Die Zienberger Hex

Die Verbindung zur Gegenwart einer kleinen, unscheinbaren, alten Ölmalerei aus den Archiven des Palais Mamming Museums

24.02.2025
Die Zienberger Hex

Die Zienberger Hex © Palais Mamming Museum Meran

Hmpf, da hat sich die Reso heute aber ein langweiliges Objekt ausgesucht. Ein altes Bild, das nicht mal besonders hübsch ist oder irgendwas Interessantes zeigt – bloß eine Frau, die bestimmt nur mit irgendwem, der irgendwas gemacht hat, verheiratet war …

Stimmt. Dies ist kein besonders schönes Gemälde und es zeigt auch kein spannendes Ereignis. Trotzdem will ich es heute in den Mittelpunkt stellen, denn hierbei handelt es sich nicht um irgendein Bildnis. Dies ist das Abbild einer Hexe. Einer von Jung und Alt gefürchteten Hexe. Ihre Zunge soll so weit aus dem Mund herausgereicht haben, dass ihr der Kirchenbesuch verboten wurde. Für zahlreiche Unwetter und sogar für das Verschwinden eines Schuljungen soll sie verantwortlich gewesen sein.

Die Gefürchtete hatte viele Namen: Man nannte sie die Riffianer Hexe, die Zenoburger „Zienberger“ Hexe, die Kohleggerin oder die Waldin. So ist auch die kleine Ölmalerei beschriftet, die ihr Abbild zeigt. Diese stammt aus dem frühen 19. Jahrhundert und befindet sich in der Sammlung des Palais Mamming Museums.

Die Rückseite birgt aber noch einen weiteren, in Klammern ergänzten Namen: Kleon. Bei der Abgebildeten handelt es sich um Anna Kleon, die wahrscheinlich aus Kuens stammte. 1803 heiratete sie den Bauern Georg Spieß in der Gemeinde Riffian. Georg Spieß wurde 1769 am Waldehof geboren, wo er auch mit Anna lebte – daher der Name „Waldin“. Später zogen Anna und Georg, die gemeinsam fünf Kinder hatten, nach St. Martiner-Riedersberg auf den Kohleggerhof, daher der Name „Kohleggerin“.

Die Zienberger Hex © Palais Mamming Museum Meran
About the authorEvelyn ResoIch bin freie Kulturwissenschaftlerin, Ausstellungskuratorin und Autorin und liebe es, Menschen mit gehaltvollen und spannenden Inhalten zu berühren [...] More
Aber was machte Anna Kleon in einer Zeit, in der es schon lange keine Hexenverfolgungen mehr gab, zu einer Hexe?

Anna war schräg. Ihrer Wege soll sie stets murmelnd gegangen sein, den Leuten so gut es ging ausweichend. Dennoch hat man sie nie für verrückt erklärt, denn …

Anna war intelligent. Ihre Selbstgespräche sollen durchaus klug gewesen sein. Ja, sie soll sich sogar selbst als Hexe bezeichnet haben, als eine Frau, die mehr wusste, als andere. So soll sie sich sehr gut mit dem Wetter ausgekannt haben und auch mit Kräutern, die sie vorzugsweise bei Vollmond pflückte. Sie selbst soll erklärt haben, dass ihre Kunst leider nicht mehr viel Wert sei, seit der Riffinaner Pfarrer ihr die alten Bücher weggenommen hatte.

Anna war nicht schön. Sie soll von magerer Statur gewesen sein, mit zerfurchter Haut, zerzaustem Haar und roten Augen. Gekleidet soll sie stets nur in zerlumpten Gewändern gewesen sein, denn …

Anna war arm. Aus welchen Gründen sie ihre letzten Jahre allein verbrachte und sich auf einen Turm der Zenoburg zurückzog, ist leider nicht überliefert. Doch soll sie in dieser mit Efeu überwachsenen und mit „Hexenzeichen“ verzierten Behausung bis zu ihrem Tod gelebt haben.

Anna war also anders, als man es von einer Bäuerin ihrer Zeit erwartete. Und das Andere macht Angst. In einer patriarchalen Gesellschaft vor allem Anderes, das weiblich ist und intelligent. Jede Gesellschaft braucht zudem einen Sündenbock, auf den sie Unerklärliches und Bedrohliches abwälzen kann. In diesem Fall zum Beispiel ein Gewitter, das den Naifbach so stark anschwellen ließ, dass es ganz Mais in Angst und Schrecken versetzte. Warum? Weil es einfacher ist, die Ursache für das eigene Leid bekämpfen zu können, jemanden zu haben, den man zur Verantwortung ziehen kann, um scheinbar ausweglose Situationen zu ändern. Das ist leichter, als einsehen zu müssen, dass gewisse Dinge nicht kontrollierbar sind. Der Glaube an die Existenz von Hexen ist also im Grunde nichts anderes als der Glaube an Verschwörungstheorien: Er macht negative Ereignisse erträglicher und nimmt dem Leben seine gnadenlose Unberechenbarkeit.

Und so erhält die alte, unscheinbare Malerei in den Archiven des Palais Mamming Museums plötzlich eine Verbindung zur Gegenwart und zu den Ängsten und Gefühlen, die unsere Gesellschaft heute ebenso bewegen wie damals. Die Objekte, die wir aus der Vergangenheit bewahren, müssen daher nicht immer schön oder kostbar sein. Sie sollen lediglich das Fenster zur Vergangenheit offenhalten, damit wir in sie hineinblicken und aus ihnen für die Gegenwart lernen können.

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