Liebe als Widerstand, Kunst als Kollektiv

„The Power of Love“ – Einzelausstellung des Innsbrucker Fluoro Fleece Kunstkollektivs im LURX in Sterzing

27.06.2025

© Peter Enrich

Zerbrechlich, bunt, politisch: Im LURX – Raum für Kunst und Kultur in Sterzing flattert derzeit nicht nur Kunst von der Decke, sondern auch das Versprechen, dass Liebe mehr sein kann als ein rosarotes Gefühl. Die Ausstellung The Power of Love des Innsbrucker Fluoro Fleece Kunstkollektivs verwandelt den Kunstraum in einen fiebrigen Zwischenraum – zwischen Karaoke und Protest, zwischen Fahne und Maske, zwischen Hingabe und Widerstand.

Der Protestmarsch für die Liebe durch Sterzing zur Ausstellungseröffnung von „The Power of Love“, © Peter Enrich

Sieben künstlerische Positionen – sechs reale, ein kollektives Alter Ego – begegnen sich hier in einer Ästhetik, die sich nicht entscheiden will zwischen Kitsch und Kritik, zwischen Spiel und Ernst. Die Besucher:innen betreten keinen stillen White Cube, sondern einen Ort, der performt, plakatiert, provoziert. Vom Multschermuseum bis ins LURX führte zur Eröffnung am 16. Mai 2025 ein Marsch der Liebe, begleitet von schwingenden Bannern, flirrenden Masken und Parolen der Zärtlichkeit. Und im Inneren offenbart sich noch für den Rest des Monats eine Karaoke-Bühne, hängende Stofffragmente wie Bruchstücke eines Traums, ein Aufruf zur Teilnahme. Wo fällt die Liebe hin ­– und was bleibt zurück?

Eingeladen wurde das Kollektiv vom Sterzinger Kulturverein LURX, der sich seit Jahren für offene Formate zwischen Kunst, Musik, Theorie und sozialer Praxis engagiert. Der Verein fungiert als Plattform für Positionen, die sich institutioneller Reibung nicht entziehen, sondern sie gezielt suchen – mit Fokus auf die Region, aber offen für den Austausch darüber hinaus. In diesem Fall: ein Kollektiv, das sich Ende 2024 am Mozarteum Innsbruck gegründet hat, bestehend aus Alena Schneider, Alexander Bachmann, Clemens Gächter, Hannah Achrainer, Laura Berger-Schiestl und Janine Lou Anne.

Man muss sich vorstellen, dass man erkennt, was man so sehr liebt – wie zum Beispiel ein Zaun vor der Haustür, den man unbedingt rot oder blau anmalen will. Den liebt man so sehr, dass man sich sogar mit der Gemeinde auf eine Diskussion einlassen könnte. Zentral ist, dass man für die Sachen einsteht, die einem wichtig sind, und dass man sich auch traut, darüber nachzudenken und dann auch mit anderen Leuten darüber zu sprechen. Wichtig ist, dass auch ein Dialog dabei entsteht …
Fluoro Fleece Kunstkollektiv

Ihre Arbeit bewegt sich zwischen Ausstellung und Happening, zwischen poetischer Geste und gesellschaftlicher Intervention. Im Zentrum ihrer künstlerischen Praxis steht der Versuch, Kunst niederschwellig erfahrbar zu machen: sinnlich, zugänglich, offen. Ihre Mittel sind bewusst vielstimmig – Stoff, Kland, Performance, Objekt, Sprache. Was sie verbindet, ist eine Haltung, die Ernsthaftigkeit nicht über Schwere definiert, sondern über Energie, Humor und Nähe. Spaß ist dabei kein Nebeneffekt, sondern Ursprung der Zusammenarbeit und Methode künstlerischer Widerständigkeit.

Plakataktion im öffentlichen Raum von Sterzing im Rahmen von „The Power of Love“, © Hannah Achrainer
About the authorLudwig MehlerIch lebe seit vier Jahren in Bozen und studiere Kommunikations- und Kulturwissenschaften. Mich begeistert alles, was aus ehrlicher [...] More
Die Ausstellung ist zugleich Teil des heurigen Gaismair-Jubiläumsjahres, das unter dem Motto Mitmischen! Ma come? an den 500. Jahrestag der Tiroler Bauernaufstände um Michael Gaismair erinnert. Der Tiroler Bauernführer, der im 16. Jahrhundert eine radikal-demokratische Neuordnung der Gesellschaft forderte, wird zum historischen Ankerpunkt für aktuelle Fragen rund um Protest, Teilhabe und den Traum von einem anderen Miteinander. In diesem Kontext erscheint The Power of Love nicht als romantischer Eskapismus, sondern als ernsthafte Versuchsanordnung: Was, wenn Liebe nicht nur privat bleibt, sondern politisch wird? Nicht als Gefühl, sondern als Haltung? 

Im öffentlichen Raum von Sterzing schlägt diese Haltung bereits Wellen: Alte Werbeplakate wurden vom Kollektiv in Träger von Liebesbotschaften verwandelt, die Ausstellung selbst läuft bis 28. Juni 2025 und ist dienstags und samstags vormittags sowie Freitag abends zugänglich. Danach wandert ein Teil der Arbeiten weiter ins Multschermuseum, wo sie ab Juli im Rahmen der Ausstellung Den Aufstand proben neue Kontexte eröffnen.

Doch wie kam es eigentlich zum zärtlichen Verbund aus Kunst und Protest, Karaoke und Theorie, Mozarteum und Multschermuseum? Und was bedeutet Liebe für ein Kollektiv, das genau darin seine politische Sprache findet? Darüber habe ich mit dem Fluoro Fleece Kunstkollektiv gesprochen.
Das Fluoro Fleece Kunstkollektiv um Alena Schneider, Alexander Bachmann, Clemens Gächter, Hannah Achrainer, Laura Berger-Schiestl und Janine Lou Anne, © Fluoro Fleece Kunstkollektiv

Wie ist das Fluoro Fleece Kunstkollektiv entstanden – was hat euch sechs als Gruppe zusammengebracht?
Das Fluoro Fleece Kunstkollektiv ist entstanden aus unserem Verlangen danach, uns proaktiv in die Kunstszene zu integrieren. Wir wollten nicht darauf warten, dass uns etwas zugeflogen kommt bzw. dass wir viele Bewerbungsprozesse durchlaufen, sondern unsere Räume selbst schaffen. Grundsätzlich besuchen wir alle die gleiche Fakultät am Mozarteum, haben uns dort kennengelernt und über die Jahre auch freundschaftlich angenähert, dabei viel Zeit mit Kunst verbracht, mit Kunst-machen, mit Kunst-denken, mit Kunst-schauen … Und dadurch ist dann irgendwann der Endgedanke entstanden, uns als Kollektiv zusammenzubringen und proaktiv unsere eigene Kunstwelt zu schaffen.

Wenn ihr euch als vielseitiges Kollektiv in einem Satz beschreiben müsstet, was macht eure künstlerische Arbeit als Kollektiv aus?
Der Ausgangspunkt unserer künstlerischen Zusammenarbeit ist Spaß. Wir empfinden Spaß als größten Reiz, den wir empfinden können, und den wir auch bei der Entwicklung unserer Ideen und bei der Zusammenarbeit verspüren wollen. Es ist nicht immer leicht, aber es bleibt unser oberstes Prinzip, dass unsere künstlerische Zusammenarbeit Spaß machen muss. [lachen]

Eure Ausstellung trägt den Titel „The Power of Love“. Was bedeutet diese „Kraft der Liebe“ für euch – persönlich und künstlerisch?
Persönlich sind wir alle in unserem persönlichen Empfinden und haben uns aufs Kollektiv konzentriert. Wir haben uns das Wort Liebe so richtig groß aufgeblasen, haben uns darin verloren, damit man eben wegkommt von den allgemeinen Begrifflichkeiten – und um auf die Suche zu gehen. Danach, was wir eigentlich alles lieben. Wir wollen auch die Besucher:innen dazu einladen, sich selber in dem Fiebertraum zu verlieren, und vielleicht entdeckt man dann ja mal etwas, das man liebt, obwohl man sich es nie gedacht hätte. Und das ist wichtig.

Karaoke bei der Ausstellungseröffnung von „The Power of Love“, © Peter Enrich

Wie kam es zur Verbindung mit dem Gaismair-Jubiläumsjahr? Was hat Protest mit Liebe zu tun?
Die Verbindung zwischen uns und dem LURX-Verein ist durch eine der Kuratorinnen entstanden, die bisherige Arbeiten von einem von uns kannte, welche immer im öffentlichen Raum stattgefunden haben. Sie hat das als Protestform auch sehr gut interpretiert und die Verbindung dann hergestellt.
Für uns hat Protest sehr viel mit Liebe zu tun. Also man muss sich vorstellen, dass man für eine Sache so sehr brennt, dass man öffentlich auftritt und dafür einsteht, diese Sache einfordert. Das hat unbedingt mit Liebe zu tun, das hat alles mit Liebe zu tun.

Die Ausstellung wirkt wie ein Erlebnisraum – mit Fahnen, Karaoke, Masken und performativen Elementen. Welche Rolle spielt das Publikum bei dieser Arbeit?
Also so wie unsere Ausstellung aufgebaut war, vom performativen Marsch gemeinsam mit dem Publikum bis hin zum Ausstellungsraum und dann das Karaoke und das Weiter-im-Raum-Sein oder Vor-dem-Raum-Stehen … das war eigentlich wie ein An-die-Hand-Nehmen des Publikums. Und der Wille, sie durch unsere Gedanken, durch unsere Überlegungen mitzureißen und durchzuführen. Wie wir ja schon erwähnt haben, war der Begriff der Liebe und das Sich-Verlieren in dem Wort ein Sich-Wiederfinden in einem Fiebertraum. Und da haben wir durch die Ausstellung versucht, die Besucher:innen genau da abzuholen und sie mit reinzureißen in unseren Kopf und mit ihnen gemeinsam zu entdecken, was Liebe ist, was Liebe für uns alle ist.

Der Protestmarsch fand sein Ende im Ausstellungsraum des LURX, © Peter Enrich

Ihr arbeitet mit starken Kontrasten: Kitsch und Kritik, Poesie und Protest. Wie haltet ihr diese Gegensätze zusammen?
Ja, es sind Kontraste, aber genau die Kontraste bewirken, dass man das hervorheben kann, das Eine und das Andere. Und zwar auf eine humorvolle, leichtere Art vielleicht, als wenn es nur der Kitsch ohne den Add-on von einer Kritik wäre. Oder die Poesie – ohne dem Add-on von einem Protest. Also es klingt vielleicht kitschig, aber da ist auch ein bisschen Ernst dabei – das macht uns auch aus.

Wie wichtig ist es euch, dass Kunst „Spaß machen“ darf – gerade wenn sie politisch ist?
Wir denken, dass es keine aktive Entscheidung ist, dass die Kunst, die wir machen, Spaß machen darf. Das ist etwas, das automatisch passiert in unserem Kollektiv – einfach weil 6 unterschiedliche Menschen aufeinandertreffen, die nicht nur beruflich miteinander arbeiten, sondern auch auf einer tieferen Ebene miteinander funktionieren. Gerade wenn es um Politik geht, ist Spaß ganz ein gutes Tool, um sich damit zu beschäftigen, zu reflektieren, und aktiv etwas daran ändern zu wollen und dann auch zu ändern – und, … auf die Straße zu gehen.

Was wünscht ihr euch, dass Besucher:innen nach dem Besuch von „The Power of Love“ mitnehmen – gedanklich, emotional oder vielleicht sogar ganz konkret?
Für uns war ganz wichtig zu denken: Wenn die Besucher:innen in diesen Raum gehen, was können oder dürfen sie mitnehmen? Ganz grundsätzlich, dass Kunst nicht immer ernst sein muss, sondern dass Kunst auch zum Lachen anregen darf, durch lustige Verkörperungen oder bildliche Darstellungen, über die man ernste Themen anspricht. Ganz wichtig ist auch, dass die Menschen, die sich diese Ausstellung ansehen, dazu angeregt werden, ihre eigene Message in den öffentlichen Raum zu tragen … und das hinauszubringen in die Welt. Sei es durch ihre eigene Art oder auch durch das Protestieren für etwas. Und dass das Protestieren nicht immer gegen etwas gerichtet sein muss, sondern auch für etwas sein kann. Zum Beispiel eben für die Liebe ... Uns ist ganz wichtig, dass man die Kunst in dem Raum auch anschauen darf und dabei lachen kann. Dass man etwas lustig finden kann und trotzdem angeregt wird, darüber nachzudenken und so in Dialog zu treten mit dem, was man sieht. Und da spielt Humor, wie schon bei der vorigen Frage, eine ganz wichtige Rolle.

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