Contemporary Culture in the Alps
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Architecture

... wie ein Gebäude, das nie fertig gebaut ist ...

40 Jahre Turris Babel: Stimmen zum Jubiläum einer Zeitschrift, die nie stillstand

24.11.2025
Ludwig Mehler
... wie ein Gebäude, das nie fertig gebaut ist ...

© Elisa Cappellari

© Elisa Cappellari

Vierzig Jahre – das ist in Zeitschriftenjahren beinahe ein geologisches Zeitalter. Und doch fühlt sich Turris Babel nicht nach Archiv an, sondern nach Bewegung. Nach Umblättern, Weiterdenken, einem Gespräch, das nie ganz verstummt, weil jemand immer noch etwas zu sagen hat. Vielleicht liegt darin die eigentliche Magie dieser Zeitschrift der Architekturstiftung Südtirol: Sie altert, ja, aber sie tut es wie ein Gebäude, das nie fertig wird. Ein Turm, aber keiner aus Elfenbein. Eher einer aus Papier, Tinte, Streitlust, Ideen. Gebaut von Menschen, die lieber Fragen stellen, als Antworten zu zementieren.

1985 erschien die erste Ausgabe. Schere, Tipp-Ex, Kopierer – DIY nicht als Trend, sondern als Überlebensstrategie. Ein bisschen Punk, ein bisschen Utopie … Turris Babel wollte nie Institution sein, sondern Intervention: ein Ort, an dem Architektur nicht nur repräsentiert, sondern verhandelt wird.

Und jede Generation der Redaktion hat diesen Ort neu erfunden, wie durch die Direktoren-Chronologie in der Jubiläumsrückschau übersichtlich dargestellt: Die 90er-Jahre unter Wolfgang Piller, die grafische Handschrift von Benno Simma, der monothematische Tiefgang von Giovanni Dissegna, die präzise Strenge von Luigi Scolari, der weite Blick von Carlo Calderan, die heutige Klarheit von Alberto Winterle. Ein Staffelstab, weitergereicht von Händen, die unterschiedliche Takte haben, aber ähnliche Neugier.

Babel als Programm

Der Name war nie nur Name. Zwischen Deutsch und Italienisch, zwischen Linie und Sprache, zwischen Plan und Poesie: Turris Babel lebt in diesem Dazwischen. Vielleicht sogar als freundliche Gegenlektüre zur biblischen Moral: Der ursprüngliche Turm scheiterte an zu viel Hybris; dieser hier lebt gerade davon, dass viele Sprachen zusammenkommen und trotzdem etwas tragen.

Die Redaktion von Turris Babel, © Elisa Cappellari

Stimmen aus dem Inneren des Turms

Was Turris Babel wirklich zusammenhält, sind nicht die 15.000 Seiten oder 138 Ausgaben, es sind die Stimmen dahinter. Die leisen, die analytischen, die poetischen, die widerspenstigen. Manche waren nur kurz da, andere haben ganze Kapitel geprägt. Und gemeinsam erzählen sie mehr über diese Zeitschrift als jede Chronik.

Simona Galateo, Architektin, Kuratorin und aktive Redakteurin bei Turris Babel, beschreibt, wie sich die Zeitschrift „seit 40 Jahren um eine klare Entscheidung formt“: den Blick immer wieder auf dasselbe Territorium zu richten, nicht als provinzielles Einigeln, sondern als Methode. Für sie wird Turris Babel dadurch fast zwangsläufig „zur Geschichte Südtirols selbst“, ein Archiv der architektonischen Metamorphosen des Landes. Man spürt in ihren Worten etwas, das für die DNA der Zeitschrift zentral ist: eine Mischung aus Nähe und Distanz, aus Engagement und Vermessung.

Einer, der diese Vermessung zu seinem Werkzeug machte, ist Carlo Calderan. Seine Jahre als Direktor zwischen 2006 und 2015 klingen wie das Kapitel eines Romans: „Die rund 140 Ausgaben sind wie eine fortlaufende Erzählung. Mein Kapitel ist das eines Entdeckers, der Turris Babel wie eine kleine Raumkapsel nutzte, um ein geliebtes, aber wenig bekanntes Territorium zu beobachten.“ Er spricht auch vom Abwenden der „großen Erzählungen“ und vom Hinwenden zu den Dingen selbst. Davon, dass Architekt:innen ihre Kritik „durch das Tun“ äußern – durch Bauen, nicht durch Beklagen. „Wir wollten Wunder sichtbar machen, feine Details, aber auch Widersprüche. Mein Südtirol war ein mutiges Land mit einem selten positiven Vorurteil gegenüber dem Neuen.“ Selten fasst jemand so klar zusammen, wie Turris Babel immer wieder zwischen Hoffnung und Analyse navigiert hat und wie sehr sie Teil derselben Bewegung war, die sie beobachtet.

Ein völlig anderer Blick kommt von den Jüngeren, die die Zeitschrift heute tragen. Marco Santoni, seit wenigen Jahren Teil der Redaktion, sieht das Projekt aus einer bodennahen Perspektive: Für ihn sei Turris Babel vor allem „wichtig, um als junger Architekt am Puls der Zeit zu bleiben“. Seine Stimme ist knapp, aber sie trifft den Kern: Die Zeitschrift dient nicht nur der Reflexion, sondern auch der Orientierung – ein Werkzeug, um die Vielzahl aktueller Themen zusammenzubringen.

Zwischen diesen Polen, zwischen Calderans Raumkapsel und Santonis Alltag, bewegt sich Martino Stelzers wunderschön poetische Betrachtung. Er verwandelt die Zeitschrift in eine Figur: „Ein seltsames Alter, die 40: jung genug, um sich frisch zu fühlen, alt genug, um eine gewisse Langsamkeit zu erkennen.“
Er beschreibt Turris Babel als eine Vierzigjährige, die Stürme und Euphorien hinter sich hat und nun beginnt, ihre eigenen Rhythmus zu mögen: „Ein Geschmack für die eigenen Räume, für Abläufe, die sich abgelagert haben … Manchmal schaut diese Vierzigjährige mehr nach innen als nach außen.“ Doch Stelzer warnt auch davor, diese Selbstbetrachtung mit Abschottung zu verwechseln: „Die Pflege ist nicht mit Verschließung zu verwechseln, die Kontinuität nicht mit Gewohnheit. Ab und zu tut es gut, das Fenster zu öffnen und die Welt wieder hereinzulassen.“ Es ist vielleicht die feinste Analyse des heutigen Zustands von Turris Babel: eine Zeitschrift, die aufpassen muss, nicht zu sehr zu sich selbst zu werden und gerade dadurch lebendig bleibt.

Die Redaktion bei der Präsentation der Jubiläums-Rückschau beim Tennis Club Bozen, © Elisa Cappellari

Schließlich ist da die Stimme des langjährigen Redaktionsmitglieds Sandy Attia, welche die Zeitschrift weniger als Medium, sondern als lebendige Praxis beschreibt. Für sie fühlt sich die Redaktion an wie ein Wiederaufleben jener universitären Atelierkultur, in der „alle bis spät in die Nacht an Modellen mit frischem Leim rochen“ und der Austausch „ungefragt ins Blut überging“. Turris Babel, sagt sie weiter, „lässt diese Funken wieder aufflammen“: Man wird wieder Gemeinschaft, feiert kleine Erfindungen, trotzt gemeinsam den Strömungen, die Architekt:innen gegeneinander ausspielen wollen. „Denn gemeinsam“, so Attia, „baut es sich immer besser“.

Vielleicht sind diese Stimmen das eigentliche Jubiläumsgeschenk: ein Chor, der nicht gleich klingt, aber zusammenhält; ein Turm, der nur steht, weil viele Hände und Stimmen ihn tragen und viele Sprachen ihn weiterbauen.

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Tags

architektur, Simona Galateo, Carlo Calderan, Turris Babel, Architekturstiftung Südtirol, Marco Santoni, Martino Stelzer, Sandy Attia
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