Music
August 3, 2024
im Fluss …
F. Landra
mmr 26*
ich fließe, zerfließe vielleicht, fließe zu und fließe aus, fließe ab. quelle, quille, sprudle, laufe, flute, fahre, ströme, brande. gluckernd, rauschend, schlagend, schäumend, wallend, prallend, brechend, kochend, brausend, brodelnd, kräuselnd. mal bedrohlich. mal sanft. fliege ich, schwinge, flattere, schwebe, wehe, fächle. zappelnd, schwankend, schaukelnd, gaukelnd, schwimmend.
ob Flug oder Fluss, Wind oder Wasser, es ist immer ein Sog, ein mitreißender, der von diesen Bergen ausgeht, sich überträgt, sich in der Musik von Maddalena Ghezzi und Ruth Goller fortsetzt. „Dolomite“ ist eine Reise, respektvoll und ehrlich, wie es vielleicht nur Musikerinnen sein können … Sie erzählen von Bergen, die einst Ozean waren, es in gewisser Hinsicht immer sein werden, deren Schatten sich auch jetzt aufzubäumen scheinen, wenn es wieder mal zu viel wird … Wie schaffen wir es bloß, mitzuschwimmen und nicht unterzugehen …?
für *mein musik rubrik erzählt uns Maddalena Ghezzi selbst davon …
wie kam’s zur Zusammenarbeit für „Dolomite“ zwischen dir, Maddalena, und Ruth Goller?
Maddalena Ghezzi: Ruth und ich kennen uns schon eine Weile, weil wir beide Teil der Londoner Musikszene sind. Meine Familie kennt die Seiser Alm, Ruths Heimat, seit meiner Kindheit, Ruth und ich sprachen sofort von dieser gemeinsamen Verbindung und ihrer Herkunft. 2020 habe ich die Serie „Minerals“ ins Leben gerufen, für die ich mit verschiedenen Menschen zusammenarbeite. Mittlerweile sind fünf EPs erschienen. … ich habe mir sofort gedacht, es wäre großartig, dafür mit Ruth zusammenzuarbeiten und über unsere, wenn auch unterschiedliche, Verbindung mit den Dolomiten zu sprechen. Ich war mir nicht ganz sicher, wie ich dieses Gespräch beginnen sollte, also habe ich ein 35-minütiges Video mit Bildern erstellt, die ich und meine Familie in den letzten 30 Jahren gesammelt haben. Das erste Mal zusammen gespielt haben Ruth und ich, als wir im Februar 2022 das Video in der Hundred Years Gallery in London live improvisierten. Diese gemeinsame Erfahrung hat zu weiteren Gesprächen geführt und auch dem Wunsch, Stücke in den drei Sprachen der Region zu schreiben: Deutsch, Ladinisch und Italienisch.
was verbindet euch mit den Dolomiten – tatsächlich und vielleicht auch im übertragenen Sinn? … weil diese Berglandschaft ja leider auch inzwischen zu sehr für zu viel ausgenutzt wird …
Ruth und ich haben sehr viel über die Ausbeutung dieser Region gesprochen, insbesondere über die Verschwendung von Wasser, das oft große Anlagen speist, aber für die lokale Bevölkerung nicht ausreicht. Deshalb haben wir beschlossen, aus der Perspektive eines Wassertropfens zu schreiben, der in den Wasserkreislauf eintritt und jedes Mal Zeuge von etlichen Veränderungen in der Umgebung wird. Inspiriert hat uns auch die Vergänglichkeit der Natur und ihre stete Bewegung. Die Dolomiten waren einst der Grund eines Ozeans, heute bilden sie einige der höchsten Berge Europas. Was aus menschlicher Sicht statisch wie eine Gebirgskette erscheint, ist stattdessen von ständiger Veränderung geprägt. Dies relativiert die gesamte menschliche Erfahrung und das Gleichgewicht zwischen Stabilität und Instabilität.
Ruth ist in den Dolomiten aufgewachsen, ihre Familie lebt dort. Ich komme ursprünglich aus Cusano Milanino bei Mailand, meine Familie liebt die Berge. Ich habe viele Sommer beim Wandern mit meiner Familie und Freund*innen auf der Seiser Alm verbracht, diese Erfahrungen haben mir viele Werte vermittelt und mich der Natur näher gebracht. Als mein Vater vor zehn Jahren gestorben ist, haben wir seine Asche auf dem Gipfel des Plattkofels verstreut. Von diesem Augenblick an hat eine Art weltlicher Pilgerschaft begonnen: Jedes Jahr kommt meine Familie mit Freunden meines Vaters zusammen und verbringt in Erinnerung an ihn oben auf dem Berg auf den Schutzhütten einige Tage. Im Lauf der Jahre haben wir mit einigen Hüttenwirt*innen starke, anhaltende Freundschaften geschlossen, wie beispielsweise mit Petra von der Plattkofelhütte oder Andrea, Bruno und Silvia vom Rifugio Dona. Diese Verbindungen, das Wandern in der Natur von Hütte zu Hütte und das Ausschalten unserer Mobiltelefone haben es uns ermöglicht, als Familie zu trauern, und uns als Gemeinschaft verbunden zu fühlen. Eine Frage, die sich mir immer wieder stellt, wenn ich die durch den Klimawandel verursachten Schäden (wie den Sturm Vaia) sehe, ist: Hilft uns die Natur, uns körperlich und auch seelisch gut zu fühlen, wenn sie zerstört wird, die Wälder schreien und frisches Wasser knapp wird, und es uns dann besser geht und wir heilen?wie ist die EP gewachsen?
Die EP ist aus Sicht des Wassers geschrieben. Ich habe ein Gedicht auf Englisch geschrieben und Ruth und ich haben es ins Italienische, Deutsche und Ladinische übersetzt. Das Gedicht bleibt zwar immer dasselbe, schwingt somit aber in den Dolomiten-Sprachen, ehrt und besingt das Zusammenkommen dieser Gemeinschaften. In verschiedenen Sprachen zu singen und von einer Sprache in die andere zu übersetzen war eine wunderschöne Erfahrung, weil es die Verbindungen zwischen den Sprachen, die Teil der Dolomiten sind, aufzeigte und neu erleben ließ. Auf der gesamten EP experimentiert Ruth sowohl mit der Stimmung als auch mit verschiedenen Bassklängen. In „Jole“ erforscht sie eine unkonventionelle Bass-Stimmung und bettet Melodien mit Obertönen in andere Harmonien. In „I Fliag“ experimentiert Ruth mit einem kurzen Delay.
was könnte die Musik bei den Zuhörenden auslösen?
Die Verbindung mit der natürlichen Welt. Zugehörigkeit. Ein Wahrnehmen mit allen Sinnen, nicht nur mit den Augen. Respekt vor den Ressourcen und Freundlichkeit gegenüber allem, was uns umgibt – Pflanzen, Tiere oder Menschen.
hab ich was vergessen?
Wir spielen am 6. August live im Stanglerhof. Die Single „Flex and Float“ wird von einem Video mit animierter Collage aus originalen Fotos meiner Familie des Kunstkollektivs Libri Finti Clandestini und des Fotografen und Filmemachers Tanguy Bombonera begleitet: Menschen werden zu Behältnissen für Natur, um unsere Zugehörigkeit zur Umwelt zu verdeutlichen. Das Projekt „Dolomite“ wird von LaMunt (Premium-Bergbekleidung von Frauen für Frauen) und von VAIA (innovatives Nachhaltigkeitsprojekt) unterstützt.
Foto: Dolomite, Maddalena Ghezzi, Ruth Goller (c) Sara Polonghini
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