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August 7, 2015
Hotel Amazonas: darum! 7–8 x Warum an Margareth Kaserer + Simon Steinhauser
Kunigunde Weissenegger
Wegbeschreibung gefällig? – ich korrigiere: notwendig? – Bozen Rentsch, Abzweigung Ritten, die Rittner Straße bergan cruisen, Kurve um Kurve, [bei seichtem Magen rate ich zu manchmaligem Stehenbleiben und Aufschnaufen], durch Unterinn hindurch, vorbei an der Abzweigung Oberbozen, weiter Richtung Klobenstein, links hinauf gezogen Richtung Oberinn und weiter Wangen, die Dorfkirche rechts liegen gelassen, vorbei am Gasthaus Alpenflora und den Berg runter bis Unterwangen 18 beziehungsweise Stopp + ausgestiegen beim Aspmayr Hof [falls ihr nach dem Weg fragt, rate ich den Hofnamen zu nennen, kein Mensch weiss am Berg, welche Hausnummer der Nachbarhof hat... – hier auf alle Fälle ein Google-Maps-Hinweis].
Puh, lange Reise [so weit weg von all den Zentren der Welt], [doch eigentlich solltet ihr den Weg kennen, 2012 fanden hier Residency + Festival zum ersten Mal, mit 11 KünstlerInnen statt], angekommen, und nun wird’s – auch in diesem Text – spannender: Von 27. Juli bis 23. August 2015 residieren auf dem abgelegenen Hof am Ende + Anfang der Welt auf Einladung von Margareth Kaserer [Hoftochter] und Simon Steinhauser 17 Künstlerinnen und Künstler aus hier + da + aller Welt, entrollen Schlafsack auf Strohmatte, lugen sich in Fraktion, Dorf, Gemeinde um, setzen sich mit Umgebung, Ummensch, Umerfahrung auseinander und präsentieren die Ergebnisse an 3 Wochenenden. Hier auf dem Hotel-Amazonas-Blog das genaue Programm zum Nachlesen. Auf Facebook gibt’s klaro auch Infos. Wir haben den beiden Projektverantwortlichen Margareth Kaserer + Simon Steinhauser 7–8 Warum-Fragen gemailt und sind gespannt, was sie darauf zu sagen wissen – mit steter Geschwindigkeit aus der Langweiligkeit:
Warum Hotel?
Margareth + Simon – Hotel Amazonas: Ein Hotel ist ein Ort, wo Menschen friedlich miteinander auskommen. Eine Russin und ein Ukrainer, ein Weisser und eine Schwarze, ein Kapitalist und eine Kommunistin, eine Palästinenserin und eine Jüdin leben in einem Hotel ganz gleich nebeneinander unter einem Dach. Ein Hotel eröffnet Zusammenleben – durch seine eigene vorgegebene Struktur des Gastgebens. Ein Ort, wo es wenig Hierarchien gibt, wo sich alle BewohnerInnen als Gäste fühlen können und einer Gleichberechtigung ausgesetzt sind. Warum Amazonas? Und Amazonien?
Margareth: Amazonas ist ein Ort der Wildnis, wo die Umgebung die Regeln schreibt, nicht der Mensch. Ein Ort, den man nicht leicht erreicht und auch nicht so leicht wieder davon weg kommt. Als ich 2012 Hotel Amazonas zum ersten Mal organisiert habe, hatte ich gerade “Penthesilea” von Kleist gelesen und war von der Amazonen-Geschichte ganz hingerissen.
Simon: …ein Ort, der tiefste Natur darstellt, hineingezogen werden, erkunden, hinter sich lassen, abschalten, Freiheit, in einer Art Lunge der Welt sein, mit all ihren Adern und Seitenarmen, die den Amazonas speisen und Tausende von Quadratkilometern aus den hintersten Orten herkommen…
Warum ein Hof? …am Ende der Welt… und nicht Bozen? – das Zentrum der Welt…
Margareth: Spektralisierung ist wichtig: damit man alle Farben sehen kann, nicht nur eine. Abgeschiedenheit, das Rauschen der Natur, die Stille schaffen Raum in den Köpfen und Körpern der KünstlerInnen. Außerdem bietet sich der Hof einfach an: Er ist groß, er steht halbleer, das Dach ist noch ganz. Es gibt open fields – offene Felder – & es gibt wahnsinnig viel zu tun, auf ganz praktischer Ebene und auch auf kultureller.
Simon: Die Avantgarde hat wohl der bürgerlichen Präsentationsform den Rücken zugewandt, oder vielleicht haben es die KünstlerInnen satt, von bürgerlichen Kunstvereinen hofiert zu werden. Viel Kulturelles in Südtirol fährt auf einem sehr geraden Gleis mit hoher Geschwindigkeit in die Langweiligkeit. Jede/r kennt Artaud, Basquiat oder auch Picasso, aber viele Leute in Südtirol haben die Grundgedanken dieser Personen [mit ihren Arbeiten und ihren – auch politischen – Jahren, in denen sie gearbeitet haben und dem, was sie innerhalb der Kunstwelt dabei ausgelöst haben] mit dem eigenen Dresscode [auch einem intellektuellen/artikulierten Dresscode] und dem Weisswein-Trinken eingetauscht. Am Hof ist das nicht so. Hier gibt’s niemanden zu beeindrucken und zu überzeugen, weder optisch, noch durch Sprache, noch sexuell noch sonst irgendwie. Das entspannt. Wenn man hier miteinander beim Weisswein-Trinken anstößt, hört man nur den Klang des Glases.Warum Energiepunkten bzw. -quellen nachspüren?
Simon: Warum nicht? – Das hippste Unterfangen in der performativen Kunstpraxis im Moment ist der Urlaub in Mexiko oder sonstwo in Lateinamerika, um sich im Zuge irgend welcher schamanischer Rituale Trips zu schmeißen, um eine Art Befreiung zu finden oder andere, bisher nicht erkannte Energieflüsse in sich selbst zu öffnen. Anscheinend sucht der Mensch gerade in der heutigen Zeit nach Energie in irgendeiner Form. Insofern ist das Nachspüren von realen Energiepunkten in Wangen am Ritten nur normal. Das Lustige ist, dass man sie hier wirklich spüren kann, sie dir Kraft geben, oder dich beruhigen – und nicht so viel kosten.
Margareth: Es geht darum, die Wahrnehmung zu schärfen und zu erweitern. Die Natur, die Landschaft und die Architektur anders zu lesen. Energiepunkte sind wie Ladestationen oder auch das Gegenteil davon. Es geht auch darum, Wissensformen wieder zu beleben, die auf Intuition, subjektivem Erleben & Fühlen beruhen. Warum funktionieren manche Plätze gut, andere überhaupt nicht? Da spielen immens viele Faktoren mit hinein, denen wir heute kaum mehr Beachtung schenken.
Warum ein Konzert mit einer Motorsäge?
Hotel Amazonas: Wir hören ständig ihr Singen, wenn wir das Land bearbeiten. Wer auf einem Hof lebt oder arbeitet, kommt nicht um dieses Instrument drum herum. Peter Kutin und David Schweighart haben am 1. Hotel-Amazonas-Wochenende ihren Gesang nochmals verstärkt und mit Live-Elektronik, Schlagwerk und Zuspielband angereichert. Das war extrem verdichtete Energie!Warum Anarchie?
Marthe Van Dessel (BE), Artist in Residence @ Hotel Amazonas: Das ist eine rhetorische Frage!
Jörg Zemmler (IT), Artist in Residence @ Hotel Amazonas: Anarchie bzw. Anarchismus war Ende des 19. Jahrhunderts und in der Zwischenkriegszeit eine starke Bewegung. Heute ist Anarchismus weitgehend in Vergessenheit geraten. Deswegen.
Warum brunchen mit Katz + Kater?
Margareth: Sich mit den Tieren in eine Runde setzen [wie auch mit Pflanzen, Gesteinen, allem Seienden], auf derselben Wesenshöhe, das ist uns ein Anliegen.
Simon: Es ist uns auch ein Anliegen, dass am Vorabend so gute Stimmung ist und es so lange in die Nacht hineingeht, dass danach ein Kater anwesend sein wird.
Warum Muscheln an Land und ins Dorf tragen?
Hotel Amazonas: Fast jeder, der schon mal als Kind oder irgendwann einmal am Meer war, hat Muscheln mitgenommen, um sie zu Hause zu präsentieren oder Freunden zu zeigen. Die Muscheln den anderen in Form einer Ausstellung zu zeigen, ist nur eine natürliche, logische Konsequenz des Residency-Programms. Die Ausstellungseröffnungen finden immer um 19h am 14.8. im Hotel Amazonas in Unterwangen 18 am Ritten und am 21.8. in der Rosministraße 47 in Bozen statt.
Fotos: Hotel Amazonas
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