Brief aus dem Ordner des Posthotel zum Ortler in Sulden, © Nachlass der Familie Angerer, Sulden
Immer noch blättere ich in den drei Aktenordnern, die über mehr als ein Jahrhundert die schriftliche Kommunikation des Posthotel zum Ortler in Sulden umklammert hielten. Ich überfliege, lese und lausche, was mir die vielen Stimmen aus den etlichen Zeilen brauner Tinte zuflüstern. Manche von ihnen wispern in freundschaftlichem Ton, die meisten aber sprechen in geschäftlicher Manier zu mir. Zwischen all die Männerstimmen, die mir dieses und jenes anbieten, mich um dies und das bitten, drängt sich plötzlich eine entschlossene Frauenstimme und lässt mich innehalten. Dies ist nicht der erste Brief einer Frau, der mir unterkommt, doch ist es der erste geschäftliche Brief einer Frau, auf den ich hier stoße.
So ist es erstaunlich, dass es sich im Falle der Personalvermittlerinnen oftmals um unverheiratete Frauen handelte, die den Schritt in die Selbstständigkeit gewagt hatten. Zu diesen zählte auch „Fräulein“ Marie Pfurtscheller, die – wahrscheinlich im Jahr 1901 – ein Vermittlungsbüro in Meran eröffnete. Leider ist sie auch ein Beispiel dafür, dass man als Personalvermittlerin leicht in Verruf geraten konnte. Im Zeitungsarchiv der Landesbibliothek Dr. Friedrich Tessmann finde ich heraus, dass Marie Pfurtscheller im selben Jahr, in dem sie die beiden Briefe an Franz Angerer schrieb, in einem Meraner Zeitungsartikel unlautere Geschäftspraktiken vorgeworfen wurden: Hatte sie niemanden für vakante Stellen griffbereit, so soll sie bereits vermittelte Frauen wieder von ihren Dienststellen abgeworben haben, indem sie die jeweiligen Arbeitgeber in ein negatives Licht rückte. Darüber machte sich ein erzürnter Hotelier wohl in einem Brief Luft, den er an ein Meraner Zeitungsblatt schickte, das seine Worte in etwas entschärfter Form auch abdruckte.
Marie Pfurtschellers schriftlicher Tonfall hatte mich aber nicht getäuscht. Sie war keine Frau, die so etwas auf sich sitzen ließ, und zeigte den Zeitungsherausgeber wegen Ehrbeleidung an. Die Verhandlung fiel jedoch nicht zu ihren Gunsten aus. Mehrere Zeuginnen bestätigten die unlauteren Geschäftsmethoden von Fräulein Pfurtscheller, woraufhin das Gericht den Angeklagten für nicht schuldig befand und freisprach.
Es ist anzunehmen, dass dieses Urteil Pfurtschellers Unternehmen den Garaus machte, denn in den darauffolgenden Jahren finden sich in den Zeitungen keine Anzeigen des Vermittlungsbüros mehr. Ein tiefer Fall für meine Zeitzeugin und doch ein Gewinn für uns, da wir durch ihre Stimme einen bislang von der historischen Forschung unbeachteten Teil der Vergangenheit aufdecken konnten. Weibliche Lebensentwürfe, die in der Historie keine Erwähnung finden, sind in unserer Wahrnehmung nicht existent und so bleibt unser Bild von der Vergangenheit viel zu oft männlicher, als sie in Wirklichkeit war. Vielleicht kann der mutige Schritt einer Frau aus der Vergangenheit ja auch die eine oder andere von euch dazu inspirieren, sich auszuprobieren und es zu wagen, neue Wege zu beschreiten. Ich danke Herrn Angerer und auch dem geduldigen Papier für diese Geschichte und mache mich schon wieder auf die Suche nach neuen spannenden Puzzleteilen.