Ein Interview mit dem Historiker und Podcast-Mitinitiator Lorenzo Vianini
Historiker Lorenzo Vianini, © Andreas Tauber
Historiker Lorenzo Vianini, © Andreas Tauber
Seit dem 24. September 2025 gibt es einen neuen Podcast made in Südtirol aufs Ohr. Shifting Borders heißt der zweisprachige Podcast in fünf Teilen, ein gemeinsames Projekt der Arbeitsgruppe Geschichte und Region/Storia e regione und des Center for Autonomy Experience der Eurac. Im Mittelpunkt von Shifting Borders steht die Erkundung sprachlicher, räumlicher, sozialer und Geschlechtergrenzen. Wer in die ersten beiden bereits erschienenen Folgen hineinhört merkt, Shifting Borders dient als akustischer Anstoß, um über die vielen Grenzen zu schauen, die unseren Alltag noch immer prägen. Durch die Episoden, die im Zwei-Wochen-Rhythmus bis 19. November 2025 erscheinen, führt der Bozner Historiker Lorenzo Vianini.
Wir haben mit dem Organisator, Koordinator, Mitinitiator und Moderator des Podcasts über diese neue Sichtweise auf die Gegenwart gesprochen.
Lorenzo, wie kam es zur Idee für diesen Podcast?
Der Verein Geschichte und Region wollte schon seit einigen Jahren die Reichweite seiner wissenschaftlichen Arbeit erweitern, um sie einem noch breiteren und vielfältigeren Publikum zugänglich zu machen als jenem, das bereits die Zeitschrift liest. So entstand die Idee, ein neues Medium auszuprobieren. Zu diesem Zweck wurde zuerst eine Arbeitsgruppe zusammengesetzt und ich habe mich dann im Zuge dessen um die Umsetzung einer ersten Staffel gekümmert.
Warum das Thema Grenzen?
Tatsächlich entstand zuerst der Podcast und dann sein Titel. Zum Teil ist es gerade die Brisanz des Themas Grenze für die lokale Geschichte, die ihn attraktiv macht. Wer jedoch eine Diskussion über den Brenner oder Salurn, über den unabhängigen Staat oder ähnliche Überlegungen erwartet, wird enttäuscht sein, denn die einzigen Grenzen, die verschoben werden, sind diejenigen, die für die Erforschung der Vergangenheit von Bedeutung sind. Wie bei der Zeitschrift hat auch hier Region nicht mehr die Konnotationen eines a priori definierten räumlichen Bereichs, der unabhängig von den betrachteten Epochen und untersuchten Objekten verwendet werden kann, sondern wird jedes Mal neu definiert, basierend auf den spezifischen Merkmalen der analysierten historischen Phänomene. Die verwendeten Grenzen sind daher funktional hinsichtlich des Standpunktes, von dem aus wir ein Phänomen betrachten wollen, um es besser zu verstehen oder in einem neuen Licht zu sehen. Beim Gegenüberstellen der Inhalte unseres Podcast fällt auf, dass selbst ein kleiner Ausschnitt eines Themengebiets bereits in einem kurzen Zeitraum zahlreiche Anregungen bieten kann, die dank der Verwendung verschiedener Methoden aufgegriffen werden können.
Weshalb erscheint der Podcast zweisprachig?
Die Zeitschrift ist seit jeher ein zweisprachiges Forum, das unter anderem auch ins Leben gerufen wurde, um die beiden Geschichtsschreibungen, sowohl die lokale als auch die des Dreiecks Italien-Österreich-Deutschland (und darüber hinaus!) einander näherzubringen. Diesen grundlegenden Charakter wollten wir beibehalten. Im Gegensatz zur Zeitschrift kann ein Podcast jedoch nicht mithilfe eines Wörterbuchs oder eines Übersetzungsprogramms in aller Ruhe gelesen werden. Deshalb haben wir versucht, den Podcast so zu gestalten, dass er für alle zugänglich ist. Wir haben zwar so wenig wie möglich in die andere Sprache übersetzt, bieten aber dennoch zumindest einige Sätze zur Kontextualisierung für diejenigen an, die nicht beide Sprachen fließend beherrschen.
Wie schwer ist es gegenwärtig ein Publikum für Themen der Südtiroler Zeitgeschichte zu begeistern?
Ich glaube die Öffentlichkeit, ob jung oder alt, wird im Moment mit Themen der Zeitgeschichte fast schon überflutet, wobei es sich jedoch größtenteils um Produkte von sehr geringer Qualität handelt. Angefangen bei den Unterschieden zwischen dem, was in der italienischen und der deutschen Schule gelehrt wird, bis hin zur abweichenden Sensibilität, mit der bestimmte Themen behandelt werden. Hier ist wirklich Vorsicht geboten! Positiv hervorzuheben ist die Tatsache, dass es in Südtirol in den letzten Jahren im Bereich der Lehre, aber auch in der Wissenschaft sehr viele gute Projekte und wichtige Fortschritte gab. Ich denke dabei an die Publikationsreihe Übergänge und Perspektiven, ein Geschichtsbuch zur Landesgeschichte für alle drei Sprachgruppen, kuratiert von Carlo Romeo und Martha Verdorfer oder auch an das Dokumentationszentrum im Siegesdenkmal. Um aber zurück zum Podcast zu kommen: Wir möchten im Podcast einem breiten Publikum jene Themen bieten, die normalerweise nur unter Fachleuten diskutiert werden, die es gewohnt sind, mit Quellen und Publikationen zu arbeiten. Viele wichtige Themen werden von der Öffentlichkeit ignoriert, auch weil oft nur Kontroversen und die damit einhergehende Sensationslust zählen.
Auf welche Themen und Gäste dürfen wir uns in den insgesamt fünf Episoden freuen?
Unsere Gäst:innen sind Teil des Forscher:innen-Netzwerks zur Regionalgeschichte. Obwohl nicht alle von ihnen in Südtirol leben, viele auch unterschiedliche Methoden und Quellen nutzen oder komplett verschiedene historische Epochen untersuchen, eint diese Expert:innen die Tatsache, dass sie allesamt Region als grundlegenden Rahmen für die Erforschung der Vergangenheit in den Mittelpunkt stellen. Im Podcast versuchen wir also die große Vielfalt der Themen und Ansätze, die bereits in der Zeitschrift behandelt werden, wiederzugeben. Ohne zu viel verraten zu wollen: In unseren ersten beiden Folgen, die bereits online sind, haben wir zum einen mit zwei der Gründer von Geschichte und Region/Storia e regione, nämlich Hans Heiss und Giuseppe Albertoni, über die ersten 30 Jahre der Zeitschrift, ihre Gründung und die erzielten Ergebnisse nachgedacht. Mit den Historikerinnen Siglinde Clementi und Lisa Settari hingegen haben wir über Frauen- und Gendergeschichte gesprochen. In Folge 3 sprechen wir mit der Wirtschaftshistorikerin Alice Riegler und mit dem Historiker Sebastian De Pretto über Umweltgeschichte und die Modernisierung der Alpen und in Folge 4 interviewen wir die beiden Historiker Rodolfo Taiani und Michael Wedekind zum Thema Bevölkerung. In der letzten Folge konzentrieren wir uns hingegen auf eine Vielzahl von Themen und Ereignissen, die mit der sogenannten Erinnerungskultur in Verbindung stehen. Anlass dafür sind der 500. Jahrestag des Aufstands von Michael Gaismair, der 80. Jahrestag der Befreiung und der 30. Todestag von Alexander Langer, die allesamt 2025 begangen werden. Hierzu haben wir mit dem Vorsitzenden der Michael-Gaismair-Gesellschaft, Josef Prackwieser, und mit der Präsidentin von Geschichte und Region, Adina Guarnieri, gesprochen, deren Stimme auch in allen fünf Folgen zu hören ist.