Zerrissen, aber (zusammen)haltend

Das Kunstkollektiv Brenner-Havelka-Plessl mit seiner ersten Einzelausstellung in Kaltern

07.06.2025

Nick Havelka, Michael F. Plessl und Max Brenner (v. l.), © Daniel Kindler

Der Weg führt durch das Südtiroler Frühjahr, über Reben und sanft gespannte Hänge, hinab ins Zentrum von Kaltern, wo sich Stille in dicken Mauern sammelt. Die Galerie Gefängnis Le Carceri war einst ein galerieloses, echtes Gefängnis. Jetzt flackert dort Licht auf zerschlissene Oberflächen, Papierfetzen, Wunden. broken-yet-holding nennt sich das, was dort gerade zu sehen ist – eine Ausstellung, die sich nicht aufdrängt, sondern hineinzieht.
Es ist die erste Einzelausstellung des italienisch-tschechisch-österreichischen Kunstkollektivs Brenner-Havelka-Plessl. Schon der Titel verweist auf die Ambivalenz, die sich durch die Schau zieht: zwischen Verletzlichkeit und Widerstand, Fragmentierung und Neuordnung. In einem Raum, der einst der Isolation diente, öffnen drei Künstler intime Einblicke in kollektive und persönliche Prozesse psychischer Transformation.

Ausstellungseröffnung „broken-yet-holding“ am 29. Juni 2025, Galerie Gefängnis Le Carceri, © Daniel Kindler

Das Kollektiv – Max Brenner, Nick Havelka und Michael F. Plessl – fand sich während des Studiums an der Angewandten in Wien. Unterschiedliche Handschriften verbinden sich zu einem Ausdruck, der auf Empathie zielt. Brenners postdystopische Bildwelten, Havelkas Offenheit im Umgang mit psychischer Gesundheit, Plessls konzeptuelle Suche nach dem Wesentlichen – gemeinsam schaffen sie Kunst über mentale Prozesse und innere Zustände.
Sie behaupten keine Wahrheit über mentale Gesundheit, sondern machen individuelle Erfahrungen sichtbar. In Havelkas Werk I’m fine!? etwa wird manische Depression in Bilder, Texte und Klänge übersetzt. Plessl lässt Verwaltungsakte zu Rauminstallationen werden, Brenner überfordert bewusst: Reizflut als Strategie gegen Abstumpfung.

broken-yet-holding zeigt Transformation als Methode. Fragmente werden nicht versteckt, sondern montiert: in Papiercollagen, überlagerten Schichten, performativen Arbeiten. Die Frage nach Identität, Verletzbarkeit, Selbstbestimmung steht im Raum – ohne sie abschließen zu wollen. Was das Kollektiv ausmacht, ist nicht Konsens. Sondern der Versuch, gemeinsam zu fragen. Wie lässt sich psychisches Leid zeigen? Wie sehr ist der Körper Speicher? Was kann Kunst überhaupt heilen?
Dass diese Fragen nicht im White Cube, sondern in einem ehemaligen Gefängnis gestellt werden, ist kein Zufall. Wo einst Menschen weggesperrt wurden, entfalten sich jetzt Narrative über innere Gefangenschaft, über Brüche und Heilung. Die Schritte hallen. Das Schweigen spricht.
Die Ausstellung soll dabei mehr als ein Werkensemble sein – ein Raum der Auseinandersetzung. Und für ein leises, klares: Wir sind da, und wir sind nicht allein.

Eindrücke aus „broken-yet-holding“ in der Galerie Gefängnis Le Carceri in Kaltern, © Daniel Kindler

Im Interview mit franz erzählt das Künstler-Trio von kollektiver Arbeit und Selbstbestimmung, von gruppeninternen Trialogen und Dialogen zwischen Ausstellungsort und künstlerischer Produktion. Wir lauschen gespannt …

About the authorLudwig MehlerIch lebe seit vier Jahren in Bozen und studiere Kommunikations- und Kulturwissenschaften. Mich begeistert alles, was aus ehrlicher [...] More
Brenner-Havelka-Plessl, ihr habt euch im Zuge eurer Studien an der Angewandten in Wien kennengelernt. Was hat euch zur Zusammenarbeit in diesem multidisziplinären Kollektiv bewegt?
Unsere Zusammenarbeit entstand aus dem gemeinsamen Studium an der Universität für angewandte Kunst Wien, wo der kontinuierliche Austausch – das gemeinsame Sprechen, laut Denken, Hinterfragen und Diskutieren – fester Bestandteil der künstlerischen Ausbildung war. Im Zuge der Zentralen Künstlerischen Fächer werden Arbeiten den Abteilungen präsentiert, um kritisch reflektiert und im Dialog weiterentwickelt zu werden. Obwohl wir sehr unterschiedliche Persönlichkeiten mit verschiedenen Schwerpunkten sind, teilen wir grundlegende Werte, eine gemeinsame Vision und den Wunsch, durch die Verbindung unserer Kompetenzen neue Ausdrucksformen zu schaffen. Im Kollektiv entsteht eine Reibung, die wir als produktiv erleben – sie fordert uns heraus und schärft unsere Positionen. Das gemeinsame Arbeiten bedeutet für uns nicht nur Unterstützung, sondern auch die Freiheit, uns von gewohnten individuellen Arbeitsweisen zu lösen. Unsere Multimedialität und Mehrsprachigkeit ermöglichen es, ein breiteres Publikum anzusprechen – mit Arbeiten, die aus einem lebendigen Geflecht aus Gedanken, Beziehungen und Kontexten entstehen.
Skin, Brenner-Havelka-Plessl, © Daniel Kindler

Was schafft das kollektive Arbeiten kommunikativ, was die individuelle Arbeit nicht schafft? 

Kollektives Arbeiten bedeutet, Entscheidungen nicht allein, sondern im permanenten Dialog zu treffen – ein Prozess, der zeitaufwendig, herausfordernd und oft auch konfliktbehaftet ist, aber genau darin seine Qualität und Stärke entfaltet. Im Austausch prallen Perspektiven aufeinander, werden Ideen dekonstruiert, analysiert und neu zusammengesetzt. Das Sechs-Augen-Prinzip schafft Tiefe: Es entstehen intensiv durchdachte und gemeinsam zerlegte Lösungen, die über individuelle Zugänge hinausgehen. Dieser Prozess braucht Vertrauen – einen mentalen Safe Space, in dem kritisches Hinterfragen nicht als Angriff, sondern als Chance verstanden wird. Unsere Kommunikation basiert auf Offenheit, Respekt und einem geteilten Ziel: durch Diskussion zu Erkenntnissen zu gelangen. In einer Zeit zunehmender Unsicherheiten sehen wir genau darin eine Notwendigkeit – Themen, die uns als Gesellschaft betreffen, gemeinsam zu verhandeln, statt diese dem Mythos des einzelnen Künstler:innen-Genies zu überlassen. Der Trialog als kollektive Arbeitsweise ist für uns nicht nur Methode, sondern vor allem eine Haltung, die andere Stimmen zulässt und Raum für Reibung schafft.

Auszüge aus der Werkreihe „Fragment“, Brenner-Havelka-Plessl, © Daniel Kindler

Wie funktioniert eure Kollaboration im Kollektiv? Ist der Ausgangspunkt immer eine gemeinsame Idee? 
Wir bringen unterschiedliche Stärken und Erfahrungen ins Kollektiv ein, die sich ergänzen: Max bringt fundiertes Wissen im Umgang mit großen Institutionen und handwerklicher Produktion ein. Nick überzeugt mit seinem feinen Gespür für detailgetreue Skizzen und schafft durch Offenheit und Transparenz einen Raum für kooperative Impulse. Michael schafft mit klaren Konzepten und minimalistischen gestalterischen Entscheidungen das kollektive Grundlinienraster, auf dem wir uns bewegen. 
Mentale Gesundheit ist ein zentrales Thema für uns: Sie bildet den Rahmen, in dem wir gemeinsam kreativ und produktiv sein können. Der Ausgangspunkt für unsere Arbeit kann vielfältig sein – eine gemeinsame Idee, ein gesellschaftliches Thema, ein spannender Ort oder sogar ein spontanes Gespräch. Wichtig ist, dass ein einzelner Impulsgeber den ersten Funken entfacht, den wir dann im Austausch gemeinsam hinterfragen, zerlegen und analysieren. So entstehen aus kleinen Ansätzen, Bruchstücken und Gedankenfetzen stimmige Konzepte. Unsere Arbeitsweise ist flexibel und wird projektspezifisch angepasst. Wir entwickeln für jedes Projekt ein individuelles Organisationssystem, das unsere unterschiedlichen Stärken und Netzwerke berücksichtigt. Dabei versuchen wir, synchron und effizient zu bleiben und unsere Handschriften gleichzeitig zu brechen und zu ergänzen, um etwas Einzigartiges entstehen zu lassen.

Performance Straitjacket – Experimentelles Aktzeichnen, Brenner-Havelka-Plessl, © Daniel Kindler

In eurer Arbeit sprecht ihr von einem Transformationsprozess, bei dem alte Verhaltensweisen und Vorurteile abgelegt werden, um eine neue Identität zu schaffen. Wie selbstbestimmt kann kollektives Arbeiten dennoch sein?

Die Selbstbestimmung im kollektiven Arbeiten ist eng mit der Struktur unserer Zusammenarbeit verbunden, die wir in unserem Arbeitsvertrag geregelt haben. Dort heißt es in der Initiativklausel (§5): „Jedes Mitglied des Kollektivs hat das Recht und die Pflicht, sich aktiv an der Initiierung und Umsetzung von Projekten zu beteiligen. Diejenige Person, die sich zur Leitung oder Umsetzung eines Projekts erklärt, übernimmt die Projektverantwortung (Projektverantwortliche:r). Die projektverantwortliche Person ist befugt, im Rahmen des jeweiligen Projekts alle notwendigen Entscheidungen zu treffen und trägt die operative Verantwortung gegenüber dem Kollektiv. Grundsätzlich sollen Entscheidungen konsensorientiert erfolgen, jedoch hat die projektverantwortliche Person das Recht, im Sinne des Projekterfolgs final verbindliche Entscheidungen zu treffen, sofern kein Konsens erzielt wird.“
Dieser klare Rahmen schafft Raum für individuelle Selbstbestimmung innerhalb eines kollektiven Prozesses. Im Vergleich zum Solo-Dasein, in dem Künstler:innen oft durch begrenzte Ressourcen und Marktzwänge eingeschränkt werden und dazu neigen, sich auf wiederholte Produktionsmuster zu beschränken, bietet die kollektive Arbeit erweiterte Möglichkeiten.
Wir erleben, dass viele Solo-Künstler:innen unfreiwillig in eine Art kreative Selbstkopie verfallen – sie reproduzieren jahrelang dieselben Ästhetiken oder Ideen, weil der Druck der eigenen Kapazitäten und des Marktes sie limitiert. Kreativität bedeutet für uns jedoch vor allem, ständig neue Ideen zu entwickeln und diese konsequent umzusetzen, statt sich auf das Produkt und seine Wiederholungen zu fokussieren.
Die kollektive Struktur und die im Vertrag verankerte Initiativklausel ermöglichen es uns, uns kreativer auszuprobieren, offen zu bleiben für Wandel und Innovation – und dabei dennoch klare Verantwortlichkeiten zu haben. So schaffen wir eine Balance zwischen individueller Freiheit und gemeinschaftlicher Verpflichtung.

Auszüge der Werkreihe „Sheds“, Brenner-Havelka-Plessl, © Daniel Kindler

Warum habt ihr als Kollektiv den Themenschwerpunkt der mentalen Gesundheit bzw. psychischer Erkrankungen gewählt? Was gilt es, daran zu enttabuisieren? 

Wir bieten keine Anleitung für ein besseres Leben. Unser Ziel ist es, psychische Erkrankungen wie Angststörungen oder Depressionen sichtbar zu machen – durch Ausstellungen, Talks und Workshops. Unsere laufende Zusammenarbeit mit der Caritas St. Pölten unterstützt uns dabei, Erfahrungen zu sammeln und im Austausch zu bleiben. Dabei geht es uns um alle Beteiligten – ob persönlich Betroffene, Angehörige oder Freunde, die solche gesundheitlichen Herausforderungen miterleben. Wichtig ist uns, sich Schritt für Schritt dem Kern zu nähern und zu verstehen, woher der Schmerz kommt.
Das Thema ist immer noch stark tabuisiert. Viele Betroffene schweigen aus Angst vor Ausgrenzung – obwohl psychische Gesundheit für uns alle überlebensnotwendig ist. Unsere unterschiedlichen Hintergründe bringen persönliche, teils direkte Erfahrungen mit sich. Das selbst Erlebte sehen wir als fruchtbares Werkzeug zur Umwandlung, nicht als etwas, das man bereuen müsste. Diese Offenheit ermöglicht eine sensible und reflektierte Auseinandersetzung, ohne uns über das Thema zu profilieren. Es geht nicht um Festlegung, sondern um Entwicklung und die Bereitschaft, sich einem komplexen, oft schambesetzten Themenfeld zu stellen. Psychische Gesundheit braucht mehr Raum als ein beiläufiges Gespräch. Sie macht verletzlich und oft sprachlos – auch im Alltag. Warum fällt es uns so schwer, ehrlich zu sein? Warum schauen wir weg, wenn jemand leidet?
Wir glauben, dass Sichtbarkeit der erste Schritt zur Heilung sein kann. Offen über mentale Gesundheit zu sprechen, bedeutet auch, Verantwortung füreinander zu übernehmen und bestehende Strukturen kritisch zu hinterfragen, die Schweigen oft noch belohnen. Wir sind nicht allein – und genau das wollen wir zeigen.

„Red Moon“ und „Just flip a coin” (v. l.), Brenner-Havelka-Plessl, © Daniel Kindler

Diesen Fokus auf mentale Gesundheit bringt ihr direkt und symbolisch mit dem Ausstellungsort in Verbindung. Inwiefern ist die Galerie Gefängnis Le Carcerci der optimale Ausstellungsort für „broken-yet-holding“?

Ein Gefängnis ist nicht nur ein Ort der physischen Einschließung, sondern – wie Foucault beschreibt – ein Apparat zur Umformung. Es dient der Dressur des Körpers, der Disziplinierung des Alltags, der moralischen Neuprogrammierung. In seiner Architektur und Funktion zeigt sich ein extremes Beispiel gesellschaftlicher Kontrolle über das Individuum – ein Mikrokosmos vermeintlicher Ordnung. Genau dort setzen wir an. „Broken-yet-holding“ ist eine Ausstellung über innere Brüche, über mentale Enge und den Versuch, mit letzter Kraft Haltung zu bewahren. Die Verbindung zum Ausstellungsort ist dabei nicht nur symbolisch: Isolation, Schweigen, Selbstbeobachtung – all das sind Zustände psychischer Erkrankung. Der Gefängnisraum – einst Ort absoluter Disziplin – wird bei uns zum Raum des offenen Nachdenkens über das, was oft unaussprechlich bleibt.
In der totalen Isolierung, so die Idee des historischen Gefängnisses, soll das Gewissen des Einzelnen „erwachen“. Auch wir arbeiten mit dieser Konfrontation: mit dem Inneren, dem Ungezeigten, dem Verborgenen. Unsere Ausstellung stellt keine Diagnose, sie erschafft Erfahrungsräume. Räume für Selbstreflexion, für Dialog – und vielleicht auch für Reformation, aber nicht durch Kontrolle, sondern durch Sichtbarkeit. Die Galerie Gefängnis Le Carceri steht heute nicht mehr für Strafe, sondern für Transformation. Das passt zu unserer Haltung: Kunst als Ausdruck, nicht als Urteil. Als Frage, nicht als Vorschrift. Als Versuch, über das Sprechen wieder Verbindung herzustellen – gegen das Schweigen. 

Satellitenausstellung „broken-yet-holding“, @ SKB Artes Bozen, © Gustav Willeit

Die Ausstellung ist in der Galerie Gefängnis Le Carceri in Kaltern von 30. Mai bis 29. Juni 2025 zu sehen, parallel gewährt die Satellitenausstellung im SKB ARTES in Bozen im gleichen Zeitraum einen kleinen Einblick in broken-yet-holding.

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