Die Schönheit der Vergänglichkeit
Ariel Trettels Ausstellung „Was bleibt – Quello che rimane“ und Album „WAS BLEiBT“
Die Filiale Waltherplatz der Südtiroler Sparkasse in Bozen wird zurzeit durch die Kunstausstellung „Was bleibt – Quello che rimane“ von Ariel Trettel nicht wie üblich durch Geld, sondern ästhetisch aufgewertet. Bis zum 27. April 2025 könnt ihr dort so einiges entdecken. Und mit einiges meine ich ziemlich viel. Es nur als Ausstellung zu bezeichnen, wäre mehr als untertrieben. Denn es ist nicht einfach nur eine Ansammlung verschiedener Werke, sondern ein interdisziplinäres Gesamtwerk des jungen Künstlers. Dieses Riesenprojekt beinhaltet Bilder, Skulpturen, Skizzen, gesammelte Antiquitäten und einen eigenen Soundtrack. Ja genau, ein Album mit elf Songs namens „WAS BLEiBT“ hat er am 23. August 2024 veröffentlicht und es ist auch Teil des Gesamtwerks. Wahnsinn. Man könnte denken, so etwas gibt es doch bereits zur Genüge, denn viele Musiker*innen malen auch und gestalten dann vielleicht selbst das Cover ihres Albums oder sind filmisch begabt und drehen ihre eigenen Videos, zum Beispiel. Aber „Was bleibt“ ist da ein anderes Kaliber, den durch dieses Werk samt Soundtrack zieht sich ein roter Faden, der seines Gleichen sucht. Es ist nicht eine dieser Ausstellungen, wo der Künstler uns genügend Raum zur Interpretation gibt, wir die Werke bestaunen und uns fragen: Was hat das alles nur zu bedeuten? Vergleichbar wäre am ehesten das legendäre Album „The Velvet Underground & Nico“, das komplett von Andy Warhol produziert und gestaltet wurde. Ein Musikalbum, das auf Kunst trifft, zudem beleuchten die Texte von Lou Reed darauf in gewisser Weise auch ein bisschen den Clash zwischen moderner und alter Welt. Was wir bei Ariel Trettel auch noch auf eine andere Art sehen werden, aber dazu später. Warum aber jetzt der Vergleich dieser beiden Werke? Zwar hat Andy Warhol keinen Ton der Musik darauf eingespielt, aber das von ihm gestaltete Cover, die berühmte Banane, erinnert mich an das Cover von „WAS BLEiBT“. Darauf sehen wir eine sogenannte Hurte. Ja, ich weiß. Was zum Teufel ist denn eine Hurte? Von denen gibt es einige in Ariels Ausstellung zu sehen und dazu verkörpert dieses Teil an sich den Geist seines Gesamtwerks. Dafür müssen wir erst einmal verstehen, was genau eine Hurte ist.

Eine Jahrhunderte alte Tradition, hierbei stellt sich schon die Frage: Was bleibt davon? Mit dieser Konstruktion hängt Ariel Trettels Suche nach der Antwort auf diese Frage irgendwie zusammen. Die Hurte ziert deswegen auch das Cover seines Albums. Sie ist sein Logo, und Symbol für ihn. Er sieht in ihnen eine gewisse Südtiroler Essenz. Vielleicht stammt sogar der Knödel irgendwie aus den Hurten. Denn wenn man das Brot gut trocknen kann, kann man es auch gut weiterverarbeiten. Doch woher weiß er das alles? Diese Infos hat er durch viele Gespräche und Recherchen mit der Zeit gesammelt. Er hat dafür sogar einen Bäcker begleitet, der noch auf diese traditionelle Art arbeitet. Auch spannend ist, dass jedes Tal in Südtirol seine eigenen Brotarten besitzt und sich deswegen auch die Hurten von Tal zu Tal unterscheiden. Ariel hat in den letzten fünf Jahren einige davon im ganzen Land zusammengetragen, auch diese stellt er aus. Manche seiner Hurten sind sogar 300 Jahre alt. Die Ausstellung ist somit auch zum Teil eine Art Museum.
Sieht man die Hurten in der Ausstellung, fällt auf, dass in deren Fächern ein Stück Marmor steckt. Mit dem Marmor gepaart werden sie zum Kunstwerk. Das hat zum einen mit seinem künstlerischen Werdegang zu tun: Ariel hat die Kunstschule in Gröden besucht und dort vorwiegend mit Holz gearbeitet. Er war aber auch Schüler der Berufsfachschule für Steinbearbeitung in Laas, wo er viel über Marmor lernte. So kommen wir wieder zur Frage zurück: Was bleibt? Für ihn begann somit die konstante Suche nach einer Kombination dieser zwei Materialien. Warum also genau diese beiden miteinander verbinden? Die Hurte repräsentiert das tägliche Brot der Bauern, von dem sie lebten. Jedes Fach der Hurte war ein Tag und jeder Tag hatte sein Brot. Mit der Zeit wurde das Brot hart, aber trotzdem zu Knödeln weiterverarbeitet oder für Suppen verwendet. Zudem hat sich während der Zeit des Habsburger Reiches daraus ein Wirtschaftszweig entwickelt: Südtirol war die Kornkammer Tirols, es wurde viel Roggen angebaut und nach Tirol exportiert. Es war also ein wichtiger wirtschaftlicher Faktor und lebensnotwendig zugleich. Interessant wird dann die Kombination mit dem Marmor: Die Hurten waren etwas Bäuerliches und Lebensnotwendiges, brachten aber zugleich einen wirtschaftlichen Faktor mit sich. Marmor hingegen war eher etwas Edles, das auch viel Arbeitsplätze schuf, zudem ein gewisses Statussymbol des Habsburger Reiches war, und mittlerweile auf der ganzen Welt exportiert wird. Ariel mischt diese beiden Komponenten und kommt zur Frage: Was bleibt von dieser alten Tradition? Von der Struktur der Hurte bleibt nur mehr eine Erinnerung, an diese ausgestorbene Anbautradition. Vielleicht sieht man sie ab und zu noch auf alten Bauernhöfen und fragt sich, was dieses mysteriöse Ding da wohl sei? Das ist es, was geblieben ist aus dieser doch so prägenden Zeit des Roggenanbaus, welcher über Jahrhunderte so praktiziert wurde. Ein Stück Marmor hingegen ist das, was von einem Marmorblock bleibt, der z. B. nach New York verschifft wird. Ein Stück, ausgegraben von über 2.000 Metern Berg. Ein Stück eines eine Millionen Jahre alten Steins. Irgendwie ist diese Ausstellung also ein Weiterlebenlassen dieser Objekte aus alten Zeiten. Ariel beschreibt es als Zeitbank: Millionen Jahre altes Gestein, unser Boden, welcher in dieser vergessenen Konstruktion der Hurte liegt. Die Hurte ist also die Bank und jedes Stück Marmor hat sein eigenes Fach darin. Eine visuelle Erzählung dieser Region oder unserer Gesellschaft.
Was bleibt? Was bleibt von einer Geschichte? Was bleibt von einem Menschen? Was bleibt von einer vergessenen Tradition? Was bleibt von einer Kultur? Während man durch die Ausstellung schlendert, hämmern Fragen solcher Art im Hinterkopf. Wir sehen auch eine Holzbüste, ein Selbstportrait, geschnitzt. Er hat sie, beziehungsweise sich selbst, anschließend angezündet, dann die Kohle abgeschabt, um zu sehen, was bleibt. Das war ein sehr schwieriger Prozess für ihn, deswegen hat er diesen Verarbeitungsprozess filmisch dokumentiert – als Symbol dafür, was von der Zeit übrigbleibt. Auch auf seinem Album „WAS BLEiBT“ sind Lieder zu hören, die in den letzten zehn Jahren entstanden sind. Alte Songs, die er erst jetzt aufgenommen und somit gebündelt hat, als Antwort auf die Frage: Was bleibt von dieser Zeit? Ein wunderschönes Album, sehr passend, ohne viel Schnickschnack in bester Bob-Dylan-Art aufgenommen. Bloß eine Stimme und eine Gitarre, trotzdem äußerst kraftvoll. Dabei merkt man, wie gut diese Songs geschrieben sind und das auch noch in drei Sprachen.
Meine Lieblingswerke in der Ausstellung sind die Bilder mit den Wiener Flügeln: Musikinstrumente, die auch in der Zeit des Habsburger Reiches entwickelt wurden. Sie stehen in Massen, verstaubt in irgendwelchen Wiener Magazinen rum. Da sie aufgrund ihrer Konstruktion im Vergleich zu heutigen Flügeln sehr schwer spielbar sind, haben sie ihren Wert verloren, niemand will sie. Was bleibt? Und nochmals fließt die Musik als Verbindung in die Ausstellung ein. Zudem steht ein Klavier, wie Marmor, als Zeichen von Luxus. „Wiener Abschlusskonzert“ nennt sich ein Bild, auf dem sinkende Wiener Flügel abgebildet sind, Marmorbrocken sind die Eisberge. Dieses Bild fängt für mich die gesamte Ausstellung und die Frage „Was bleibt?“ in sich auf. Nutzt die Chance und seht euch die Ausstellung an. Es sind noch einige andere geniale Anspielungen auf diese Frage dort zu sehen. Was ich persönlich von dieser Ausstellung mitnehme? Keine Erfahrung, sondern eine Frage. Wir wissen irgendwie alle, was am Ende unseres Lebens kommt, aber niemand weiß so recht, was bleibt. Vielleicht ist also das die Frage der Fragen.