Ein Gespräch mit der Künstlerin Leonora Prugger

Leonora Prugger, Atelier, 2024, © Leonora Prugger
in quiet, unseen hours so lautete der Titel der letzten Ausstellung von Leonora Prugger, die vom 13. September bis 11. Oktober 2025 in Nürnberg stattfand. Das zentrale Thema ihrer Werke waren hier die Täuschungsmechanismen, die bei bestimmten Orchideenarten vorkommen, aber in anderen Formen auch bei uns Menschen.
Elemente aus der Natur wie Pflanzen, Landschaften und Tiere sind in den Arbeiten der Künstlerin fast eine Konstante. Oft bildet sie die Berg- und Pflanzenwelt der Dolomiten ab; dadurch schafft sie einen Bezug zu ihrer Heimat Gröden und gewährt Einblicke in ihre Kindheitserinnerungen. Außerdem ist das Binom Fragilität/Resilienz in der Pflanzenwelt eine Gelegenheit, den Bogen von der Natur zur Gesellschaft zu spannen und sich mit unserer eigenen Wahrnehmung auseinanderzusetzen.
Nach der Matura an der Kunstschule St. Ulrich studierte Leonora Prugger an der Akademie der Bildenden Künste in Nürnberg, die sie mit Auszeichnung abschloss. 2021 wurde sie zur Meisterschülerin von Susanne Kühn ernannt.


Ihre Bilder sind fast wie Traumwelten: Fantastische Figuren schauen entgegen, mit durchdringenden Blicken, bis sie sich schließlich in Pflanzen verwandeln, deren Ranken sich einen Weg über die Bildfläche winden. Mal heben sich die Formen deutlich voneinander ab, mal verschwimmen sie in einem pulsierenden Farbenmeer. Im folgenden Gespräch erzählt Leonora Prugger, wie sie zu ihren Motiven findet, was ihre ladinischen Wurzeln mit ihrer Kunst zu tun haben und wie sie das Malen erlebt.


Würdest du deine Malweise eher als figurativ oder abstrakt bezeichnen?
Ich würde meine Malweise als figurativ bezeichnen, auch wenn sie sich oft an der Grenze zur Abstraktion bewegt. In meiner Arbeit geht es mir darum, etwas darzustellen, auch wenn das Dargestellte manchmal fantastisch erscheint. Mich interessiert besonders die Möglichkeit, durch Malerei eine Narration zu schaffen. Meine Themen entspringen häufig der Natur, etwa in meiner Serie über den Endemismus in den Dolomiten oder meiner aktuellen Arbeit über die Ragwurzen. Dabei geht es mir nicht um klassische Landschaftsmalerei, sondern um die Auseinandersetzung mit diesen Phänomenen, mit der Identität der Pflanzen und der Wahrnehmung des Menschen.
Im Malprozess beginnt sich aber die Darstellung oft aufzulösen. So kann ein einziger gelber Pinselstrich plötzlich zu einem autonomen Element werden, das nicht mehr Teil einer Erzählung ist, sondern reine Malerei. Die Abstraktion gibt meinen Bildern die Freiheit, über das rein Sichtbare hinauszugehen. Der Übergangsraum zwischen Figur und Abstraktion ist manchmal sehr nahe, indem Bedeutung nicht mehr eindeutig festgelegt ist, sondern offenbleibt.

In deinen Arbeiten findet man verschiedene Elemente, die einen Bezug zu deiner Heimat herstellen. Bringst du diesen bewusst ein oder geschieht das im Prozess von selbst?
Ich denke, dass in meinen Arbeiten Bezüge zu meiner Heimat sowohl bewusst als auch unbewusst entstehen. Ich lasse mich von vielen Dingen inspirieren, von dem, was ich sehe, denke oder träume. Der Prozess des Schauens ist für mich bereits Teil des Malens. Ich beobachte und halte Eindrücke in meinem Alltag fest, daraus entsteht oft der Ausgangspunkt für eine Arbeit. Die Natur meiner Heimat hat mich schon geprägt, auch wenn mir das erst vor kurzem bewusst geworden ist. Die Erfahrungen, die ich in meiner Heimat gesammelt habe, insbesondere die jährlichen Sommermonate meiner Kindheit auf der Alm, fließen immer wieder in meine Malerei ein, einerseits als bewusste Auseinandersetzung mit Identität, andererseits auch ganz intuitiv. Oft tauchen heimatbezogene Formen oder Stimmungen im Prozess auf, ohne dass ich sie plane. Ich glaube, sie sind einfach Teil meiner inneren Bildwelt, die sich beim Malen immer wieder neu zeigt.

Die Bilderreihe „Mammals’ Eyes“ wurde in einem Stall aufgehängt. Wie haben die Tiere auf deine Kunst reagiert?
In der Serie Mammals’ Eyes ging es mir darum, die unterschiedlichen Pupillen verschiedener Tiere darzustellen. Die Arbeiten wurden in einem Stall auf dem Ritten aufgehängt, in dem Ziegen und Kühe lebten. Mir ging es dabei vor allem um einen gegenseitigen Blick: Die Malereien schauten die Tiere an und die Tiere schauten zurück. Zu Beginn und vor allem beim Aufbau reagierten die Tiere etwas zurückhaltend und vorsichtig. Nach kurzer Zeit näherten sie sich aber den Bildern, beschnupperten sie und beobachteten die Veränderungen in ihrem Raum. Schließlich jedoch gewöhnten sie sich an die neuen Mitbewohnerinnen im Stall und akzeptierten die Malereien.
In deinen Arbeiten kommen oft heimische Pflanzen vor. Welche Bedeutung haben Pflanzen in deinem Leben?
Ich denke, Pflanzen erzählen viel über eine Kultur. Sie können identitätsstiftend sein, Symbol für gesellschaftliche Bewegungen oder einfach Teil unseres Alltags. Wir leben mit ihnen, kümmern uns um sie und doch werden sie in der freien Natur oft übersehen. In meiner Serie über den Endemismus in den Dolomiten wurde mir das besonders deutlich: Die kleinen, unscheinbaren Pflanzen, die zwischen den Felsen wachsen, sind für mich zu einer Metapher für Identität und Widerstand geworden und zugleich ein Symbol für mein eigenen ladinischen Wurzeln. Darüber hinaus fasziniert mich, wie Pflanzen gleichzeitig fragil und resilient sind. Sie überdauern extreme Bedingungen, finden ihren Weg zwischen Steinen und Beton und wachsen trotz schwieriger Umstände. Diese Eigenschaft spiegelt für mich nicht nur die Natur selbst wider, sondern auch menschliche Erfahrung, Zugehörigkeit und die Suche nach einem festen Standpunkt in der Welt.


Wie fühlt sich das Malen für dich an?
Für mich ist Malen vor allem Leidenschaft, ohne sie geht es nicht. Malen kann unglaublich erfüllend sein und die Tage, an denen ich den ganzen Tag im Atelier arbeiten kann, gehören zu den schönsten. An manchen Tagen komme ich in einen Malrausch, in dem sechs bis acht Stunden wie im Flug vergehen. Erst wenn ich dann die Dunkelheit draußen sehe, wird mir klar, wie spät es geworden ist. Gleichzeitig ist das Malen aber auch eine Achterbahnfahrt. Es gibt Momente, in denen alles fließt, die Malerei, Ausstellungen, Bewerbungen, Alltag, und es gibt Momente, in denen nichts gelingt. Für die Arbeit im Atelier bin ich viel alleine, was sich auch etwas einsam anfühlen kann. Aber ich brauche diese Ruhe, um mich zu konzentrieren und in diesen Malrausch zu kommen. Hinzu kommt aber auch die Organisation am PC, die mich oft fast drei Viertel meiner Zeit kostet. Bewerbungen schreiben, Portfolio, Website, Instagram pflegen, Fotos machen und bearbeiten, Projekte planen, Finanzierungen sichern … Am Ende ist es für mich ein echtes Privileg, dass ich Malen kann, und ich bin dafür sehr dankbar.
