Contemporary Culture in the Alps
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„Zitierung einer Täuschung“

Xaver Gschnitzers „anSammlung:en assembla:menti“ bei Kunst im Gang[e] in Lajen

02.09.2025
Kunigunde Weissenegger

Xaver Gschitzer, © Peter Enrich

Er sucht die Metapher, braucht den Druck, um der Krise und Verzweiflung zu entwischen. Es geht um Fiktion. Immer. Fast. Seine Arbeiten sind Spiegel und Bühne, Emotion und Reflexion, unaufgeregte Anspannung. Konkret ist es ein Navigieren zwischen Feuerstrauß und Hyperartefakten, Chaos und Tsunami, Golddigging und content aware, Willi?Kanni?Moggi?Solli? und Am Ende war alles nur Kuchen. So die Werkstitel einiger Arbeiten. 

„anSammlung:en assembla:menti“ von Xaver Gschnitzer bei Kunst im Gang[e] in Lajen, © Peter Enrich

Auf Einladung von „Kunst im Gang[e]“ in Lajen zeigt Xaver Gchnitzer bis 12. September 2025 im Rathaus und in der angrenzenden Dorfapotheke 25 Arbeiten. Die Initiative im „öffentlichen Raum für Kunstschaffende und Menschen, die ihre persönliche Ausdrucksform zeigen möchten“ organisiert nun schon seit elf Jahren drei Ausstellungen pro Jahr. Spannend ist der Kontext im Loidner Gemeindebau: Bewusst oder unbewusst dringen die Werke in den Alltag vor, pendeln zwischen Amtsstube und Arztzimmer, Formularen und Aktenordnern, Krankenpflege und Apotheke, Ordnung und Vorschrift, Desinfektionsgelspender und Fluchtwegschild. Wo und wie verlaufen und vergleiten die Grenzen?

Sonnenuntergänge mag ich.
Xaver Gschnitzer 

Für seine aktuelle Ausstellung habe er von frühmorgens bis spätabends gearbeitet. Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang. Von Extrem zu Extrem. Von Tatsache zu Täuschung. Von Fläche zu Form. – Wenn Wirklichkeit in Traum kippt und Bewegung in Bedeutung, verlieren sich die Sinne in Fallschichten oder im Labyrinth des Lebens – des Künstlers und seiner Bildwelten …

Aus dem Œuvre von Gschnitzer schält sich eine Handschrift, die komplex und raffiniert zwischen Sein und Schein oszilliert und die Konfrontation von Analogem und Digitalem, Geplantem und Improvisiertem, Organischem und Künstlichem, Redundantem und Prägnantem sowie letztlich Kunst und Künstlichkeit und Künstlicher Intelligenz entlarvt – oder doch nur vortäuscht?

Eine Frage an ihn: Wo bleibt der Künstler, wenn alles gesagt, getan und maschinell hergestellt werden kann?
Xaver Gschnitzer: Keine Ahnung. Vieleicht sucht man sich irgendwas anderes. Vielleicht sollte man der Klempner oder Elektriker der Kunst werden, der in einer Nische arbeitet, die nicht so leicht von Maschinen übernommen werden kann. I don’t know…

„anSammlung:en assembla:menti“ von Xaver Gschnitzer bei Kunst im Gang[e] in Lajen, © Peter Enrich

Zu Fratzen geschmolzen mustern uns gleich zu Beginn beim Betreten der Ausstellung vier mit Metall gefasste – und wir sind es nicht mehr – Gesichter. Festplatten – die Gehirne eines Computers, vernichtet und verwandelt, im Backofen. Xaver Gschnitzer ist nicht einer, der Gedankensprünge macht. Er vollstreckt Illusionshochsprünge zwischen Materiellem und Virtuellem. Und bringt nicht nur uns, sondern auch sich selbst in die Bredouille.

Mit dem Ende der Ausstellung distanziere ich mich natürlich von meinen Werken und möglichen emotionalen Auswirkungen auf die Betrachtenden.
Xaver Gschnitzer

Das Material, dessen Gschnitzer sich bedient, ist multiplex und komplex: Festplatten und Fimo, Gipsbandagen, Styrodur, Fotopapier, Renderings, Acrylfarben, altes Holz, Feuerzeuge. Es verdichtet, fordert und heilt. Gschnitzers Werke sind vielschichtig und in ihrer Leichtigkeit bedeutungsschwer. Und immer muss die Umsetzung Sinn stiften.

„anSammlung:en assembla:menti“ von Xaver Gschnitzer bei Kunst im Gang[e] in Lajen, © Peter Enrich

Wenn er für eine seiner Arbeiten von Karma is a Bitch zu Carmen ist eine Frau assoziiert, stellt er uns hart auf die Probe: Verlagern wir beim Betrachten das Gewicht, sehen wir plötzlich alles andere als Augen, Nase, Mund. Wenn er sich zwischen Skulptur und Malerei bewegt, ist die Illusion seine stete Begleiterin. Kokett lässt Gschnitzer Grenzen verschwimmen, treibt das Trompe-l'Œil ins Extrem. In (s)einer Scheinwelt werden auch unsere Sinne getäuscht, vielleicht sogar enttäuscht.

Xaver Gschnitzer, wie groß ist dein Wille zur Täuschung? 
Xaver Gschnitzer: Nicht groß. Eher nur ein kleines Antäuschen – wie im Fußball. Die Zitierung einer Täuschung. Am Ende der Ausstellung geht es mir selbst hauptsächlich darum, dass die Falschen sich angegriffen und die Richtigen sich aufgefangen fühlen.

Carmen ist eine Frau, Xaver Gschitzer, © Kunigunde Weissenegger/franzmagazine

Aufgewachsen ist Xaver Gschnitzer, Jahrgang 1987, in Gossensaß, dort lebt und arbeitet er derzeit auch. Nach der Grafikschule in Brixen studierte er von 2009 bis 2016 an der Angewandten in Wien Transmediale Kunst in der Klasse von Brigitte Kowanz. Ihn interessierte das Medienübergreifende und Interdisziplinäre dieses Studiums mit Schwerpunkten auf Skulptur, Video und Performance. Den Zugang zur Bildhauerei fand er über Graffiti und 3D, sie prägt sein bisheriges Schaffen. Die Fotografie bindet er ab und zu als Inspiration ein. Zu sehen waren seine Arbeiten letzthin bei Ausstellungen vom Circolo Erardo in Brixen sowie vom LURX in Sterzing (dessen Tätigkeit er als Vizekanzler mitprägt) und nun in der Soloshow bei Kunst im Gang[e] in Lajen. Unbestätigten, letzten Infos zufolge soll er zurzeit schon an seiner nächsten Ausstellung arbeiten – von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang. Die blaue Fahne weht noch lange nicht … 

„anSammlung:en assembla:menti“ von Xaver Gschnitzer bei Kunst im Gang[e] in Lajen, © Peter Enrich

Mit auf den Weg durch die Ausstellung gibt uns Xaver Gschnitzer noch eine Audioführung – vom Hauptraum zum Arztzimmer, dann ins Stiegenhaus und in die Apotheke.

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Tags

lajen, Xaver Gschnitzer, Kunst im Gange , ansammlungen, assemblamenti, Trompe-l'Œil, Täuschung
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