
Nachttopf Villeroy & Boch des Hotel Minerva in Meran aus den 1910ern, © Sammlung Touriseum – Südtiroler Landesmuseum für Tourismus, Meran
„So tief kann man sinken!“, lautete der zum Glück einzige negative Kommentar, der mir zu meiner Arbeit als wissenschaftliche Mitarbeiterin im Touriseum – Südtiroler Landesmuseum für Tourismus im Gedächtnis geblieben ist. Er bezog sich auf die Ankündigung einer kleinen Sonderausstellung zum Thema Toilette, die ich im fernen Jahr 2012 für das Touriseum kuratierte. Ich war bei meiner Forschung anscheinend auf eines der letzten Tabuthemen des Alltags gestoßen und hatte mich allein durch die Beschäftigung damit offenbar selbst beschmutzt. Dabei war sich einer meiner frühen Helden, Friedensreich Hundertwasser, nicht zu schade, in seiner Wahlheimat Neuseeland eine öffentliche Toilette zu gestalten – ganz in seinem Stil, mit kleinen bunten Kacheln und unebenen Böden. Und die Vereinten Nationen waren sich nicht zu schade, im November einen Welttoilettentag einzurichten. Warum? Weil ein großer Teil der Weltbevölkerung immer noch nicht über ausreichend hygienische Sanitäreinrichtungen verfügt. Wir sollten den unseren also mehr Wertschätzung entgegenbringen und sogar in Erwägung ziehen, dass es sich lohnen könnte, die Stille um das Örtchen zu brechen. Denn es verrät uns einiges über frühere Lebensumstände, Wohnkultur und Hygienevorstellungen.
Im bürgerlichen Haushalt war der Nachttopf seit dem Ende des Spätmittelalters ein alltägliches Utensil. Auch hier kam er vor allem nachts zum Einsatz, daher sein Name. In Tirol wurde der Nachttopf „Fetzkachl“ oder schlicht „Kachl“ genannt. Sein Inhalt wurde morgens einfach aus dem Fenster gekippt. Um Passant*innen vor der unschönen Bescherung zu warnen, rief man in Frankreich dabei „gardez l’eau!“ (Achtung, Wasser!). In England wurde daraus „gardy loo!“, wobei das Wörtchen „loo“ im englischsprachigen Raum bis heute als Bezeichnung für die Toilette erhalten geblieben ist. Um der unbeliebten Dusche ganz sicher zu entgehen, riet ein Führer aus dem Jahr 1827 jenen Reisenden, die in den nächtlichen Stunden in den Straßen von Wien unterwegs waren, in regelmäßigen Abständen laut „Man geht!“ zu rufen.
Im ländlichen Bereich kamen die Nachttöpfe erst gegen Ende des 19. Jahrhunderts in Gebrauch. Hier hatte man bereits eine smarte Lösung gefunden und das Problem des nächtlichen Toilettengangs mit einer „Soachrinne“ oder „Brunzuischile“ gelöst, die von der Schlafkammer durch die Außenwand ins Freie führte – zu sehen am Haus „Höfila“ im Südtiroler Landesmuseum für Volkskunde in Dietenheim.
Insgesamt waren Nachttöpfe viel länger in Gebrauch, als man vielleicht annehmen würde. Solange es noch nicht in jedem Zimmer eine Toilette gab, waren sie auch ein fixer Bestandteil der Hotelausstattung. Oftmals schön gestaltet, zum Beispiel mit dem Emblem des jeweiligen Hauses, wurden sie im untersten Fach des Nachtkästchen verwahrt, zugedeckt mit einem Kartondeckel. Als die Hotels nach und nach Toiletten mit Wasserspülung in privaten Badezimmern installierten, verschwanden die Töpfe. In den kleineren Beherbergungsbetrieben der Dörfer geschah dies mitunter erst in den 1960er oder 1970er Jahren. Es ist also durchaus möglich, dass ihr im Dachboden eurer Oma noch auf ein solches Stück Kulturgeschichte stößt. Daher beruhigt es mich, dass ihr nun wisst: Nein, es handelt sich nicht um eine praktische Salatschüssel!
Wie ihr seht, versinke ich gerne in den Dingen, um ihre Geschichte und kulturelle Bedeutung zu ergründen. Und solange dies nur metaphorisch geschieht – je tiefer desto besser …