Die Kultur des Brotbackens nach Davide Longoni

© Davide Longoni
© Davide Longoni
In Italien gilt Davide Longoni schon lange als Vater des modernen Backens. Als Lehrer und Mentor etlicher Bäcker:innen hat er nicht nur dazu beigetragen, eine neue Generation von Brothandwerker:innen heranzubilden, sondern diese auch für Themen der modernen Bäckereibewegung – von der Herstellung bis zur Landschaftspflege – zu sensiblisieren. Vor kurzem wurden ihm zum wiederholten Mal vom italienischen Gastrokritiker Gambero Rosso drei Brote für seine hervorragende Backkunst verliehen. Seit Oktober 2025 gibt es sein Backwerk nun auch in Bozen – im Mercato Centrale – zu verkosten und zu kaufen.
Mit franzmagazine hat Davide Longoni ein Gespräch über die Kultur des Brotes, ehrliches Handwerk und die Wichtigkeit kurzer Lieferketten geführt.


Welche Eigenschaften muss ein gutes Brot deiner Meinung nach haben?
Seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs wurde die Agrarwirtschaft durch die sogenannte Grüne Revolution stark verändert. Diese landwirtschaftliche Modernisierung brachte die Einführung ertragreicher Pflanzensorten, chemischer Düngemittel, Pestizide und moderner Bewässerungstechniken aufs Feld. In dieser Zeit galt das Credo: hohe Erträge und niedrige Preise – egal, was uns das gesundheitlich und moralisch kostet. Ab einem gewissen Zeitpunkt war es weder für Bäcker:innen noch für Kund:innen nachvollziehbar, woher die Zutaten stammten, die für das Brotbacken verwendet wurden. Von dieser Arbeitsweise wollte ich weg. Darum habe ich es zu meiner beruflichen Mission gemacht, die Lieferketten – vom Anbau des Getreides bis zum Verkauf – transparent und nachverfolgbar zu machen. Mein Ziel ist es, der Brotherstellung wieder eine echte landwirtschaftliche Dimension zu verleihen: die Lieferkette zu verkürzen, die Rohstoffe zu kontrollieren und Mehl aus meiner eigenen Produktion zu verwenden. Darum baue ich am südlichen Rand von Mailand in der Nähe der Abtei von Chiaravalle und zwischen Catignano und Civitaquana in den Abruzzen seit einigen Jahren auch mein eigenes Getreide an und produziere mein eigenes Olivenöl. Für mich muss Brot nach Natur schmecken – nach der Arbeit auf den Feldern, nach Getreide aus alten und autoktonen Sorten, das in Mühlen zu Mehl verarbeitet wird – ohne Zusatzstoffe oder Verbesserungsmittel.

Neben dem Anbau deines eigenen Getreides hast du in den letzten Jahren noch weitere Projekte rund um das Thema Brot entwickelt. 2023 hast du etwa in Mailand die Schule für Brot und regionale Landschaft (scuola del pane e dei luoghi) „Madre Project“ gegründet. Was steckt dahinter?
Madre Project ist ein Ausbildungsort für Menschen, die sich für Brot und dessen Verbindung zu Orten und Landschaften interessieren. Die Idee dazu entstand aus einer zufälligen Begegnung von mir mit Andrea Perini, einem unserer langjährigen Kunden. Perini ist Experte für Projekte zur Wiederbelebung von Orten und Gründer der gemeinnützigen Organisation Terzo Paesaggio. Wir waren beide der Meinung, dass immer mehr Menschen, vor allem aber auch junge Leute, sich für die Welt des Brotes interessieren und dies zu ihrem Beruf machen möchten. Was uns jedoch fehlte, war eine neue Schule mit einer innovativen Herangehensweise an dieses Thema: Eine Schule, die nicht nur das Brotbacken lehrt, sondern auch aufzeigt, wie man ein Unternehmen führt, das mit dem Territorium, der Umwelt und den Menschen in der Umgebung kulturell verbunden ist. Also haben wir vor zwei Jahren die Schule für Brot und regionale Landschaft Madre Project gegründet. Finanziert wurde sie mithilfe von Crowdfunding Civico, einer Spendenplattform der Stadt Mailand zur Unterstützung von lokalen Projekten mit kulturellen oder sozialen Zielen. Im September 2023 sind wir dann mit dem ersten offiziellen Masterstudiengang und 13 Teilnehmer:innen gestartet.
Im selben Jahr hast du mit dem „Circolino del Pane“ in Mailand noch einen weiteren Hotspot für Brotliebhaber:innen gegründet …
Der Circolino del Pane ist ein Ort, an dem ich genau das tun kann, was ich mit am meisten liebe, nämlich Menschen treffen und mit ihnen über Brot und Kultur sprechen. Ein Treffpunkt, der an die Tradition der literarischen und gastronomischen Zirkel als Orte des Austauschs und des Dialogs erinnert und anknüpft. Diesen Ort habe ich in einem ehemaligen Industriegebäude in Mailand gefunden. Es sind 35 wundervolle Quadratmeter, die ich von der neapolitanischen Designerin Astrid Luglio hab einrichten lassen. Bis heute finden dort Talks und Buchvorstellung, Kurse und Aperitifs und vieles mehr an kulturellem Austausch rund um das Thema Brot statt.
Bleiben wir beim Thema Kultur. Du bist einer der Ideengeber von „L’Integrale“, dem ersten italienischen Magazin über Brot und Kultur, das mittlerweile Kultstatus erreicht hat …
Die erste Ausgabe von L’Integrale erschien 2020, in einer Zeit, in der sich die Welt des Brotes und der Bäckereien in einer Aufbruchstimmung befand. Wie auch später mit Madre Project wollte ich eine Lücke schließen, die in diesem konkreten Fall auf dem italienischen Zeitschriftenmarkt herrschte. Für mich ist Brot weit mehr als nur ein Gemisch aus Wasser und Mehl. Anhand der Geschichte des Brots lässt sich auch die Geschichte von uns Menschen nacherzählen. Ich fand die Idee spannend, das Brot als Vorwand und Ausgangspunkt zu nutzen, um weitere Geschichten zu erzählen und zu fotografieren. Seit etwa zwei Jahren wird L’Integrale nun vom Verlag Iperborea kuratiert und vertrieben und von Diletta Sereni und Gianluca Cannizzo geleitet. Es ist ein hochwertiges Magazin über gastronomische Kultur, auf dessen Seiten das Schreiben über Essen neu gedacht wird. Mittlerweile haben neben dem fixen Redaktionsteam auch namhafte Autor:innen wie Paolo Cognetti oder Anna Wiener für das Magazin geschrieben. Wir unterstützen dieses Herzensprojekt auch weiterhin finanziell.


Eine neues kulturelles Abenteuer ist auch die Eröffnung deiner mittlerweile elften Filiale, diesmal im Mercato Centrale in Bozen. Es ist deine erste Bäckerei außerhalb von Mailand. Wie kam es zu diesem Schritt?
Wie du schon richtig sagst, ist der neue Standort in Bozen für mich und meine Partnerin Tatiana Moreschi nicht nur eine geschäftliche, sondern vor allem auch eine kulturelle Herausforderung. In Mailand existieren mittlerweile zehn Davide-Longoni-Filialen. Wir haben gesehen, dass unser Konzept dort funktioniert. In Bozen können wir nun einen anderen, neuen Markt testen, in dem mein Name noch keinen so großen Bekanntheitsgrad besitzt. Dabei vertrauen wir auf ein neues Team, dem wir gerne freie Hand lassen. Die Bäckerei Longoni hat mittlerweile 100 Mitarbeiter:innen, von denen jede:r ein Spin-off gründen kann. 15 meiner ehemaligen Mitarbeiter:innen haben bereits ihre eigenen Bäckereien eröffnet. Darauf bin ich sehr stolz.
Ein Markenzeichen von Longoni ist die enge Zusammenarbeit mit lokalen Produzent:innen und Handwerker:innen. Warum?
Das stimmt. Wenn man es so ausdrücken möchte, dann liegt diese Art der Zusammenarbeit in der DNA unserer Bäckerei. Die Arbeit mit kurzen Lieferketten funktioniert bereits ausgezeichnet in den Filialen in Mailand und wir führen diese Philosophie nun auch in Bozen weiter. Es ist ein Modell, das meiner Arbeit Sinn gibt. Unsere Filiale in Bozen soll nicht einfach nur Bäckerei sein, sondern auch eine Werkstatt und ein Begegnungsort. Uns ist es wichtig, Teil des städtischen und kulturellen Gefüges von Bozen und Südtirol zu sein. Dies gelingt auch dank der intensiven Zusammenarbeit mit lokalen Produzent:innen, zum Beispiel mit Alexander Agethle vom Englhorn-Hof in Schleis bei Mals. Sein Betrieb ist ein außergewöhnliches Beispiel für ökologisches und wirtschaftliches Gleichgewicht zwischen Familie, Gemeinschaft und Umwelt. Wir verarbeiten seine kleine Dinkelproduktion und seinen Käse bereits seit zehn Jahren. Oder auch der Meraner Designer Harry Thaler, den ich auf dem Fuori Salone in Mailand kennengelernt habe. Von ihm stammt das Interieur unseres Geschäfts, ein einladender Raum, dessen Mittelpunkt eine Theke aus Laaser Marmor und einem Kleie-Erde-Kalk-Gemisch bildet.



In Südtirol gibt es eine Vielzahl an Bäckereien. Welchen Mehrwert bringt die Bäckerei Davide Longoni für Bozen?
Die Kolleg:innen in Südtirol sind sehr vielfältig und interessant und viele von ihnen haben mich sehr herzlich aufgenommen. Ich backe aber kein Mailänder Brot und bringe dies nach Südtirol – das ist nicht meine Intention und Art. Vielmehr habe ich meine ganz eigene Vorstellung von einem universellen Brot, das von lokalen Einflüssen geprägt ist und sich an den jeweiligen Kontext anpasst. Während meines Studiums habe ich mich auch mit Anthropologie beschäftigt und gelernt, dass Identität Beziehung ist. Die Identität von Bozen ist jene einer traditionsreichen Handelsstadt, die seit jeher Schnittstelle zwischen dem Mittelmeerraum und der deutschsprachigen Welt ist. Wir möchten beim Brotbacken in einen Dialog mit Bozen und der Region treten, mit regionalen Rohstoffen und Produzent:innen arbeiten und so ein neues Kapitel über handwerklich hergestelltes Brot schreiben. Denn schlußendlich basiert Kulinarik immer auch auf Beziehung und Synergie.
Wer sind die Protagonisten deines gastronomischen Angebots in Bozen? Worauf können wir uns freuen?
In Bozen möchten wir unser Angebot aus mitteleuropäischer Perspektive erzählen. Im Angebot haben wir Brote der bäuerlichen Tradition mit intensivem und kräftigem Geschmack wie etwa das Roggenpaarl, aber auch die Mailänder Brotsorte Michetta. Daneben gibt es Blechpizza in vielen Varianten, immer mit Gemüse der Saison, Focaccia, belegt mit Speck und Käse und natürlich den echten Panettone, als Symbol der Verbindung zwischen Mailand und Bozen.