Culture + Arts > Visual Arts
September 12, 2024
„Keine Musen!“ 5 Fragen an Eva Gratl, Co-Kuratorin von Women in Art
Verena Spechtenhauser
Anfang März hatte ich die Gelegenheit, mir im Meraner Palais Mamming im Rahmen einer Press Preview die Ausstellung Women in Art. Künstlerinnen in Meran im 19. und 20. Jahrhundert vorab anzuschauen. Die auf zwei Räume aufgeteilte Sonderausstellung, kuratiert von Eva Gratl und Rosanna Pruccoli, wurde auf Anregung der Abteilung für Bildung, Kultur und Chancengleichheit der Gemeinde Meran ins Leben gerufen und zeigt Werke von 18 Künstlerinnen, die in Meran gelebt haben oder mit der Stadt verbunden waren. Seitdem sind einige Monate vergangen, die Ausstellung ist mir über die Zeit jedoch im Gedächtnis geblieben. Besonders auch, weil uns Eva Gratl bei ihrer Führung mit wirklich spannenden Hintergrundinformationen zu den Künstlerinnen, ihren Vitae und Werken versorgt hat. Seitdem bin ich unter anderem vom zeitgenössischen grafischen Werk der Trentiner Künstlerin Rina Riva fasziniert, das ich vorher, aus welchem Grund auch immer, nicht gekannt hatte. Long Story Short: Die Ausstellung ist noch bis zum 30. September 2024 zugänglich. Nehmt euch die Zeit und schaut sie euch an (vielleicht gibt es ja auch noch eine Führung mit Eva Gratl, die kann ich sehr empfehlen). Zur Vorbereitung oder Vertiefung lasse ich euch hier mein kurzes Interview mit Eva Gratl da. Ich finde aus ihren Antworten könnt ihr beim Lesen erkennen, wie sehr sie für das Thema der Ausstellung brennt.
Liebe Eva, bis zum 30. September gibt es noch die Möglichkeit die von dir und Rosanna Pruccoli kuratierte Ausstellung „Women in Art“ zu besuchen. Warum sollten wir uns unbedingt noch die Zeit nehmen, in die Ausstellung zu gehen?
Weil wir euch in der Ausstellung ein Stück Meraner Kunst- und auch Kulturgeschichte, die Großteils der Öffentlichkeit nicht bekannt war und immer noch nicht ist, präsentieren. Gestaltet von der Künstlerin Elisabeth Hölzl, sind Werke von Künstlerinnen zu sehen, die zeitweilig in Meran gelebt haben, manchmal auf der Durchreise waren, die zum Teil den Lebensmittelpunkt in Meran fanden, aber auch jüdische Schicksale, Geschichten des Vergessens und Künstlerinnen, die einen neuen Weg mit informellen Werken eingeschlagen haben. Wir holen in dieser Schau diese überaus begabten Frauen aus dem Schatten heraus, zeigen Erfolgsgeschichten und Wiederentdeckungen. Es ist auch ein Stück Emanzipationsgeschichte, denn alle diese Künstlerinnen verfolgten eigenständige Karrieren. Das waren nicht Musen, sondern überaus kreative Frauen, obwohl ihnen lange Zeit der Zugang zu den Akademien verwehrt war. Gerade deshalb lohnt sich der Besuch, denn zu sehen sind ungemein spannende Positionen, Biografien, die nahegehen, vor allem aber sehr selbstbewusste Frauen, welche Kunst nicht nebenbei betrieben. Bewundernswerte Künstlerinnenkarrieren, würde ich sagen.In der Ausstellung werden Werke sehr unterschiedlicher Künstlerinnen gezeigt. Gab es für dich bei der Vorbereitung eine Überraschung oder kanntest du schon alle gezeigten Künstlerinnen und ihre Werke?
Es gab so viele Überraschungen. Vor allem sind es jene Künstlerinnen, die zu Beginn des 20. Jahrhunderts bei den Ausstellungen des Meraner Künstlerbundes präsent waren. Namen, die man nicht kannte, wie zum Beispiel die Fotografin Ilka Révai aus Ungarn, die im Jahre 1913 ein photographisches Atelier im Mühlgraben 4 in Meran hatte, dann als Jüdin in Budapest im Jänner 1945 im Konzentrationslager umgekommen ist. Unglaublich, ihre Fotografien des bekannten ungarischen Schriftstellers Lajos Kassak mit dem gekonnten Lichteinfall. Sie wirken fast wie Film-Stills und man merkt: Da schaut jemand auch in das Innere eines Menschen. Ada von der Planitz, Walfrieda Riss, Maria Radio von Radiis, Aliza Mandel, Ellen Tornquist … Es gab für Rosanna Pruccoli und mich so ungemein viel Neues zu entdecken, vor allem ganz besondere Werke.
War es eine bewusste Entscheidung, dass Künstlerinnen des 21. Jahrhunderts bei der Ausstellung nicht berücksichtigt werden? Es gibt ja in Merans Gegenwart einige interessante Künstlerinnen, auf die sich ein Blick lohnen würde …
Es ging uns vor allem auch darum, aufzuzeigen, wie sehr Meran Ende des 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts beliebter Kurort und auch Kunstort war. Dann mussten viele Künstlerinnen wegen der politischen Ereignisse das Land verlassen. Aber wir präsentieren auch Künstlerinnen, die in der Nachkriegszeit, in den letzten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts sehr erfolgreich waren. Anni Egösi, Elfi Widmoser, Liselotte Plangger Popp, Käthe Busch Federspiel, Gina Klaber Thusek, Franca Ghitti sind Namen, die viele Besucher*innen noch kennen. Wie wichtig ist in deinen Augen der von euch gesetzte Fokus auf die Frau als Künstlerin? Brauchen Meran und seine Menschen eine solche Ausstellung und, wenn ja, warum?
Es ist eine Tatsache, dass Künstlerinnen lange Zeit oft weniger Anerkennung fanden. Man weiß: Bis 1919 war es Frauen in Deutschland nicht erlaubt, an Kunstakademien oder staatlichen Kunsthochschulen zu studieren. Nur als Aktmodelle durften sie diese über Jahrhunderte betreten. Ein Beispiel: Walfrieda Riss war die Tochter des bekannten Malers Thomas Riss. Wer kannte sie? „Ich komme mir leicht ,wenig’ vor, war uneitel, betrieb kein Ego-Marketing“, schrieb Gabriele Münter, die lange Zeit im Schatten von Wassili Kandinsky stand. Ich denke, es ist eine wichtige Aufgabe, „Marketing“ für diese begabten Künstlerinnen zu machen. Viele waren den Künstlern ebenbürtig, aber die Kunstgeschichte wurde von Männern dominiert und lange Zeit ausschließlich von ihnen verfasst. So gebührt unser Dank den Verantwortlichen des Palais Mamming Museum, die sich auf unsere Ausstellung „Women in Art“ eingelassen haben.
Lassen wir unserer Fantasie freien Lauf und stellen uns vor, du hättest die Möglichkeit, mit einer der gezeigten Künstlerinnen einen Tag in Meran zu verbringen. Welche Künstlerin würdest du auswählen, wo in Meran würdest du dich mit ihr treffen und was würdest du ihr über die weibliche Kunstszene der Gegenwart erzählen?
Das ist aber eine schwierige Frage, dennoch – ohne die vielen anderen, die ich gerne kennengelernt hätte, in den Schatten zu stellen – ich würde gerne Emilie Mediz Pelikan treffen. Ihr Werk in der Ausstellung berührt mich immer wieder. Was für ein Format, was für ein Bild! Die Künstlerin (1861–1908) führte mit ihrem Mann Karl Mediz eine Ehe, die kein Frau-Mann-Gefälle aufwies. Sie war in Meran wohl nur auf der Durchreise. Eine unglaublich exzellente Künstlerin, die erst spät wiederentdeckt wurde. Sie ist jemand, das geht aus ihren Briefen hervor, die viel über die Rolle der Künstlerinnen Ende des 19. Jahrhunderts zu erzählen wüsste. Treffen würde ich sie natürlich im Palais Mamming, es ist ja ein einmaliger Ort der Kunst und Kultur, vielleicht könnten wir ja auf der Bank vor dem Museum sitzen. Und natürlich würde sie wahrscheinlich staunen, wie erfolgreich und geschätzt heute Künstlerinnen sind. Als Beispiel würde ich ihr vom „National Museum of Women in the Arts“ in Washington, D.C. erzählen. Es stellt nur Kunst von Frauen aus. Mittlerweile umfasst die dortige Sammlung über 5.500 Werke von mehr als 1.000 Künstlerinnen, vom 16. Jahrhundert bis heute.
Side Note: Es gibt übrigens einen sehr schönen und informativen Katalog zur Ausstellung, den ihr um 10 Euro vor Ort erwerben könnt.
Bilder: (1) (c) Emilie Mediz Pelikan Erinnerungen an Mittelberg; (2) (c) Ilka Revai Porträt von Lajos Kassak; (3) (c) Dorothy Shakespear.
Comments