Der Kuchen Ihrer Majestät

10.12.2024

Der Kuchen aus dem Sonnenwirt in Nals © Sammlung Touriseum – Südtiroler Landesmuseum für Tourismus, Meran

Manche Dinge haben bekanntlich eine hohe Lebenserwartung. Je nach Art und Material überdauern sie oft jene, die sie geschaffen haben. Gerade darin lag wohl immer schon der Reiz für Kunstschaffende, sich in solchen Werken zu verewigen. Doch es gibt auch Dinge, die nur für den Moment entstehen, deren Funktion ihr Ende bereits in sich trägt. Und doch verweilen einige dieser flüchtigen Objekte länger auf der Welt, als man es vielleicht erwartet hätte.

About the authorEvelyn ResoIch bin freie Kulturwissenschaftlerin, Ausstellungskuratorin und Autorin und liebe es, Menschen mit gehaltvollen und spannenden Inhalten zu berühren [...] More
Dunkelbraun, hart und durchlöchert erinnert das Objekt, um das es heute geht, eher an einen schlammgetränkten Bimsstein als an etwas Essbares. Und doch hat sich der Kuchen dafür, dass er bereits 127 Jahre auf seiner Kruste hat, erstaunlich gut erhalten. Er stammt aus der Küche des Sonnenwirts in Nals, wo im September des Jahres 1897 Kaiserin Elisabeth einkehrte. Sie war zu ihrem vierten und letzten Aufenthalt nach Meran gereist, von wo aus sie immer wieder Ausflüge in die nähere Umgebung unternahm. Ihr Besuch sorgte im Sonnenwirt für höchste Aufregung. Rasch backte die Wirtstochter einen Kuchen für die Kaiserin, von dem diese allerdings nur eine dünne Schnitte aß. Den Rest des Kuchens bewahrte die Wirtsfamilie stolz in einem Glaskästchen auf. Er war der Beweis für den hohen Besuch, der die Familie zu höchst geehrt, ja beinahe geadelt hatte. Ein Artefakt, mit dem sich die Familie identifizierte und über das sie die erhaltene Ehre sowohl nach innen als auch nach außen demonstrieren konnte. So wurde dieser Familienschatz sorgsam gehütet und von Generation zu Generation weitergegeben, bis er schließlich den Weg ins Touriseum fand, wo er heute in den historischen Räumen im zweiten Stock von Schloss Trauttmansdorff ausgestellt ist. Hier hatte Kaiserin Elisabeth 1871 und 1889 die Wintermonate verbracht und mit ihrem Besuch der Kurstadt Meran zu großer Publicity und steigenden Gästezahlen verholfen.
Der Kuchen aus dem Sonnenwirt in Nals © Sammlung Touriseum – Südtiroler Landesmuseum für Tourismus, Meran

Auf Schloss Trauttmansdorff selbst ist von den beiden Besuchen der Kaiserin kein einziges Originalobjekt erhalten geblieben – sehr zum Bedauern der zahlreichen „Sissi-Fans“, die das Schloss zu ihrer Pilgerstätte erkoren haben. Dass das Touriseum als Südtiroler Landesmuseum für Tourismus viel mehr zu bieten hat als diesen royalen Abschnitt der Geschichte des südlichen Tirols, ist für sie nur ein schwacher Trost. Auch die tatsächlichen Geschehnisse rund um den Besuch Ihrer Majestät, etwa die schlechte Verfassung, in der sich Elisabeth bei ihrem zweiten Aufenthalt auf Schloss Trauttmansdorff nach dem Tod ihres einzigen Sohnes und Thronfolgers Rudolf befand, scheinen nebensächlich. Den Fans dient die Kaiserin als bloße Projektionsfläche für bestimmte Sehnsüchte und Träume. Ein weiteres Mal muss Elisabeth also eine Rolle ausfüllen, welche die Gesellschaft ihr zuweist, wodurch sie auf gewisse Weise selbst verdinglicht und zum Objekt gemacht wird.

Kaiserin Elisabeths Kuchen ist übrigens nicht das einzige royale Gebäck, dem als Prestigeobjekt eine lange Lebensdauer vergönnt ist. Im Jahr 2022 wurde in Norwich, England ein Stück der elf Jahre alten Hochzeitstorte von Kate Middelton und Prinz William – ebenfalls verpackt in einer hübschen Schatulle – um 390 Pfund versteigert.

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