Ein Interview mit Miriam Unterthiner, Autorin und Gewinnerin Österreichischer Buchpreis Debüt

Miriam Unterthiner ©Florian Dariz
Miriam Unterthiner ©Florian Dariz
Das Dorf:
So war das aber nicht.
Wir waren nicht so.
Wir waren das nicht.
Wir wissen auch gar nicht
was da überhaupt
und was nicht
also wir könnten nicht sagen
oder wissen
wer da jetzt
oder ob da jetzt wirklich
[...]
über den Brenner
und zu uns
das können wir hier wirklich nicht
Über Miriam Unterthiner, ihr Schreiben und das Sein als Autorin wollte ich mehr erfahren. Im E-Mail-Austausch hat sie mir meine Fragen für franzmagazine beantwortet.
Liebe Miriam, dein Theatertext Blutbrot ist im Frühling dieses Jahres erschienen und wurde mittlerweile mehrfach ausgezeichnet. Gerade etwa mit dem Österreichischen Buchpreis Debüt 2025. Wie wichtig sind dir Preise und Förderungen - auf persönlicher und beruflicher Ebene?
Ohne Preise, aber vor allem ohne Förderungen wie beispielsweise Literaturstipendien, wäre es mir nicht möglich, zu schreiben. Während andere Berufsgruppen ein monatliches Einkommen beziehen, generiere ich den Großteil meines Einkommens durch Förderungen und Preisgelder. Sie ermöglichen es mir, weiterschreiben zu können, dafür bin ich sehr dankbar, denn dies ist für mich alles andere als selbstverständlich. Vor einem Jahr wurde es finanziell schwierig für mich, deshalb sah ich mich gezwungen, mich beruflich umzuorientieren. Das Schreiben wäre wieder in die Freizeit gerückt und das kontinuierliche Arbeiten an einem Text nicht mehr möglich gewesen. Die Preise kamen daher gerade rechtzeitig, denn mit den diesjährigen Preisgeldern kann ich mir die Arbeit an einem weiteren Text finanzieren und das ist für mich das Schönste und Wichtigste. Für mich als Privatperson ändert sich durch die Preise hoffentlich nichts. Mir ist wichtig, dass ich dieselbe bleibe. Für mich ist es nicht so einfach, mit so viel Aufmerksamkeit umzugehen, ich bin lieber hinter als auf der Bühne. Mein Wohlfühlort ist der Schreibtisch, nicht das Rampenlicht.
Blutbrot behandelt einen Aspekt der Südtiroler Vergangenheit, der nur langsam in das Bewusstsein der breiten Südtiroler Bevölkerungsschicht zu sickern scheint: die sogenannte Rattenlinie, der Fluchtweg von Nazi-Größen über Südtirol nach Rom und Argentinien. Wie bist du auf das Thema gestoßen?
Bedeutend war hierfür ein Nebensatz meines Großvaters, der beim ersten Corona-Lockdown fiel. Damals befand ich mich in Österreich, meine Familie in Italien und zum ersten Mal in meinem Leben war für mich dazwischen eine Grenze spürbar, der Brenner schien beinahe unpassierbar. Mein Großvater meinte scherzhaft, es gebe einen Weg über den Grünen Pass, dort würde mich niemensch finden. Da meine Familie nicht in der Nähe der Brenner-Grenze lebt, hat mich diese Aussage irritiert. So begann ich zu recherchieren, was es mit dieser Grünen Grenze auf sich hat und bin auf die von Südtiroler:innen geleistete „Fluchthilfe” gestoßen. Auch wenn mein Großvater mit dieser Geschichte nicht unmittelbar verbunden ist, hat er so einen Denkprozess in mir ausgelöst. Er kannte nämlich die Geschichte rund um den Brennerpass und mit dem Erzählen dieser, wurde mir klar, dass ich im Grunde auch Bescheid weiß, jedoch nicht bewusst.
DasDorf, die Landschaft, das Brot, die unablässig brotessende Autorin sind nur einige der Akteure in Blutbrot. Wofür stehen sie?
Für mich sind die Figuren keine Metaphern, nichts Abstraktes, sondern sehr konkret und in dieser Konkretheit auch angedacht. Ihre Bezeichnungen definieren sie.
Im Text tauchen aber auch Namen realer historischer Persönlichkeiten auf. Du nennst etwa den jüdischen Schriftsteller Max Brod oder den österreichischen SS-Sturmbahnführer Gerhard Bast. Warum?
Gerhard Bast gelang die Flucht über den Brennerpass nach Südtirol, er tauchte dort unter. Nach einiger Zeit wollte er seine Familie (seine Frau und seinen Sohn) in Innsbruck besuchen, hat deshalb den Weg nochmals umgekehrt eingeschlagen, von Südtirol nach Innsbruck und wurde dabei von seinem vermeintlichen „Fluchthelfer“ ermordet. Die Umkehrung der Route sowie das Anhalten durch den Mord an ihm, hat mich künstlerisch interessiert. Zeitgleich ist er der Vater des Schriftstellers Martin Pollack, dessen Werke für diesen Theatertext für mich sehr essentiell waren.
Max Brod kam zunächst über ein Wortspiel in den Text. Durch die Recherche in seinem Archiv tauchten jedoch sehr viele unerwartete Parallelen auf: So hat er in Südtirol Urlaub gemacht und unterstützte einen Aufruf zur Brotspende im Erzgebirge. Zudem beschäftigte er sich nach Ende des Zweiten Weltkriegs philosophisch eingehend mit der damaligen Zeit und der Möglichkeit eines neuen, friedlichen, menschlichen Miteinanders. Diese Gedanken beeindrucken mich sehr, ich nehme davon viel in unsere Gegenwart mit. Leider ist Max Brod vielen lediglich als der Nachlassverwalter von Franz Kafka bekannt, für mich ist er eine wichtige philosophische und literarische Stimme.
Vor Kurzem fand im Wiener Theater am Werk die österreichische Erstaufführung von Blutbrot statt. Im Mai war bereits Va†erzunge, die Geschichte des buckligen Mädchens Maria, als Sprech-Stück am Tiroler Landestheater zu sehen. Wieviel Mitspracherecht forderst du als Urheberin bei der Inszenierung deiner Texte?
Mir ist wichtig, dass ich in einem Theatertext all jenes zur Sprache bringe, was für mich Teil des Textes ist, was ich im Text sprachlich verorten möchte. Sobald diese Arbeit für mich abgeschlossen ist, übergebe ich den Text an die Regie und Dramaturgie. Mit dieser Übergabe gebe ich den Text auch frei. Da ich im Schreiben nicht an ein Bühnenbild, an Kostüme oder Schauspielende denke, finde ich es wichtig, diesen Prozess den jeweiligen Expert:innen übergeben und freigeben zu können. Im besten Fall entsteht so ein demokratisch gedachter Prozess dessen Ergebnis der daraus entstandene Theaterabend ist. Daher würde ich sagen, dass ich kein Mitspracherecht fordere, sondern mich über die gemeinschaftliche Arbeit freue und erstaunt bin, was daraus entstehen kann.
Du hast schon als Kind mit dem Schreiben begonnen. Mich würde interessieren wie du zum Verfassen von Theatertexten gekommen bist? Was magst du an diesem Genre? Und bleibst du dem Theater auch in Zukunft treu?
Mit dem Theater hatte ich sehr lange keine Berührungspunkte, wir sind uns eher zufällig begegnet: Mit meinem ersten Prosatext wurde ich zu den Bozner Autorentage 2017 eingeladen. Die Lesung fand im Stadttheater Bozen statt, zum ersten Mal stand ich sowohl auf als auch hinter der Bühne. Die Welt hinter der Theaterbühne hat mich vollkommen überfordert und gleichzeitig fasziniert – das ist immer noch so. Das Theater ist für mich noch immer etwas Neues, das ich noch nicht gänzlich fassen kann, was mich wiederum künstlerisch interessiert und herausfordert. Im Theater sehe ich die Kraft, einen Raum zu schaffen, in dem wir gemeinsam über unsere Vergangenheit, Zukunft und Gegenwart sowie über uns nachdenken können. Für mich bestimmt das Thema die Form, daher hängt es vom Thema ab, ob aus einer Idee ein Theatertext oder etwas ganz anders wird. Ich fände es schön, weiterhin Theatertexte zu schreiben. Aktuell erwische ich mich aber des Öfteren beim Prosa-Schreiben. Ob daraus ein Roman entsteht, kann ich noch nicht sagen, ich werde es schreibend erproben.
Dein aktueller noch unveröffentlichter Text Mundtot spielt im Bereich des weiblichen Spitzensports. Was macht dieses Thema für dich so spannend, dass du darüber Schreiben willst?
Für den weiblichen Leistungssport interessiere ich mich schon lange, beim SSV Brixen habe ich selbst einige Jahre Handball gespielt, daher liegt mir das Thema auch persönlich nahe. Mir scheint, dass der Leistungssport wie ein Mikrokosmos unserer patriarchalen Welt ist, im schlechtesten Sinne: insbesondere weibliche Körper werden sexualisiert, die Gehälter von Sportlerinnen sind zumeist deutlich geringer als jene der Männer … Gleichzeitig kann die Solidarität, der Zusammenhalt sowie die gemeinschaftliche Identifikation innerhalb einer Mannschaft etwas sehr Schönes und Bestärkendes sein. Der ausschlaggebende Punkt war jedoch eine Studie der Deutschen Sporthochschule Köln, des Universitätsklinikums Ulm sowie der Bergischen Universität Wuppertal. Darin haben siebzig Prozent der befragten Vereinsmitglieder (sowohl im Leistungs- als auch im Hobbysport) angegeben, im Rahmen des Vereinssports Grenzverletzungen, psychische, physische sowie sexuelle Gewalt und Belästigung erlebt zu haben.
Gibt es die Chance dich oder deine Texte bald auch auf Südtirols Bühnen zu sehen und zu hören?
Ich würde mich darüber sehr freuen, bislang gibt es jedoch noch keine konkreten Pläne dazu.
Danke Miriam für das Beantworten der Fragen.
Gern. :)
Buchtipps:
Martin Pollack: Der Tote im Bunker. Bericht über meinen Vater. Zsolnay Verlag. Aussortiert von der Bibliothek meines Dorfes, war es vor vielen Jahren mein Einstieg in dieses Thema. Es steht noch immer in meinem Buchregal und ich hab mich gefreut und gewundert bei Blutbrot wieder auf Martin Pollack und seinen Vater zu stoßen.
Gerald Steinacher: Nazis auf der Flucht. Wie Kriegsverbrecher über Italien nach Übersee kamen. Studienverlag. Das super recherchierte und spannend geschriebene Standardwerk des Tiroler Historikers ist absolut lesenswert, auch für Laien.
Phillipe Sands: Die Rattenlinie. Ein Nazi auf der Flucht. Fischer Verlag. Das Buch liegt gerade auf meinem Schreibtisch. Nach Blutbrot brauchte ich unbedingt neuen Lesestoff zu diesem Thema.