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September 4, 2024
Im Gespräch mit Marina Chahboune, Gründerin von Closed Loop Fashion
Susanne Barta
Mich mit Marina zu unterhalten ist immer interessant. Einige Male habe ich das hier bereits getan, die Links dazu findet ihr am Ende des Artikels. Im Mai trafen wir uns beim Global Fashion Summit in Kopenhagen und Marina hat mir da von einem großen Projekt erzählt, das Closed Loop Fashion gerade gemeinsam mit anderen Partnern auf- und umsetzt. Beim Circular Fashion Partnership (CFP) geht es darum, zirkuläres Wirtschaften im Textilbereich voranzutreiben, genauer gesagt textiles Abfallmanagement als Standard zu etablieren und regionale Recycling-Infrastrukturen auf den Weg zu bringen. Closed Loop Fashion hat hier in den Produktionsländern Asiens viel Know-how aufgebaut und arbeitet intensiv mit Fabriken vor Ort. Finanziert wird das Projekt von der H&M Foundation, Projektpartner sind neben Closed Loop Fashion, Global Fashion Agenda, Circle Economy Foundation und Reverse Resources.
Die derzeitige Recyclingquote für Textilabfälle liegt weltweit bei weniger als 1 %, was zu einem jährlichen Verlust von Materialien im Wert von über 100 Milliarden US-Dollar führt (Circular Business Models, 2021). Drei Schlüsselziele haben sich die Partner vorgenommen: die Industrie zur Verwendung recycelter Materialien zu mobilisieren, den Wissenaustausch zu fördern und die Einrichtung nationaler Partnerschaften für Circular Fashion in den Herstellerländern zu ermöglichen. Marina, ihr habt mit Closed Loop Fashion seit vielen Jahren textiles Abfallmanagement entwickelt und vorangetrieben. Wo steht ihr aktuell?
Unser Fokus war von Anfang an auf Umweltmanagement gelegt, mit Schwerpunkt Ressourcenmanagement. Am Anfang hieß das noch Chemikalienmanagement, Abwassermanagement und Ressourcenrückführung. Die Industrie hat sich entwickelt und auch die klassische Compliance – die vor 10 bis 15 Jahren zum ersten Mal definiert wurde und in Standards und Zertifizierungen mündete –, hat sich weiterentwickelt. Und zwar so, dass alle Ressourcen gemanagt werden, bis zur Kreislauffähigkeit, wo Ressourcen nun auch zurückgeführt werden. Über diesen Weg sind wir stark in das Thema textiles Abfallmanagement hineingewachsen. In unseren Assessments mit den Fabriken haben wir gesehen, dass Abfälle wie Verpackungsmaterialien, Metall, Plastik schon gut gemanagt sind, weil sie einen Wert haben und verkauft werden können. Bei textilem Abfall ist das bisher meist nicht so, deshalb findet er häufig auch keine Abnehmer in den Ländern, wo produziert wird. Oft wird er ohne mögliche Weiternutzung entsorgt – verbrannt oder landet auf Müllhalden. Neben den extremen Umweltschäden die dies zufolge hat, kommt noch ein anderer Aspekt ins Spiel: Gerade bei textilen Abfällen ist das Risiko für die Brands groß, weil Logos und bestimmte Prints, Farben und Stoffe zu ihnen zurückgeführt werden können. Und wenn die Abfälle dann zum Beispiel in einem Umweltreservoir gefunden werden oder in illegalen Verbrennungsanlagen, kann das Konsequenzen haben. Die Fabriken arbeiten heute schon sehr ressourceneffizient, auch weil sie die kleinste Marge in der Lieferkette haben. Textilabfälle sind also die letzte Ressource, die noch gemanagt werden muss.Gibt es da schon Standards?
Bisher gibt es noch keine standardisierte Norm, wie man mit diesen Abfällen umgeht. Wir haben uns in den letzten Jahren darauf spezialisiert und einen Textile Waste Management Standard entwickelt mit 120 verschiedenen Fokuspunkten, die analysiert werden. Das geht von Arbeiterschutz bis zu Risikominimierung bei der Abfallentsorgung. Wichtig ist, Strukturen zu schaffen, um die Abfälle gleich dort zu trennen, wo sie anfallen, dann ein Monitoring zu installieren, wie viele Abfälle es gibt, von welchen Brands sie stammen, wie die Materialzusammensetzung ist etc. Es braucht transparente Daten, das fehlt derzeit noch in fast allen Fabriken. Bisher gibt es keine Klarheit darüber, wie viele Abfälle überhaupt entstehen. Unser Assessment Tool schaut in Standard-Compliance, Risikominimierung und auch dahin, Arbeitsabläufe so zu definieren, dass textile Abfälle zu Feedstock für Recycling werden können. Wir analysieren den Status quo und liefern dann einen Korrekturen-Maßnahmen-Plan, den wir im Idealfall direkt mit den Fabriken umsetzen.
Ihr seid Partner in einem großen Projekt, wo es um Textile-to-Textile Recycling geht. Wie wirkungsvoll kann das werden?
Das Projekt ist gerade in der Kick-off-Phase. Wir starten mit Indonesien als erstem Land für die Implementierung. Die Idee ist, mindestens 30 Fabriken mit textilen Abfallmanagement Strukturen zu qualifizieren. Wenn sich mehr Brands beteiligen, kann das auch mehr werden. Der Abfall wird durch die Implementierung des Standards und der Korrekturmaßnahmen gemanagt, die Daten dann von der digitalen Waste Trading Plattform Reverse Ressource monitoriert. Sie sind somit nachverfolgbar und können besser gematcht werden mit entsprechenden Recyclern. Zunächst schauen wir uns nach lokalen Recycling-Lösungen um, in Indoseien gibt es bisher aber nur mechanische Recycling-Lösungen. Die Abfälle, die nicht abgenommen werden können, werden dann mit internationalen Anbietern gematcht, zum Beispiel chemischen Recylern für bestimmte Fasermischungen.Bisher wird ja erschreckend wenig recycelt. Fehlen die Technologien um zum Beispiel Mischgewebe zu recyclen?
Indonesien ist spezialisiert auf die Produktion von Sportbekleidung, Outdoor und Bodywear, alles Produktgruppen, wo man viele Fasermischungen hat. Diese Materialien sind herausfordernder, wenn es zum Recycling kommt. Ein ähnliches Projekt wurde bereits in Bangladesch umgesetzt, Bangladesch ist ein Baumwoll-Land und Baumwolle ist leichter zu recyclen. Das ist die Herausforderung, die wir hier angehen wollen, denn wir brauchen Lösungen für die Materialien, die viel schwieriger zu recyclen sind. Manche Lösungen sind erst in der Pilotierungs-Phase, oft fehlen die Gelder um eine größere Logistik aufzustellen und im großen Maßstab zu recyclen. Bei unserem Projekt geht es auch darum, zu sehen, welche Abfallströme es überhaupt gibt in diesem Land, welche Mengen und welche Lösungen gebraucht würden. Um dann die internationale Community zu animieren, eine Fabrik dort zu bauen, Sourcing-Partnerschaften einzugehen und eine Logistik-Infrastruktur zu etablieren. In der Industrie gibt es gerade einen Shift: viele chemische Recycler, die ihre Pilotfabriken in Europa, Australien, den USA etabliert haben, merken, dass sie sehr weit weg sind von den Produktionsabfällen, vom Feedstock, auch von den weiterführenden Lieferketten, also Webereien, Spinnereien, Strickereien, Garnproduzenten. Als Recycler ist man ja am Anfang der Lieferkette, weil man eine Faser herstellt. Deswegen versuchen viele in den asiatischen Großraum zu gehen. Projekte wie das unsere helfen dabei zu verstehen, welches Land das richtige für sie ist. Wir hoffen natürlich auch, dass dadurch Investitionen angezogen werden.Wie bereit sind Brands aus deiner Erfahrung in Recycling-Technologien zu investieren? Aber auch recycelte Materialien zu verwenden?
Ich beobachte eine Diskrepanz in Unternehmen, weil unterschiedliche Stellen für diese Themen zuständig sind. Viele der großen Brands und Retail-Gruppen investieren gerade in chemische Recycler, werden teilweise auch Besitzer, um sich Feedstock zu sichern. Sie stellen sich auf den EU-Aktionsplan ein, der mit sich bringt, dass Produkte, die in die EU gehen, einen bestimmten Anteil an recycelten Materialien haben müssen. Der Run auf Feedstock hat also begonnen. Diese Entscheidungen werden vom Management getroffen. Gleichzeitig sieht man, dass die Stellen, die für Sourcing und Procurement zuständig sind, noch nicht so im Boot sind, weil sie bisher nicht oder nur kaum Recyclingfasern (aus Textile-to-Textile Recycling) in ihren Kollektionen verwendet haben. Das ist im Moment das größte Problem, denn recycelte Fasern sind oftmals teurer als Virgin-Materialien.
Welche Herausforderungen kommen da für euch als Projektpartner zu?
Wichtig ist, dass man die lokalen Stakeholder an Bord hat, die richtigen Parteien, Ministerien, die textilen Verbände, dass man die Industrie vor Ort mobilisiert und genügend Bewusstsein dafür schafft, warum das Projekt für sie wichtig ist. Wir beobachten, dass gerade viele Länder herauszufinden versuchen, was Kreislaufwirtschaft für sie bedeutet. Die Lösungen sind unterschiedlich. In Bangladesch zum Beispiel braucht es andere Lösungen als in Indonesien. Und da kommen wir ins Spiel, weil wir viel lokale Kompetenz haben, das lässt sich nicht einfach so von außen implementieren. Es ist viel Überzeugungsarbeit zu leisten bei den Regierungen, dass Abfall eine wichtige Ressource sein kann und es entsprechende Regulierungen und Gesetze braucht. Auch geht es darum, eine gute Umgebung für ausländische Investitionen zu schaffen, um die entsprechende Infrastruktur aufzubauen.Wie optimistisch bist du, dass sich der Anteil an Recycling signifikant erhöhen wird?
Ich kenne die genauen Prognosen nicht, aber alle bekannten chemischen Recycler konnten in letzter Zeit viele Investments einsammeln. Es gibt viel Brand Support, daher ist zu erwarten, dass neue Fabriken und skalierbare Strukturen geschaffen werden. Das dauert sicher ein bis zwei Jahre, es geht da ja um große neue Fabrikstrukturen. Ich gehe aber davon aus, dass wir einen bedeutenden Zuwachs bekommen werden an Recyclingmaterialien in der Produktion.
Hier und hier geht’s zu den bisherigen Gesprächen mit Marina Chahboune.
Foto 1 Mit Marina, beim Global Fashion Summit in Kopenhagen © Susanne Barta
Foto 2 Pile of textile waste cut into small pieces in preparation for recycling © Closed Loop Fashion
Foto 3 Marina Chahboune in a textile waste storage unit © Closed Loop Fashion
Foto 4 Cutting waste during the garment cutting process, this is the production step with the most waste © Closed Loop Fashion
Foto 5 Polyester from PET bottles © Closed Loop Fashion
Foto 6 mit Mitarbeiterinnen auf dem GFS © Closed Loop Fashion
Foto 7 Post-industrial textile waste © Closed Loop Fashion
Foto 8 Textile waste before and after processing © Closed Loop Fashion
Foto 9 Truck in India transporting textile waste © Closed Loop Fashion
Foto 10 Manual cutting process © Closed Loop Fashion
Foto 11 Sewing station © Closed Loop Fashion
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