Auf ein Wort mit Felix Rier, Regisseur von „Despite the scars“
Despite the scars, © Felix Rier
I felt so much that I stopped feeling anything because I saw myself dying. But I speak openly about it because we should not stay silent about things that matter.
Despite the Scars (zu deutsch: Auch wenn Narben bleiben) heißt das von Helios Sustainable Films produzierte Debüt des Seiser Regisseurs, Kameramanns und Tontechnikers Felix Rier. Vier Jahre lang begleitete Rier mit seiner Kamera die junge Choreografin Thea Malfertheiner, die nach einer brutalen Gruppenvergewaltigung den Weg des Tanzes wählt, um ihr emotionales und körperliches Trauma zu heilen. Als Thea schließlich Mutter wird, stellt sich für sie die Frage: Ist wahre Heilung jemals möglich?
Im Juni 2025 feierte Despite the Scars seine erfolgreiche Premiere auf dem Biografilm Festival in Bologna. Für franzmagazine habe ich mich nun mit Felix Rier über sein beeindruckendes Erstlingswerk unterhalten.
Felix, du hast eine enge Verbindung zur Protagonistin Thea. Kannst du vielleicht kurz erzählen, woher ihr euch kennt?
Thea und ich kennen uns schon seit unserer Kindheit. In unserer Jugend waren wir fast fünf Jahre ein Paar – sie war meine erste große Liebe. Auch wenn sich unsere Beziehung verändert hat, ist die Verbindung zwischen uns immer stark geblieben. Und gerade dieses über Jahre gewachsene Vertrauen war die Grundlage für den Film. Er entstand nicht mit dem Blick von außen, sondern aus einer Beziehung, die von Nähe, Zuhören und Mitgefühl geprägt ist.
Inwiefern hat eure Freundschaft und eure gemeinsame Vergangenheit deine Arbeit am Film beeinflusst?
Natürlich hat unsere Nähe den gesamten Prozess geprägt, denn ich war nicht nur Filmemacher, sondern auch ein nahestehender Freund. Und diese Rollen wurden immer wieder aufs Neue verhandelt. Oft war ich unsicher, ob und wann ich überhaupt die Kamera in die Hand nehmen sollte, weshalb die Drehzeiträume immer mehrere Wochen dauerten, um ganz auf Theas Gefühlswelt Rücksicht zu nehmen. Es gab Tage, an denen wir ganz bewusst gesagt haben: Heute drehen wir nicht, heute sind wir einfach nur da. Dieser Film existiert nur, weil Thea ihre Geschichte erzählen wollte, und meine Aufgabe war es, diesen Raum mit größter Sorgfalt zu bewahren.
Gleichzeitig war da aber auch eine komplexe Verantwortung – gegenüber Thea, aber auch gegenüber einem zukünftigen Publikum. Ich wusste, dass ich mit ihrer Geschichte etwas sehr Intimes festhalte, und gleichzeitig wollte ich sie nie instrumentalisieren oder emotional überformen. Auch die Kameraarbeit, die ich selbst übernommen habe, war eine besondere Herausforderung: Wie filmt man Schmerz, ohne ihn auszubeuten? Wie zeigt man Nähe, ohne aufdringlich zu werden?
Wie war es für dich als Mann, einen Film über männliche sexualisierte Gewalt zu drehen?
Das war eine große Herausforderung, vor allem emotional und politisch. Als Mann Teil dieses Systems zu sein, bedeutet auch, sich selbst zu reflektieren: Wo bin ich Teil einer Welt, die Gewalt ermöglicht oder übersieht? Welche Sprache finde ich, ohne zu vereinnahmen? Ich habe versucht, zuzuhören, Raum zu geben und nicht zu schnell zu deuten. Ich glaube, es ist wichtig, dass auch Männer Verantwortung übernehmen, ohne sich in den Mittelpunkt zu stellen, ihre Privilegien reflektieren, sich emanzipieren und aktiv an der Gestaltung einer egalitären Zukunft teilnehmen und mitwirken.
Ist eine absolute Genesung nach einem so traumatischen Ereignis überhaupt möglich?
Ich denke, Heilung sieht für jede Person anders aus. Doch ich persönlich glaube nicht an eine vollständige „Heilung“ im klassischen Sinne – nicht im Sinne eines Zurückgehens zu dem, was vorher war. Aber was ich bei Thea gesehen habe, ist, dass es Bewegung gibt. Es gibt Kraft, Rückschläge, Freude, Wut, Liebe. Dass Schmerz bleiben kann und trotzdem Platz für neue Perspektiven entsteht. Dass man Entscheidungen trifft – manchmal täglich –, wie man mit dem Erlebten leben will. Und vielleicht bedeutet Heilung genau das: weiterzuleben – auch wenn Narben bleiben.
„Despite the Scars“ hat beim Biografilm Festival in Bologna gleich zwei bedeutenden Auszeichnungen erhalten: den Verleihungspreis Arci Ucca „L’ Italia che non si vede“ und die besondere Erwähnung Hera „Neue Talente“. Was bedeuten dir diese Anerkennungen?
Es freut uns sehr, dass der Film Anerkennung findet – vor allem, weil es auch eine Anerkennung für Theas Mut ist. Sie hat sich entschieden, ihre Geschichte öffentlich zu machen, um das Schweigen zu brechen und vielleicht der einen oder anderen Person Hoffnung zu schenken. Gleichzeitig bedeutet uns diese Anerkennung auch persönlich viel – nicht nur, weil es mein Erstlingswerk ist, sondern weil viele Beteiligte wie Anna Schweitzer (Ton), Angela Disanto (Schnitt) und Matilde Ramini (Sounddesign) enge Wegbegleiterinnen aus dem gemeinsamen Studium an der Zelig Schule für Dokumentarfilm waren. Dass wir nun mit unserem ersten gemeinsamen Projekt außerhalb der Schule solche Resonanz erfahren, ist für uns alle etwas ganz Besonderes.
Welches Publikum wünschst du dir für euren Film?
Ich wünsche mir ein diverses Publikum – Menschen, die selbst Erfahrungen mit Gewalt gemacht haben, genauso wie Menschen, die vielleicht noch nie über das Thema nachgedacht haben. Wir brauchen mehr Zuhören, mehr Empathie und mehr Raum für die Komplexität, die sexualisierte Gewalt immer mit sich bringt.
Wird dein Film auch bald in Südtirol gezeigt?
Ja, das ist auf jeden Fall geplant. Es ist uns wichtig, den Film auch dort zu zeigen, wo unsere Wurzeln sind. Wir stehen bereits im Austausch mit Kinos und Initiativen vor Ort und warten aber noch auf Rückmeldungen einiger Festivals. Sobald es Termine gibt, sagen wir natürlich sofort Bescheid.