„Die Linke hat meine Meinung nicht gepachtet!“

Im Gespräch mit Matthias Lintner, Regisseur von „My Boyfriend El Fascista“

My Boyfriend El Fascista, © Matthias Lintner

My Boyfriend El Fascista ist der neueste Dokumentarfilm des Südtiroler Regisseurs Matthias Lintner. Soeben hat er im Wettbewerbsprogramm der 38. Ausgabe des Bolzano Film Festival Bozen BFFB (04.–13. April 2025) seine Weltpremiere gefeiert. Wer die Erstausstrahlung verpasst hat, kann sich den Film, eine Produktion von Helios Sustainable Films in Zusammenarbeit mit Lintners Mariquitas Film, am Montag, 7. April um 21:00 noch einmal anschauen. Matthias Lintner und Protagonist Sadiel Gonzalez werden an diesem Abend anwesend sein.

Über den Film selbst möchte ich nicht allzu viel erzählen. Nur so viel sei gesagt: Mit My Boyfriend El Fascista gelingt Matthias Lintner ein auf mehreren Ebenen intimer Einblick in seine Partnerschaft mit dem kubanischen Aktivisten Sadiel, dessen Enttäuschung über das kommunistische Regime in Kuba und seine zunehmende Annäherung an rechtsgerichtete Positionen zum alles beherrschenden Thema ihrer Beziehung wird. Wie politisch ist Liebe wirklich? Und kann Politik über Liebe siegen?

My Boyfriend El Fascista, © Matthias Lintner

Zum Gespräch treffe ich mich mit Matthias Lintner via Zoom. Ich sitze daheim am Esstisch vor dem Computer, Matthias auf der Terrasse seines Hauses am Ritten. Dass er sich im Bademantel zum Interview zuschaltet, überrascht mich nicht. Es ist nicht das erste Mal, dass ich ihn in diesem intimen Kleidungsstück sehe. Auch Haus und Terrasse sind mir nicht fremd. Fast fühle ich mich wie zu Besuch bei engen Freunden. Dabei haben wir uns bis zu diesem Moment noch nie persönlich getroffen. Die vielen intimen Einblicke in das Privatleben, die My Boyfriend El Fascista den Zuschauer:innen gestattet, bleiben im Gedächtnis.

About the authorVerena SpechtenhauserWer bin ich und wenn ja, wie viele? Auf jeden Fall endlich Historikerin und immer noch wahnsinnige Bücherliebhaberin. [...] More
Matthias, was war deine Motivation für diesen Film?
Es gab nicht diesen einen Auslöser. Vielmehr entstand die Idee aus einem Impuls heraus, den Charakter Sadiels und die Dringlichkeit, mit der er auf die politische Situation in Kuba reagierte, visuell festzuhalten. Sadiel war also gewissermaßen meine Muse und hat mich dazu inspiriert. In meinem Zusammenleben mit ihm eröffnete sich mir eine Welt an Politik. Dabei war ich mit der Realität Kubas bereits vor meiner Beziehung mit Sadiel konfrontiert worden. Als ich noch vor Corona alleine nach Kuba reiste, die Insel absolut unbefangen betrat und komplett fassungslos wieder verließ.

Warum? Was war an Kuba anders?
Kuba hatte mich mit einer schier unendlichen Reihe an Vorschriften empfangen. Bei meiner Einreise wurden mir etwa meine Mikrofone abgenommen, aus Angst ich könnte über das Land berichten. Die Regierung gibt dir aber auch vor, wo du während deiner Zeit auf Kuba übernachten sollst. In privaten Haushalten zu schlafen ist verboten. Das war meiner Art des Reisens komplett fremd, weil ich eigentlich immer versuche den touristischen Strukturen zu entfliehen und mit den Menschen vor Ort in Austausch zu kommen. Ich habe mich dieser Vorschrift dann wiedersetzt und bin illegal bei jungen kubanischen Künstler:innen untergekommen. Das so entstandene Material habe ich später auch in den Film einfließen lassen. Zu dieser Zeit habe ich noch gar nicht mit dem Gedanken gespielt, einen Film über Kuba zu drehen. Das kam dann später, als ich gemerkt habe, dass ich das dort Erlebte auf meine Weise verarbeiten muss. Vor allem das Gefühl, jemand nimmt dir die Freiheit und hat die absolute Kontrolle über dich. Wie ein Vormund. Das hatte schon sehr starke George Orwell Vibes. Als ich danach das Buch 1984 noch einmal gelesen habe, war es eine Offenbarung für mich. Das Buch, aber auch mein Blick auf die Geschichte der DDR hatten plötzlich eine fühlbare Dimension erhalten.

Die Sicht auf Kuba, Fidel Castro, Che Guevarra und ihren Widerstand gegen das kapitalistische System der USA wird ja oft romantisiert …
Genau an diesem schmalen Grat setzt der Film an. Wir nehmen uns als informierte Personen war und obwohl wir wissen, dass die Kubaner:innen unter der Politik von Fidel Castro leiden, wollen wir die negativen Auswirkungen nicht wahrhaben. So müssen wir uns auch nicht eingestehen, dass unsere Ideale sich ins Negative gedreht haben. Dieser Mythos vom Kampf David gegen Goliath ist uns heilig und daran wollen wir auch nicht rütteln. Mir ist es wichtig, zu betonen, dass ich hier für mich spreche. Ich möchte den Zuschauer:innen nicht vorschreiben, was sie zu fühlen haben. Mich persönlich aber hat meine Erfahrung mit der Realtität Kubas dekonstruiert, ich musste meine Überzeugungen überdenken und den Fokus neu setzen. Was hat noch Konsistenz? Und wer hat eigentlich die Wahrheit? Das sind hochideologische Fragen, die sich auch in meinem Zusammenleben mit Sadiel stellten. Die Sicht Sadiels auf Kuba ist seine ganz persönliche. Davon muss ich nicht alles übernehmen. Aber es gibt Fakten, die nicht zu leugnen sind.

Beide stills aus My Boyfriend El Fascista, © Matthias Lintner

Als Protagonist nehme ich dich als zurückhaltenden Zuhörer war.
Die Welt ist komplex und es reicht nicht zu sagen, Du bist Faschist, Israeli, Russe etc., mit dir spreche ich nicht. Diese Einstellung ist für unsere Demokratie gefährlich und genau das wird von extremen autoritären Kräften gefördert. Dadurch spaltet sich unsere Gesellschaft. Im Film bringe ich bewusst die Geduld auf, mir über Jahre endlose Diskussionen von kubanischen Dissident:innen anzuhören. Einfach weil ich der Meinung bin, dass es wichtig ist, sich auch mit Meinungen zu beschäftigen, die der eigenen vermeintlichen Überzeugung wiedersprechen. Das Produkt davon ist der Film, den ich nun der Öffentlichkeit zur Verfügung stelle.

Und wirst damit als Regisseur selbst zum Geschichtenerzähler, der die Fäden in der Hand hält?
Ja natürlich, auch ich kann mit meinen Filmen eine Wahrheit generieren. Genau wie auch die Regierung von Fidel Castro über Jahrzehnte an ihrer ganz eigenen Geschichte gefeilt hat. Im Lauf der Dreharbeiten habe ich zum Beispiel verstanden, dass sich Kuba in einem Krieg befindet, nämlich in einem Krieg um sein Image in der Welt. Dieses Image ist ausschlaggebend bei der Frage, wieviel finanzielle und politische Unterstützung sie von anderen Ländern erhalten. Bis heute erhält Kuba Geld für soziale Projekte von europäischen Linksparteien, ohne dass die Regierung einen Beweis liefern muss, dass diese Projekte jemals umgesetzt werden. Kuba beharrt auf seine Opferrolle, die in Wahrheit sehr verzerrt ist. Dass viele Linke diese verzerrte Darstellung noch immer dankbar annehmen, ohne sie zu hinterfragen, stellt für mich eine Ungeheuerlichkeit dar. Darum möchte ich mit dem Film auch aufzeigen, dass die Linke meine Meinung nicht gepachtet hat. Obwohl ich homosexuell bin und sie sich das Thema Inklusion auf ihre Fahne schreiben.

Viele politische Aktivist:innen enden oft in einer Art Ohnmächtigkeitsgefühl. Wie ist das bei Sadiel?
Wir können nicht alleine die Welt retten. Und schon gar nicht an einem Tag. Politischer Aktivismus findet tagtäglich auch im Kleinen statt. Wenn ich will, dann kann ich auch in meinem Umfeld unglaublich viel bewirken. Es muss kein globaler Aktivismus sein. Alltag ist genauso politisch. Dieses Gefühl müssen wir verinnerlichen. Vielleicht kommt auch Sadiel zu diesem Punkt. Welche Lösung er diesbezüglich für sich findet, zeigt sich recht deutlich am Ende des Films.

Nach der Weltpremiere in Bozen beim BFFB wird der Film beim Pordenone Docs Fest und beim Lovers Film Festival in Turin gezeigt. Seine internationale Premiere feiert er dann beim renommierten Hot Docs Festival in Toronto. Auf welches Festival freust du dich am meisten?
Das ist schwierig zu beantworten. My Boyfriend El Fascista ist der erste Film von mir, der in Bozen gezeigt wird. Darum findet in Bozen für mich die aufgrendste und für meine persönliche Entwicklung die wichtigste Aufführung statt. Einfach, weil die Intimität und Freizügkeit, die ich im Film offen lege, in Bozen auf die stärkste Resonanz fallen wird. Viele Menschen, die den Film im Kino sehen, kennen mich persönlich oder kennen vergangene Versionen meines Ichs. Sie werden vielleicht überrascht sein, was sie von mir zu sehen bekommen. Darüber hinaus bin ich aber auch von der Entwicklung des BFFB unter der neuen Leitung von Vincenzo Bugno sehr positiv überrascht. Ich hab im Programm einige interessante Filme entdeckt, dich ich mir definitiv anschauen werde.

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