Lasst uns ein Spiel spielen und dabei heiter failen – und lasst uns über Taylor Swift reden. Und über zeitgenössische Kunst, mit oder ohne Namenslabel.

Der neue Star im Museum Wiesbaden: Swifties kommen um die „Ophelia“ von Friedrich Wilhelm Theodor Heyser zu sehen. Taylor Swift hat in ihrem Video zu „The Fate of Ophelia“ wohl von Heyser abgekupfert. Friedrich Wilhelm Theodor Heyser, Ophelia, um 1900, Museum Wiesbaden, Sammlung F. W. Neess, Foto: Museum Wiesbaden/Bernd Fickert
Erster Hot Take schon gleich zu Beginn: Taylor-Swift-Fans haben’s auch nicht leicht. Bei der letztjährigen Eras-Tour 2024 suchten sie noch vergebens nach Gelsenkirchen (ihr Idol machte dort drei Mal Halt) – und jetzt die nächste deutsche Unbekannte. Where the f* is Gelsen … äh, Wiesbaden? Das fragen bestimmt gerade wieder einige Swifties in Richtung Social Media. Bevor sie sich dann doch in die hessische Landeshauptstadt aufmachen – ihr Stopp dort aber, schau, schau: Das Museum Wiesbaden. Alles nur, um sie zu sehen. Nicht Taylor, sondern „Ophelia“! Ein Stück Jugenstil von Friedrich Heyser, das lange kaum jemanden interessiert hatte. Zumindest keine Swifties. Dann aber kam Anfang Oktober Taylors neues Album. Und damit der Song „Fate of Ophelia“. Im dazugehörigen Video hat der US-Popstar unmissverständlich von Heyser abgekupfert. Und auch wenn ihre „Ophelia“-Inszenierung durchaus kritisch gesehen werden darf, dem Museum gefällt’s, nicht umsonst gibt’s Anfang November eine ganz spezielle Taylor-Swift-Führung (längst ausverkauft!). Wiesbaden hofft auf Swifties in Eras-Outfits. Mal ein bisschen Glitzer im Museum. Coole Pics. Und vielleicht auf die ein oder anderen, die bleiben. Und andere Künstler*innen sehen. Der Pechstein? Die Münter? Versammelt hängen sie da. Auch wenn die meisten kommen werden wegen Taylor Swift.
It’s all about the name!
Das würde ich mal nicht nur für den Pop, sondern auch für die (zeitgenössische) Kunst behaupten. Wir müssen heute also ein Name-Game spielen. Eines, so ganz ohne Namedropping. Geht das? In Südtirol wurde vor über zehn Jahren mal heftigst damit gespielt. 2014 war’s, als ein gewisser „Robbie Williams“ eine „Soloshow“ hatte – in einem Museum, in Bozen! Das Museion war’s, das die „Soloshow Robbie Williams“ auf dem Programm hatte – eine Mischung aus Experiment und Ausstellung. In der Nachbetrachtung durchaus spannend. Für all jene, die sich mit einem fiktiven Künstler namens Robbie Williams zufrieden gaben. Der Weltstar in Europa – ihr wisst schon, Take That, Solokarriere, Rock-DJ! – kam gar nicht angetanzt. Dafür wurde das Publikum angehalten, einmal über Machtverhältnisse und Genie-Kult in Kunst und Kultur nachzudenken. Was vergisst man leicht, wenn man Jeff Koons oder Marina Abramović hört? Die Menschen hinter den Kunstkulissen. Produzent*innen. Texter*innen. Techniker*innen. Der Schweißer von Nebenan. Und die Übersetzerin von Gegenüber.
Hinter der „Soloshow Robbie Williams“ stand damals übrigens, lasst uns diesen Namen unterstreichen, Natascha Sadr Haghigihan (und Uwe Schwarzer). Haghighian sei deshalb betont, weil sie sich mit ihrer Kunst (die immer auch Aktivismus ist) in den letzten Jahren bei Fragen um Identität/Machtverhältnisse/Kollektivität, man könnte salopp sagen, radikalisiert hat. 2019 wurde Natascha Sadr Haghighian damit beauftragt, den deutschen Pavillon der Biennale in Venedig zu gestalten – und Haghighian kam gar nicht. Also schon, aber sie schickte „Natascha Süder Happelmann“ vor – ein Pseudonym und Kondensat aller Fehlschreibungen und Autokorrekturen ihres iranischen Namens. Die Herangehensweise hatte Methode. Noch einige Monate vor der Biennale-Eröffnung hatte sich Haghighian in der Innsbrucker Gruppenausstellung „Accentisms“ eine Biografie einfach „ausgeliehen“. In Venedig trat sie zur Eröffnung des deutschen Pavillons dann mit einem riesigen Pappmaché-Stein auf dem Kopf auf. „Professorin Steinkopf“ – so hatte sie der Spiegel damals liebevoll genannt, sprach außerdem nicht. Die Fragen beantwortete stattdessen eine Dolmetscherin.
The artist’s name is not present
So ähnlich lief nun der jüngste Artist Talk im Kunsthaus Bregenz (KUB) ab – ein(e) Schelm(in), übrigens, wer dabei böse Parallelen ziehen will. In Vorarlberg sucht man den Künstler*innennamen aktuell überhaupt vergebens. Den Talk zum Ausstellungsbeginn am 10. Oktober ermöglichte erst ein Simultanübersetzer. Der/die Artist blieb anonym. Und bleibt es auch. Der Name ist geschwärzt. Das ist nicht nur fürs Haus eine Herausforderung. Was macht das eigentlich mit uns – in einer Zeit voller Social-Media-Ich-Darsteller*innen und einem digitalen Bilderstrom, deren Urheber eine künstliche Intelligenz ist?

Wir reden erst recht wieder über Namen. Über Menschen, Urheber*innen. Wir reden über Banksy! Und über André Heller – und über beide bitte künftig weniger. Wir schauen gern dorthin, wo steht, „the artist is present“. Was am Ende halt auch bedeutet: Mit dem heutigen Name-Game fallen wir genau darauf rein, was in Bozen, Innsbruck oder Bregenz versucht wurde und noch wird. Wir sprechen erst ganz am Ende dieses Textes über das Werk.
Darüber, dass im KUB Kunst gezeigt wird, die vor allem für Andere da sein wird. Auch, wenn die modulare Künstler*innenresidenz, eine riesige Installation im 3. Stockwerk des Kunsthauses, aus kühlem Aluminium sich erst einmal wie eine Art „Parasit“ im Ausstellungsort eingenistet hat. Benutzt werden darf ihn jetzt schon jeder und jede, der und die die Schau besucht. Nur besitzt werden, wird das Häuschen nie. Das Werk wird nicht verkauft. Also wohl höchstens geliehen. Was das heißt? Es bedeutet, nicht mitzuspielen im Game. Kein Kunstmarkt. Kein Renommee. Ist das dann noch Konzept oder schon Haltung? Oder bloß schnöder Verzicht? Was wir nicht vergessen dürfen: Ohne Namen und Biografie fallen für den*die Urheber*in der Werke ja auch die Meriten weg, die mit einer Ausstellung in einem renommierten Haus einhergehen.
Und das ist am Ende wirklich radikal. Radikaler als jedes Spiel. Und zwar für alle Seiten. KUB-Direktor Thomas D. Trummer verspricht sogar: Das Publikum wird nach diesem Experiment Ausstellungen künftig ganz anders sehen. In Wiesbaden gibt’s Glitzer. In Bregenz nüchternes Metall. Fix ist: Die Swifties kommen erst an den Bodensee, wenn auch die Namen wieder kommen.