Mit Aufwand zu Aufwind
Raphael Mur zeigt im Kunstforum Unterland seine neuesten Arbeiten

© Kunstforum Unterland/Manfred Furlan
© Kunstforum Unterland/Manfred Furlan
Und da ist er wieder, der Moment der Erkenntnis. Die Erkenntnis darüber, wie wenig man eigentlich von Kunst versteht. Wie über kreative Augenschmäuse berichten, ohne dass es sich wie sinnloses Politik-Gequatsche vor dem Tresen der heimischen Kneipe anhört? Eine unmögliche Mission oder Mission Impossible, wie der hippe Ypsiloner sagen würde, der kurz vor seinem 40sten Geburtstag steht, immer noch die Balance zwischen Arbeit und Freizeit sucht und gerne englische Wörter einwirft. ... sogar diese Sorte Mensch versteht Kunst wahrscheinlich besser als ich oder macht sich wenigstens nicht so unnütze Gedanken über deren Verständnis. Kunst ist doch kein Sport oder logische Wissenschaft. Lassen wir es also einfach mal zu und ergötzen uns an den Werken. Für diese schwierige Aufgabe finde ich mich im Kunstforum Unterland, der Galerie der Bezirksgemeinschaft Überetsch Unterland, in Neumarkt wieder. Genauer gesagt bei der von Adina Guarnieri kuratierten, kürzlich eröffneten Ausstellung „Aufwind“ von Raphael Mur, die ziemlich gut besucht und noch bis 22. Februar 2025 geöffnet hat. Also, vorbeischauen lohnt sich, wenn ich das schon mal vorwegnehmen darf.


Auf den ersten Blick haben Raphael Murs Werke etwas von Jean-Michel Basquiat oder Graffiti-Kunst, die eigentlich nichts mit Graffiti am Hut hat und deswegen schon wieder ganz anders ist. – Wenn ihr versteht, was ich meine. Nein, ich verstehe es auch nicht. Versuchen wir es also nochmal: Die Atmosphäre während der Eröffnung passt perfekt zu den Werken. Laut und hektisch, was im schönen Ausstellungsraum in den Neumarkter Lauben selbs, an der Menge von den erschienenen Leuten liegt und an den Werken, aufgrund der wilden Bildsprache und Symbolik. Wenn die Bilder Menschen wären, dann wären sie diese Schreier, die man in Rotlichtvierteln vor den Eingängen der Bordelle antrifft. Sie locken dich mit gekonnt derben Sprüchen in diese sündigen Etablissements und du weißt nicht, wie dir geschieht.
Die große Botschaft, wenn man so will, hinter „Aufwind“ ist nach ihm, seine Liebe zur Kunst und zu Materialien. Er liebt große Aufgaben mit kleinen Handgriffen. Er ist ein Handwerker, er liebt es zu arbeiten. Mit Aufwand und später mit Aufwind. Die große Ursprungsfrage schlummert in jedem von uns, auch in Raphael Mur: Wo kommen wir eigentlich wirklich her? Fragen, die er versucht in seiner Kunst für sich zu verarbeiten. Auch darum geht es in „Aufwind“ irgendwie. Kunst ist für Mur so analog und natürlich wie die Ursprungsfrage selbst. Es hat für ihn mit der Kraft der Farben und der Bildeinteilung zu tun.


Was passiert also in diesen Werken? Wie arbeitet er? Zuerst kommt das Thema, dann wird eine mögliche Verbindung gesucht. Geht es um ein Verbot zum Beispiel, denkt er an ein Schild. Auf das Schild kommt dann das, womit er dieses Verbot bekämpft. Ein Kontrast entsteht, da er Gegensätzliches kombiniert und es abstrahiert. So beginnt bei Raphael Mur ein Kunstwerk. Je vielschichtiger, desto interessanter wird das Ganze. Sein Zugang zu Kunst und Malerei ist fast wie Legospielen. Neu in seinem Repertoire ist die Objektkunst. Objekte entfremdet er und führt Materialen ad absurdum. Dafür benötigt es Liebe und Arbeit, damit ein authentischer Moment entsteht. Nicht einfach irgendwo etwas hinpinseln. Es braucht Planung. Was er als Künstler komponiert oder dirigiert, soll natürlich aussehen. Es ist fast wie bei Musik: Immer geht es um die Wirkung der Bilder, nicht unbedingt um das Gezeigte. Wie bei Noise – da ist jede Reaktion von Seiten des Publikums recht. Ob empört oder begeistert, Reaktion ist Reaktion. Hält er sich also an einen bestimmten Stil? Zunehmend wird er freier. Mehr und mehr spiegeln sich in seinem Schaffen Dinge wider, die er als Kind schon liebte, wie Lack, Hölzer oder Pfeil und Bogen. Er liebe sogar Modellflugzeuge, würde diese aber nicht bauen. – Wohl zum Glück, weil er dann eher alleine im Keller säße und wir nichts davon mitkriegen würden. Behaupten wir mal, er mag Gerüste von Dingen, die tatsächlich funktionieren. Trotzdem geht es in „Aufwind“ gleichermaßen um Dinge, die er mag und nicht mag. Die Frage, ob er es gut oder böse meint, bleibt. Das ist die Herausforderung fürs Publikum. Findet man es schön? Oder etwa empörend?
Dualität soweit das Auge reicht. Alten Dingen wird durch neuen Lack ein zeitgenössischer Touch verliehen. Ist das etwa eine versteckte Botschaft an unser Land? Ist das vielleicht die neue Schule der Südtiroler Kunst? Ein neuer Anstrich wäre jedenfalls dringend nötig. In seinen Werken knallt es – aufeinander: Altes und Neues, Gutes und Schlechtes vereinen sich und ergeben „Aufwind“. Fließende Übergänge sucht man bei Raphael Mur vergebens, denn er liebt harte Kontraste.

Eine Frage, die er immer wieder hört: Wie kommst du über die Runden? Raphaels Antwort: „Ich muss mich arrangieren.“ Er lebt von Disziplin. Es braucht Haltung und Opferbereitschaft. Alles zusammen ist die beste Aussicht darauf, sich mehr auf das zu konzentrieren, was man als Künstle will. „Ich muss nicht der Spiegel meiner Kunst sein, sondern die Kunst soll der Spiegel meiner inneren Aufarbeitung sein“, sagt er auch. Was andere darin sehen, ist also nicht mehr seines. Eine Schwierigkeit des Kunstmarktes sind mitnichten seine Autoritäten. Es geht ums Sehen und Gesehen-Werden. Kunst ist ein Business, das ist ihm (im Unterschied zu etlichen Künstler*innen) völlig klar. Man kann dieser Wahrheit kritisch gegenüberstehen, aber wo er Recht hat, hat er Recht. Außer man sitzt im letzten Dorf dieses Landes, in Prettau, ist längst in Rente und verkauft auf der Straße vor seinem Häuschen geklöppelte Untersetzer. Ja, diese Person existiert wirklich. Künstler*innen sind in ihrer Welt leider oft abhängig von Leuten, die man moralisch gesehen in den Spuckeimer gehören. Nichts desto trotz gibt es auch liebevolle Leute, nach denen man Ausschau halten muss. Genau das macht Raphael Mur mit „Aufwind“, mit Bildern im Repertoire, die nicht unbedingt böse, aber auch nicht brav sind. Was ist „Aufwind“ also? Ich kann nur mutmaßen, aber genau deshalb wirkt die Ausstellung auf mich. Langsam verstehe ich es. Oder doch nicht ...? – Das ist der Punkt. Wie bei einem miesen Cliffhanger einer Serie soll man mit offenen Fragen zurückbleiben ...
Es hat funktioniert. Ich bin irritiert.