Magie im Glas oder das Wehenfläschchen

© Manuel Ferrigato/Pharmaziemuseum Brixen
© Manuel Ferrigato/Pharmaziemuseum Brixen
Wie war in dieser Welt je jemand auf die irrwitzige Idee gekommen, Frauen als das schwache Geschlecht zu bezeichnen?! Dies war einer der Gedanken, die mir nach dem unbeschreiblichen – mangels annähernd zufriedenstellender Begrifflichkeiten – Erlebnis meiner Niederkunft durch den Kopf gingen. Nichts kann eine auf die Wucht dieser überirdischen Gewalten im eigenen Körper vorbereiten. Niemand kann sie einem abnehmen – zumindest nicht, wenn frau den Wunsch hat, diesen Vorgang so natürlich wie möglich durchzustehen.
Kein Wunder also, dass frau sich in dieser Situation – in der Hoffnung, dass am Ende nicht nur neues Leben entsteht, sondern auch das etwas ältere bewahrt wird – allen möglichen Schutz und Beistand herbeisehnt. Diesen Beistand boten über Jahrhunderte hinweg Hebammen. Bevor die Geburtshilfe ab der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts zunehmend medikalisiert wurde und in den sogenannten Accouchieranstalten Ärzte die Geburten überwachten, waren es fast ausschließlich die Hebammen, die Geburtshilfe praktizierten. Sie verfügten über ein großes Wissen und spezifische Fertigkeiten rund um den Geburtsvorgang und kannten auch religiöse und magische Hilfsmittel, die den Frauen helfen sollten, das gefährliche und schmerzhafte Ereignis zu überstehen.

Ein solches Wehenfläschchen befindet sich auch in der Sammlung des Pharmaziemuseums in Brixen. Es stammt aus der ehemaligen Stadtapotheke Peer in Brixen und enthält eine Berührungsreliquie des heiligen Jesuiten Francesco Borgia. Die Gebärenden hielten das Fläschchen während der Geburt fest in der Hand – je nachdem, ob sie einen Jungen oder ein Mädchen wünschten, entweder in der rechten oder linken Hand. Dem Fläschchen wurde also nicht nur die Fähigkeit zugeschrieben, die Schmerzen zu lindern, sondern auch das Geschlecht des Kindes zu beeinflussen.
Wehenfläschchen wurden im 18. und 19. Jahrhundert besonders im Alpenraum verwendet und waren fest in der Hebammenkunst verankert. Hebammen trugen solche Fläschchen in ihren Koffern, neben Kräutern und Instrumenten, um sowohl den Körper als auch die Seele der Frauen zu unterstützen. Interessanterweise haben Forschende inzwischen herausgefunden, dass das Festhalten des Wehenfläschchens Druck auf Akupressurpunkte in der Hand ausübte, was die Schmerzen womöglich tatsächlich etwas lindern konnte. So hatte dieses magische Hilfsmittel vielleicht sogar einen realen, körperlichen Nutzen, den man damals noch nicht kannte.
Bei der Betrachtung des magischen Fläschchens drängte sich mir in Erinnerung an die Geburt meines Sohnes eine ganz praktische Frage auf: Wie lange hätte dieses kleine Gefäß in meiner Hand wohl überlebt? Zum Glück fand ich eine beruhigende Antwort: Wehenfläschchen waren aus bruchsicherem Glas gefertigt.