutsch” sein zu dürfen. Wer da blieb, hatte “walsches Blut”, wer ging, war ein “Heimatverräter”. “Der Samen des Nationalsozialismus”, so heißt es im Stück, “fiel in Südtirol auf fruchtbaren Boden”. 86 Prozent der Südtiroler stimmten für das Gehen, “heim ins Reich”.

Das dokumentarische und intermediale Theaterprojekt, in dem Live- und Video-ZeitzeugInnenberichten, Intermezzi der SchauspielerInnen (Günther Götsch, Christine Lasta, Lukas Lobis, Markus Oberrauch, Anna Unterberger) und die anspruchsvolle Musik der “Musicabanda Franui” ineinander greifen, setzt sich mit “Option” – und damit mit “Heimat” – auseinander. Die Stärke des Stücks liegt in seiner Episodenhaftigkeit und Fragmentierung, dadurch wird die gesellschaftliche Komplexität der Option angemessen eingefangen und eröffnet eine sozialgeschichtliche Perspektive, die Grundlage für eine gemeinsame Geschichte der deutsch- und italienischsprachigen SüdtirolerInnen sein könnte, jenseits der reinen Ereignisgeschichte.

VBB OPTION Zeitzeugen

Berührende Episoden geben der Option ein Gesicht

Das Stück feiert die Kraft des Erzählens und gibt der Option durch sehr berührende Episoden ein Gesicht, oder besser – Gesichter: Das Gesicht von Erich Innerebner, der seinen jüdischen Freund Burschi nie wieder sah. Das Gesicht von Herrmann Oberparleiter, der auf einen Bauernhof in Tschechien kam – die Besitzer wurden vorher vertrieben. Das Gesicht von Karl Tarfußer, der von Nachbarskindern verprügelt wurde, weil er ein “Dableiber” war. Das Gesicht von Anton Rinner, der sich mit durchschossenem Arm in ein Lazarett rettete, in dem sich Kisten mit amputierten Oberarmen und Unterschenkeln stapelten, und schließlich von gefangenen Alpini gerettet wurde. Oder das Gesicht von Anna Guis, die den Blick eines sterbenden Partisanenkämpfers nie vergessen konnte und 70 Jahre lang darüber schwieg. Bis zu diesem Theaterprojekt. Erzählen kann schmerzhaft sein. Erzählen kann aber auch heilen.

Erzählen kann heilen – und Erzählen ist gefährlich 

Freilich ist Erzählen auch immer gefährlich, weil es wertet und strukturiert. Auch bei einem dokumentarischen Theaterprojekt wird ausgewählt und montiert, die Wahrnehmung in eine bestimmte Richtung gelenkt. Der Mitwirkung lokaler AkteurInnen im Prozess der Umsiedlung und der “italienischen” Perspektive (z. B. der italienischen SiedlerInnen) wird nicht allzu viel Raum gelassen. Aber vielleicht ist das ja der nächste Schritt, ein Anfang ist nun gemacht. Der Respekt gebührt denjenigen, die uns an ihren Erinnerungen teilhaben lassen.

Fotos von Bernhard Aichner

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Tags

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