Luxus21 oder vom ganz normalen Wahnsinn (Das Wort zum: Nationalen Tag der Menschen mit Down Syndrom)

Luxus21 oder vom ganz normalen Wahnsinn (Das Wort zum: Nationalen Tag der Menschen mit Down Syndrom)
Sie hatte sich unendlich gefreut darauf, auf den Umbruch in ihrem Leben, auf die süßen kleinen Strampelhöschen, auf die Holzwiege, in der sie selbst schon als Kind in den Schlaf gewiegt wurde und auf die Besuche der Verwandten, FreundInnen und NachbarInnen, die sich um diese Wiege scharen und deren Blicke und Worte in einklingender Bewunderung über das kleine, neugeborene Wesen schweben würden. Vieles war schon vorbereitet, provisorisch hergerichtet, das Leben verharrte dennoch nicht in sich, sondern ging nahtlos weiter. Schließlich liegt das Geld nicht auf der Straße und arbeiten, Geld verdienen, Miete und Rechnungen bezahlen und Essen besorgen standen dennoch auf der Tagesordnung. Ihr erstes Baby und weitere Geschwisterchen sollten noch folgen. Hauptsache gesund und glücklich. Zur Vergewisserung, dass eh alles gut läuft, sind sie dann zu vielen dieser Vorsorgeuntersuchungen gelaufen, Ultraschall hier, Blutabnahme dort, dazwischen Malzkaffee und zu weiteren vorgeburtlichen Untersuchungen. Und dann…
Drei mal 21 und nicht einmal 21 lautete der ärztliche Befund.
Und plötzlich war alles anders. Alles anders als man und frau gedacht hätte. Die Eiszeit schien seit Stunde 00:00 angebrochen zu sein und die unterschwelligen Fragen, die nur von manchen ausgesprochen wurden – „Wollt ihr das etwa behalten?! – Es gibt ja heute Möglichkeiten, das weg machen zu lassen.“ – beherrschten das zuvor empfundene Idyll. (Nichts gegen die Vorteile einer Pränataldiagnostik und schon gar nicht gegen das Recht zur Abtreibung – aber das Können müssen sollte sich nicht auf das Müssen reduzieren und sollte die Wahlfreiheit beinhalten.)
Das Ticken von Zeit und Geld hatte just in dieser Stunde 00:00 eingesetzt. Zeit zum Nachdenken und Bewusst-Werden, welche Entscheidung frau fällt; Zeit für Gespräche mit Partner und Angehörigen; Zeit zu den nächsten Untersuchungen zu laufen; Zeit, die durch Angst gefressen wird; vergrübelte Zeit, keine Zeit mit einem Neugeborenen zu haben; keine Zeitvorstellung zu haben über die Zeit für das Neugeborene… Zeit, sich dann zu einer Entscheidung durchzuringen. Mit dem Einsetzen des Pendels, das ständig hin und her schwenkte, fing auch die Zeit von Luxus an und damit war die Zeit zum Luxus Nummer 1 erkoren.
Sie gönnte sich diesen Luxus, frau gönnt sich ja sonst nichts, und entschied sich für drei mal 21. Trotz allem. Es war ja nicht so, als hätten sich medizinisches Personal und jede am Diskurs beteiligte Person für den „Abbruch unwerten Lebens“ ausgerufen. Nein, das hatten wir bereits. Es war auch nicht so, dass jede Person insgeheim mit Unverständnis reagiert hätte. So nicht.
Trotzdem, dass sie nicht wusste, auch, dass sie wusste, dass sie nicht ganz allein damit war, mit dem, was auf sie zukommen würde, trotzdem und deswegen entschied sie sich dafür. Dieses Kind, das von Tag zu Tag in ihrem Mutterleib heranwuchs, war ja gut, so wie es war; mehr machte ihr die Vorstellung Angst, unter welchen Rahmenbedingungen es sich entwickeln und ein selbstständiges Leben führen sollte.
Gebären und die damit verbundenen Emotionen, Schmerzen und Freuden sind für jede Mutter anders und doch gleich, und dann war es soweit, erst einmal die Fruchtblase geplatzt ging alles schnell und doch langsam und endete mit… Mit dem ersten Aufschrei des kleinen Babys setzte auch schon Luxus Nummer 2 ein. Der Luxus der Mutter (falls Schlimmstenfalls eintrifft und in Ermangelung weiterer Angehöriger) sich immer allein durchboxen zu müssen für die Rechte ihres neugeborenen Kindes. Sich eben den Luxus zu leisten, sich um alles selber kümmern zu dürfen. Denn, wie das kleine Ding noch in seinen Folgejahren erleben wird, befindet sich die von Menschen geschaffene Realität im Widerspruch zu diesem Wesen, unterscheidet die Gesellschaft doch von Anbeginn zwischen normal und der Norm abweichend. Und Trisomie 21 ist eben eine Minderheit und nicht normal, wird suggeriert und perpetuiert. Die dafür geschaffenen Strukturen zum funktionalen Zusammenleben einer Gesellschaft fördern diesen Luxus, sich persönlich und ausschließlich für die Belange seines Kindes einzusetzen. Luxus Nummer 2: Wer schreit sonst, wenn mein Kind nicht schreit? Oder wo bitte bleiben jetzt die Glückwunschkarten zum Neugeborenen? Sorgen – wer kann sich bitte heute noch Sorgen leisten? Sorgen sind spätestens out, seit es diese tolle xy-Versicherung gibt, die meine Sorgen haben will. Wie kann es dann sein, dass jemand seine Sorgen nicht abgeben möchte? Sich-sorgen ist doch auch wieder etwas Schönes?! Oder verbirgt sich dahinter etwa Luxus Numero 3? Rechnen: 3 x <wie schaut die Zukunft für mein Kind aus?> = 24 Stunden pro Tag für 3 x das 21. Chromosom. Und wer wird sich sorgen, wenn es mich mal nicht mehr gibt? Wen kümmert’s, dass mein Kind in eine Integrationsklasse kommt, von wem wird das Kind gestützt und gefördert, auch wenn es schon groß ist? Wer sorgt sich, dass es als erwachsener Mensch seinen Job selbst aussuchen kann und nicht in die nächste geschützte Beschäftigungswerkstätte am Ende der Scheibe abgeschoben wird, nur weil es einfach leichter ist und die ja doch nichts mehr dazulernen. Wen kümmert es wirklich wirklich?? Und was passiert, wenn es dann mal alt wird und die körperlichen und psychischen Beschwerden sich vielleicht häufen? Wie kann ich sicher sein, dass Menschen mit Trisomie 21 eine adäquate ärztliche Hilfestellung erhalten, wer kennt sich denn da wirklich aus? Wo wird mein Kind später wohnen, wer wird sich darum kümmern? Luxus Nummer 3 – Ihre Sorgen möchten wir haben!
„Verdammt, Trisomie 21 ist keine Krankheit, also fangt schon mal an, euren geheimen Wahnsinn zu überdenken,“ fluchte sie und nahm ihre Arbeit wieder auf, ohne die anderen eines weiteren Blickes zu würdigen. Ja, dort, bei der Arbeit zählte die Political Correctness zum Top Thema Nummer 1. Irgendwie kam es ihr in letzter Zeit etwas fadenscheinig vor, da wird Korrektheit betrieben und im Hintergrund brodeln ganz konträre Ideen. Integration, Inklusion, Diversität oder wie auch immer. All das bedeutet im Leben eines Menschen mit Down Syndrom dem puren Luxus Nr. 4 zu frönen, und zwar mit Geld um sich werfen zu dürfen: Wie viel kostet die Logopädie-Stunde? Und wie viel das Taxi, wenn einmal der letzte Bus schon abgefahren ist? Wer bezahlt die zusätzlichen Windeln? Und wer die betreuten Urlaubs- und Wohnplätze? – Aber wieso brauchen Kinder und Erwachsene mit Behinderung überhaupt Urlaub, wieso sollten diese Taxi fahren, wenn sich das nicht einmal normale Menschen leisten können? Ja eben deshalb, weil Geld gerade für diejenigen auf der Straße liegt, die es am notwendigsten gebrauchen können. Unter’m Strich sollte die Rechnung ja passen. Wir wollen schließlich schwarze Zahlen schreiben!
Aber Moment – wieso sollte nur ich als Mensch mit meinen seit Geburt gesegneten 3 Ausführungen von Chromosom 21 all diesem Luxus frönen dürfen? Schließlich darf es mein Nachbar nicht, die Busfahrerin, die mich zur Arbeit fährt, auch nicht, und letztlich ist das so in diesen Menschenrechten verankert, dass alle Menschen gleich sind, vor dem Gesetz und überhaupt. Und wieso sollte ich mit meinem Down Syndrom extra deswegen bevorteilt werden? Wer achtet denn eigentlich darauf, dass diese Menschenrechte für Menschen ohne Trisomie 21 umgesetzt werden?
Ich habe einen Traum. Ich bin dafür, dass jede Person diesem Luxus frönen darf, Luxus für alle! Für ein gleichberechtigtes Miteinander! Ein Festschmaus für jeden und jede! Luxus für alle. Ich bin für den absoluten, ganz normalen Wahnsinn für alle.