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April 11, 2013

Lob der Kopie oder Kunst hat Recht? Ein Streitgespräch mit Gerhard Ruiss und Dirk von Gehlen

Kunigunde Weissenegger

Gebt es zu! Ihr habt es alle schon einmal getan. Strg+C und dann Strg+V bzw. cmd+C und cmd+V. Texte, Musik, Videos und Bilder zu kopieren ist keine Kunst mehr – digitale Technologien und das Internet machen uns dies extrem einfach. Dieses umstrittene, aber von vielen als selbstverständlich praktizierte Copy-Paste-Gehabe im digitalen Raum führt in der Folge zu immensen Debatten um das Urheberrecht. Hochaktuell also das Thema, zu dem heute, Donnerstag, 11. April um 20 Uhr in der Teßmann in Bozen im Rahmen der Vortragsreihe „Texturen“ zwei gegensätzliche Haltungen aufeinander treffen: „Ohne die kreative Kraft der Kopie entsteht keine Kultur. Man kann nicht nicht kopieren“, so Dirk von Gehlen, Leiter der Abteilung Social Media/Innovations der Süddeutschen Zeitung in München und Autor von „Mashup – ein Lob auf die Kopie“. Gerhard Ruiss, Autor und Geschäftsführer der IG Autorinnen Autoren in Wien hingegen fordert „Das Recht auf das eigene Werk“. Da ich das Thema äußerst spannend finde, habe ich beide Referenten, bevor sie heute Abend aufeinander knallen, vorab kontaktiert und getrennt voneinander befragt.

Dirk von Gehlen, was meinen Sie mit “man kann nicht nicht kopieren”? Mit so einem Satz stellen Sie doch (mindestens) die gesamte Kunstszene in Frage. Gleichzeitig meinen Sie auch: “Kultur entstehe auch durch die kreative Kraft der Kopie”. Beschränkt sich die Tätigkeit der heutigen Kunstschaffenden auf reines Copy-Paste?

Dirk von Gehlen: Der Satz ist eine Anspielung auf Watzlawicks Aussage “Man kann nicht nicht kommunizieren”. Ich wähle die Referenz, weil im digitalen Kontext das Kopieren so selbstverständlich geworden ist wie das Kommunizieren. Die digitale Kopie bildet die Grundlage für die Digitalisierung, sie stellt uns vor eine grundlegende Herausforderung, weil wir erstmals in der Geschichte der Menschheit in der Lage sind, Inhalte verlustfrei zu duplizieren. Die geschieht selbst dann, wenn wir es nicht intendieren – zum Beispiel beim Öffnen einer Website oder beim Verschicken einer E-Mail. Ausgangspunkt jeder Analyse muss deshalb das Anerkennen der neuen Realität sein, die die digitale Kopie schafft. Das will ich mit dem Satz ausdrücken – zudem habe ich in meiner Kulturgeschichte der Kopie herausgefunden, dass diese zwar einen sehr schlechten Ruf hat, aber eine sehr populäre Verbreitung: Die Kopie hilft uns als Orientierungs- wie Lern-Instrument, sie stellt ein Grundprinzip der Referenz und wissenschaftlichen Forschung dar. Es wäre also falsch sie einseitig zu verdammen. Wir sollten im Gegenteil genau analysieren, wo wir sie im Sinne der Künstler sinnvollen nutzen können.

Gerhard Ruiss, wie geht es Ihnen, wenn Sie Aussagen wie jene von Dirk von Gehlen hören, der die Kopie hoch lobt und Bücher darüber schreibt?

Gerhard Ruiss: Es geht mir gut damit, weil solche Aussagen die Überprüfung in der Praxis erlauben. Wann redet man von einem Original? Wann von einer Kopie? Was ist ein Plagiat? Wann ist jemand Epigone? Was heißt Bearbeitung? Was Remix? Was Mashup? Es geht ja in vielen Fällen um Behauptungskämpfe, für die Kampfbegriffe eingesetzt werden. Im Urheberrecht geht es um Eigenständigkeit des Werks, nicht um die Besetzung von bestimmten Inhalten oder eines bestimmten Vokabulars. Ein eigenständiges Werk kann genauso durch Bearbeitungen entstehen. Es entsteht aber sicher nicht dadurch, dass jemand weiß, wie man eine Webcam hält und wie man etwas digital kopiert.

Dirk von Gehlen, was meinen Sie zur Position von Gerhard Ruiss, der Urheberrechtsschutz auch im Netz fordert, weil er befürchtet, dass Kunstschaffende ansonsten von ihrer Arbeit nicht mehr leben können?

Dirk von Gehlen: Diese Befürchtung teile ich. Auch ich bin als Kreativer darauf angewiesen, dass die Menschen das Urheberrecht achten und als legitimes und sinnvolles Gesetz anerkennen. Ich nehme aber an, dass Gerhard Ruiss und ich in der Frage wie man dorthin kommt, unterschiedlicher Meinung sind. Meiner Einschätzung nach wird man dem Problem mit härteren Strafen oder einer einseitigen Abwertung der Kopie nicht gerecht. Ich halte es im Gegenteil für sinnvoll, die Kopie als Gelegenheit zu akzeptieren und sie im Sinne der Kunstschaffenden zu nutzen.

Gerhard Ruiss, wie stellen Sie sich einen Schutz Ihrer Urheberrechte im Netz vor? Die Weiten des Internet sind unendlich und unergründlich, das ist kein Geheimnis.

Gerhard Ruiss: Am Beginn der nationalen Verankerung der Urheberrechte und der Internationalisierung des Urheberrechts in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts hat es dieselben Probleme gegeben. In Deutschland geschützte Werke wurden in Österreich raubgedruckt bzw. raubkopiert, sogar noch mit offiziellem Wohlwollen, angeblich aus Gründen der Volksbildung, vermutlich aber eher aus wirtschaftsprotektionistischen Gründen. Das ist natürlich nicht so geblieben. Auch wenn es neue Infragestellungen durch neue Technologien gibt, werden über kurz oder lang entsprechende Regulative für einen überschaubaren und geordneten Umgang mit Angeboten im Netz sorgen. Raubkopien werden dann so eine Randerscheinung sein, wie sie es trotz Urheberrecht auch im nicht-digitalen Bereich geworden sind.

Dirk von Gehlen, was wären Ihre Löungsvorschläge?

Dirk von Gehlen: Der bedeutsamste Ansatz für eine Lösung liegt in einer ideologiefreien Debatte: Es hilft nicht, wenn Fronten aufgebaut werden. Wir müssen gemeinsam die Situation, die sich durch die digitale Kopie ergeben hat, analysieren und Schlüsse daraus ziehen. Denn während wir uns in einer konfrontative Debatte verzetteln, machen große amerikanische Konzerne gute Geschäfte mit den Werken von Kunstschaffenden. Ich will ein Modell, bei dem die Künstler selber von ihren Werken leben können. Dafür ist es aber notwendig, die digitale Kopie anzuerkennen – z.B. über Ansätze wie die Kulturflatrate oder andere Pauschalabgaben, die in vergleichbarer Situation schon zu Lösungen geführt haben. Uns muss aber bewusst sein: Wir werden nicht von jetzt auf gleich eine fertige Lösung haben. Es geht hier auch darum, neue Wege zu finden.

Gerhard Ruiss, heißt “frei schaffen” im Kulturbereich “gratis arbeiten”? Wie sehen Sie das “leidige” Thema allgemein: Warum soll Kultur nicht gratis sein?

Gerhard Ruiss: Wer “gratis” leben kann, kann es sich leisten, “gratis” zu schaffen. Da aber niemand „gratis“ leben kann, kann es sich auch niemand leisten „gratis“ zu schaffen. Diese Erkenntnis bleibt früher oder später keinem noch so großen Pioniergeist erspart. Gerade im Kultur- und Medienbereich gibt es viele unbezahlte Vorleistungen, die irgendwann einmal zu Geld führen müssen oder aber zum Hobby werden oder aber zum Zusammenbrechen des Aufgebauten führen. Kultur ist ohnehin in vielen Fällen gratis oder nahezu gratis in den meisten Bildungsangeboten enthalten. Gratis ist sie nur beim Konsum, sie muss natürlich trotzdem finanziert werden, und wird dann eben durch den Staat mit Steuern wiederum von den Konsumenten bezahlt. In den allermeisten Fällen ist in unseren Breiten der Kulturkonsum ohnehin subventioniert und wird nur ein Preisanteil von den Konsumenten direkt geleistet, das reicht mit Infrastrukturförderungen bis weit in den Unterhaltungsbereich hinein.

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