Mit dem Ort an erster Stelle: Nora Gutwenger

Nora Gutwenger, © Arling Riese
Nora Gutwenger ist Künstlerin, im Feld der Kunst- und Kulturvermittlung tätig und bedient sich mit ihren Arbeiten verschiedenster Produktionsmittel, Medien und Objekte. Als vielseitige Kunstschaffende und -bildende hat sie in ihrer Zeit im Ausland so einige Stationen durchlaufen – und ihr Portfolio auf dem Weg mit einer Bandbreite ortsbezogener Kunstwerke bereichert. Die Künstlerin selbst verortet ihre Arbeiten an der Schnittstelle zwischen Partizipation, Performance und Installation, wobei der Ort immer an erster Stelle stehe.
In der Entwicklung ihrer künstlerischen Identität war das Diplomstudium der Ortsbezogenen Kunst an der Universität für Angewandte Kunst Wien grundlegend. In ihren Arbeiten verwendet sie Orte, deren Geschichte und Kontext als Arbeitsmaterial und Aktionsfeld – als Ausgangspunkt, der stets im dialogischen Rückbezug zwischen Kontext und Kunstwerk mitschwingt. Der Ort der künstlerischen Produktion wird dadurch selbst zum Material der Intervention. Ein Beispiel dafür ist ihr Projekt Mut-erschafft Festung Franzensfeste, das sie 2021 im Rahmen des Ausschreibungswettbewerbs FRAUENfeste in der Festung Franzensfeste erarbeitet hat. Neben 26 weiteren ausgewählten Künstlerinnen bezog sie im Zuge dessen für zwei Monate ein temporäres Atelier innerhalb der Mauern der Festung mit dem Ziel, eine Arbeit für die folgende Ausstellung zu produzieren – das Thema: Courage/Mut. Die Festung diente dabei nicht nur als Arbeitsraum, sondern fungierte viel mehr als Inspirationsraum – als eingeschrieben männliches Gemäuer, dessen alltägliche Vorstellung es zu brechen galt.



Jetzt ist die Künstlerin nach einigen Jahren im Ausland zurück in ihrer Südtiroler Heimat, dem Pustertal, und besinnt sich mit ersten Werken auf den Ursprung ihrer Inspiration. Zuletzt stellte die Südtiroler Künstlerin für die Ausstellung Changing Nature – Natur im Wandel in der Stadtgalerie Brixen ihre Arbeit Wald wo bist du? aus. Die performative Video- und Installationsarbeit ist eine tiefe Reflexion des naturnahen Waldes und des Wandels der Natur anhand von Beobachtungen ihres Heimatorts.
In unserem Gespräch ergründet Nora Gutwenger die Fundamente ihrer künstlerischen Ausrichtung, die Wichtigkeit der Besinnung auf Heimat und Natur und den persönlichen Wert des Ortes ihrer Jugend. Wir hören zu:
Du hast deine Studien in den Bereichen der Landschaftskunst und der ortsbezogenen Kunst abgeschlossen. Inwiefern beeinflusst und inspiriert das deine künstlerische Praxis?
Der Bezug zur Landschaft und das Interesse am Draußen brachte mich zur ortsbezogenen Kunst. Ganz einfach gesagt, wenn ich draußen bin, fühle ich mich wohl. So steht am Anfang vieler meiner Arbeiten der Ort. Ich nutze ihn als Inspiration, als Arbeitsmaterial oder Aktionsfeld.
Du selbst beschreibst deine künstlerischen Arbeiten als „an der Schnittstelle zwischen Partizipation, Performance und Installation“. Was begeistert dich am meisten an kollaborativen Arbeiten?
Ich glaube, es ist einfach das Interesse am Menschen und der Austausch mit anderen. Durch Kollaborationen mit Künstler*innen, aber noch viel mehr durch partizipative Projekte, in denen ich Menschen in meine Arbeiten involviere, die sonst nicht unbedingt etwas mit Kunst zu tun haben, breche ich alltägliche Vorstellungen auf. Mein Ziel ist Verbindung, nicht Irritation. Ich glaube, alleine in meinem Atelier zu arbeiten, würde mich auf Dauer sehr unglücklich machen. Diese Zeiten schätze und genieße ich. Aber das Spontane, das Ungewisse, die Stärken und Unsicherheiten der anderen inspirieren mich und fließen in meine Arbeiten mit ein.
Hast du ein präferiertes Medium oder eine Lieblingsausdrucksform, mit der du arbeitest?
Das einzig Konstante in meinen Arbeiten ist die Auseinandersetzung mit dem Ort. Ich versuche eine Beziehung zu ihm aufzubauen. Den Ort und seinen Kontext zu fühlen und zu verstehen. Es entsteht ein Austausch. Über das dort sein, über Recherche, Gespräche ergibt sich das Medium dann bei jeder Arbeit neu. Oft auch über den Anreiz, etwas Neues zu lernen, wie das Häkeln oder Nähen in den letzten beiden Arbeiten. Zur Zeit zeichne ich sehr viel, durch meine Kinder sind Stift und Papier ständig im Umlauf, wer weiß also, was kommt.
Nach langer Zeit in Wien bist du nun zurück ins Pustertal gezogen. Wie kam es zu diesem Wechsel und was bedeutet das für deine künstlerische Karriere?
Es war lange unvorstellbar für mich, wieder zurückzugehen, aber irgendwann war es unvorstellbar in Wien zu bleiben. Wien ist eine wunderbare Stadt und ich vermisse sie, aber das Leben dort war genau richtig für die Zeit, die ich dort verbracht habe. „Wald, wo bist du?“ ist die erste Arbeit, an der ich seit meiner Rückkehr gearbeitet habe, und es hat sich selten so richtig angefühlt! Die Vielfalt, das Angebot, die Überblendung der Stadt und mein Umfeld sind weg. Ich habe vieles zurückgelassen, kriege dafür aber Neues. Zum Beispiel den Wald, die Jahreszeiten, die Nähe zur Familie und auch die Nähe zur Kunst, denn ich brauche sie hier mehr denn je.



Vor kurzem war deine Arbeit „Wald, wo bist du?“ in der Ausstellung „Changing Nature“ in der Stadtgalerie Brixen zu sehen. Warum hast du den Wald als Beispiel für Natur im Wandel gewählt?
Der Wald hat sich mir seit meiner Rückkehr als Thema förmlich aufgedrängt, weil er sich in den letzten Jahren so stark verändert hat. Ich kam zurück und der halbe Wald im Dorf war tot bzw. einfach nicht mehr da. Den Wetterextremen, wie Sturm und Hitze der letzten Jahre, kann der von Fichten dominierte Forstwald im Pustertal nicht mehr standhalten. Der geschwächte Wald bildet die ideale Brutstätte für den Borkenkäfer. Der Titel „Wald wo bist du?“ bezieht sich nicht nur auf das Fehlen der Bäume, sondern greift weiter. Nach was für einen Wald sollen wir uns denn eigentlich sehnen? Was brauchen unsere Wälder, um nachhaltig bestehen zu können?
Du hast bereits eine Arbeit für das ZOOM Kindermuseum in Wien verwirklicht, auch in deiner aktuellen Arbeit für „Changing Nature“ beziehst du dich auf das kindliche Spiel in Bezug auf den Wald deiner Kindheit. Wie wichtig ist die Rückbesinnung auf die Kindheit für deine künstlerische Praxis?
Ich habe jahrelang im ZOOM Kindermuseum in Wien als Kunstvermittlerin gearbeitet. So kam dieses Kooperation mit dem Museum zustande. Die Kindheit schwingt in meinen Arbeiten sicherlich mit, aber nicht mehr. Den Ort der letzten Arbeit, den Wald, kenne ich schon so lange, dass die Kindheit als Thema Einzug fand. Es ist ein Raum, der mich zu nichts zwingt, mich nicht beurteilt, mir gute Laune schenkt und konsumfrei ist. Ich kann mich in ihm verstecken und ihn gemeinsam mit anderen erleben. So habe ich ihn schon in meiner Kindheit und Jugend genutzt, aber bewusst geworden ist es mir erst später, mit einem anderen Blick.