Music

July 16, 2024

„Düster, kalt, einsam …“ – Annabel de Melchiori und ihr Zugang zu Musik

Manuel Pichler

Musik wie gewohnt im 4/4-Takt. Die Bassdrum schlägt bei jeder Viertelnote ein, dazu noch eine oder mehrere Hi-Hats mit Betonung auf die geraden Achtelnoten. Drum Machines und Synthesizer aus den 80er-Jahren sind maßgeblich an der Klangfarbe des Sounds beteiligt. Ursprünglich entstand Techno in den 80ern in Amerika, fasste aber schon bald in Europa Fuß und verbreitete sich schnell. Neben Blasmusik und Ziachorgel gibt es auch in Südtirol eine blühende Szene der elektronischen Musik. Techno ist eines der vielen Subgenres und hierzulande nichts Neues. Ob im NOI Techpark in Bozen, im Astra in Brixen oder in der BASIS im Vinschgau … überall macht es „TUNZ TUNZ TUNZ …“.

Annabel de Melchiori ist eine der Vertreter*innen der Szene und produziert schon seit einer Weile elektronische Musik und Techno. Im April erschien ihre EP Underground Bite: harte Kicks und Acid Synths – für mich eine klare Anlehnung an die 90er und Jahrtausendwende der elektronischen Musik. Ich habe Annabel ein paar Fragen zukommen lassen – und hier sind ihre Antworten.

Wann hast du mit der Musikproduktion angefangen und hast du einen musikalischen Background?

Offiziell veröffentliche ich meine Musik seit 2015 auf YouTube und SoundCloud, aber mit der Musikproduktion habe ich viel früher angefangen. Ich fühlte mich immer schon zur Musik hingezogen und verbrachte Stunden mit meinem Radio. Alles begann, als meine Mutter mir eine Zeitschrift schenkte, der ein kleines orangefarbenes Radio mit Kopfhörern beigelegt war. Da sie nichts damit anfangen konnte, gab sie es mir, ansonsten wäre es im Müll gelandet. Von diesem Tag an hatte ich es immer bei mir, oft schlief ich sogar mit Kopfhörern in den Ohren.
Meine Lieblingsmusik war und ist immer noch elektronische Musik, besonders Dance, aber auch Pop, House und auf jeden Fall Techno. Ich hatte nie Interesse, Gitarre oder Blockflöte zu spielen, sondern wollte die Musik machen, die ich im Radio hörte, und fing an, mit verschiedenen Computerprogrammen und DAWs zu experimentieren. [Anm. d. Red.: DAW ist die Abkürzung von Digital Audio Workstation und umfasst alle Programme, die für die Musikproduktion entwickelt sind.] Ich erinnere mich noch, wie ich anfangs mit Finale NotePad 2006 experimentierte, ohne die geringste Ahnung zu haben, was ich da machte. Auf Audacity nahm ich einfach alles mit meinem MP3-Player auf, übertrug es auf den Computer und versuchte, daraus Melodien oder Beats zu basteln. Mein Gott, klangen die schrecklich! Aber ich war fasziniert davon. Im Lauf der Jahre wechselte ich oft die Musikrichtung. Aus meinem Hobby „Musik“ wurde schnell etwas Spezielleres. Warm Desireè mein allererster Beat, den ich 2015 auf meinen YouTube-Kanal hochgeladen habe, ist immer noch online. Ich habe von einem Stil zum anderen gewechselt, viel experimentelle Musik gemacht, Hip-Hop, Rock, Indie … Ich hatte viele Collabs bis ich 2018, wie es der Zufall so wollte, wieder zur elektronischen Musik zurückkehrte, aber diesmal Tekno. DJ Anblober, ein Produzent aus Napoli, meldete sich bei mir und fragte, ob ich Lust hätte, ihm ein paar Vocals zu schicken. Kurz danach bekam ich seinen Track und machte mich an die Arbeit. Wir gründeten das Tekno-Duo NarbSekt und veröffentlichten unsere Debut-Single Jäger bei Ectomorph Records. Die Texte variierten sehr zwischen Englisch, Italienisch und sogar Deutsch. Ich entschied mich immer für die Sprache, die am besten passte. Es folgten weitere Lieder mit portugiesischen Produzenten. Where are we going in Zusammenarbeit mit Antonio Sepe war sogar für kurzer Zeit in den Top 100 Techno Tracks auf Beatport. Nach einigen Jahren wurde uns jedoch klar, dass NarbSekt nicht mehr funktioniert. Ich und DJ Anblober sind nach und nach auseinander gegangen und seit 2020 ist das Duo nicht mehr aktiv.
Ich experimentierte weiter mit meiner Musik, 2022 kam dann mein erster offizieller Release La Notte del Giorno beim Label Emergency Ts Music, ein Track mit einer interessanten Bassline, Vocals und dem Text, von mir verfasst. Aber irgendwie fühlte ich, dass das nicht wirklich mein Weg war. Ich brauchte eine Pause, um zu verstehen, was ich wirklich wollte und in welche Richtung ich mich entwickeln wollte. Little Things markierte den Start in eine neue Ära, gefolgt von meiner EP Underground Bite, ein absoluter Erfolg bisher. So soll meine Musik klingen! Das ist Techno, so wie ich ihn mir vorgestellt habe.

Ich verfolge jetzt seit einigen Jahren die lokale Szene der elektronischen Musik und sehe, dass es viele Produzent*innen, DJs und Fans der Techno-Musik gibt. Was macht Techno für dich zu etwas Besonderem? Warum glaubst du, dass es in Südtirol viel Techno gibt?

Ich glaube, dass Techno in letzter Zeit immer mehr zu einer Mode geworden ist – ein stiller Wettkampf, wer den nächsten Banger raushaut. Ich finde, dass jede Zeit und jede Generation ihre eigene Musik hat, ich meine … Techno war schon immer weltweit sehr bliebt, gut zu Tanzen, schnell oder langsam, düster oder nicht, er passt sich allen an.
Wer Techno liebt, der teilt eine gemeinsame Leidenschaft. Musik braucht keine Erklärungen, keine Worte, sie spricht dich einfach an. Ich bin der Meinung, dass Musik alles angenehmer macht … vielleicht interessanter oder erträglicher? Es fasziniert mich, wie Frequenzen ganze Gruppen von Menschen beeinflussen können. Wenn man von elektronischer Musik spricht, spricht man von Tracks, die seltsam sind, wobei Techno und Musik insgesamt derzeit unter der Digitalisierung und einem Mangel an Kreativität leiden. Musik wird immer mehr zu einem Business im großen Stil. Im Grund genommen braucht man nicht viel, um Musik zu machen: einen Computer, eine DAW, eine Internet-Verbindung und du bist Good-to-go. Warum Techno in Südtirol so beliebt ist, kann ich nicht genau sagen. Vielleicht liegt es an der Kultur oder der Mentalität, vielleicht an beidem oder auch nicht. Ich schätze es ist einfach so. In Süditalien ist die music neomelodica angesagt, in Lateinamerika Reggaeton und Berlin spielt Techno. Ich denke, die Musik spiegelt die Menschen wider, und dabei meine ich nicht die Mode, sondern das, was behind the scenes gespielt wird. 

Welches Equipment verwendest du für die Produktion? Alles digital oder doch analoge Drum Machines und Synths?

Ich experimentiere gerne, nehme Geräusche mit meinem Handy auf, übertrage sie auf den Computer und verwende sie dann in meinen Tracks. Das ist lustig! Man weiß, wo man anfängt, aber nicht, wo man landet. Ich habe unzählige Plugins. Manche Klingen richtig Old School, andere sehr modern. Ich bin aber der Meinung, dass alte Synthesizer einfach mehr Charakter haben. Ich höre mir auch sehr gerne Musik aus den 90er-Jahren an. Meine Lieblings Playlist besteht aus Sinus – Blob, Sound of Venus, The Hause of Hause und anderen mehr. Wenn ich Inspiration brauche, finde ich sie immer bei James Brown is dead oder Dance your Ass off, The Prodigy oder The Chemical Brothers – Hey Boy Hey Girl sind ein absolutes Must. Ich baue gerade mein Studio aus. Zurzeit mache ich alles digital, aber für einen Synthesizer finde ich sicher Platz, vielleicht sogar für mehrere. Ich habe ein MIDI-Keyboard, einen Laptop, ein Mikrofon und meine DAW. Seit fast 10 Jahren benutze ich FL Studio. Es ist ein sehr intuitives Programm, sehr benutzerfreundlich, bietet aber trotzdem viele Möglichkeiten. Wenn ich mich an meinen Computer setze, lasse ich meiner Fantasie freien Lauf und weiß nie, was ich produzieren werde. Ab und zu habe ich eine halbe Idee, die ich am Ende komplett umgestalte. Nur eines ist sicher, und zwar welche Stimmung es herrschen muss. Diesbezüglich bildet sich der Track fast von allein. Chaos von meiner EP Underground Bite ist sicher der gelungenste Track bisher. Düster, kalt, einsam … Ich beschreibe es gerne als ein Limbo. Das offizielle Video dazu spiegelt perfekt die Stimmung wider – für mich einfach eine Perle. Wenn ich bei der Musik bin, bin ich komplett von der Außenwelt isoliert, will kein Handy haben, und möchte am liebsten allein sein. Dabei konzentriere ich mich komplett auf das, was ich gerade mache und was ich mit der Musik sagen will.Annabel de Melchiori - Underground Bite EpWarst du schon einmal im Berghain und kannst du mir einen Tipp geben, wie ich mit hoher Wahrscheinlichkeit reinkomme 

Ich war tatsächlich noch nie in Berlin und möchte auf den Fall mal da hin. Ich habe dort ein paar Bekanntschaften aus der Musikszene, und ich denke mir, dass ein Besuch sicher gut wäre. Berghain ist einfach berühmt, wurde sogar mal als bester Club der Welt bezeichnet. Mit strengem Türsteher, der mehr Leute wegschickt, als reinlässt. Man munkelt über das, was da drinnen passiert, Klos ohne Spiegel, Dark Rooms, eine große Tanzfläche und ein mega Sound System. Fotos und Videos sind streng verboten. Bekannt ist der Club auch wegen der langen Schlange davor. Stundenlanges Anstehen und dann vielleicht trotzdem nicht reinkommen … Das macht den Club natürlich noch mysteriöser und die Menschen neugierig. Der Mensch heutzutage will alles sehen, alles posten, deswegen finde ich es gar nicht so schlecht, dass Video- und Fotoaufnahmen drinnen verboten sind. Persönlich kenne ich niemanden, der mal im Berghain war und kann deswegen nicht genau sagen, ob ich es überhaupt versuchen würde, reinzukommen. Ich glaube, dass ich keine Geduld für stundenlanges Anstehen hätte, um dann mit hoher Wahrscheinlichkeit enttäuscht nach Hause zu gehen. Es heißt nämlich, dass es nicht einmal um den Dress-Code geht, sondern darum, ob man dem Türsteher sympathisch ist oder nicht … 

Stell dir vor, ich hätte keine Ahnung von Techno und elektronischer Musik. Was ist Techno?

Techno ist eine Reise in eine Welt voller Sounds, manche bekannt, manche völlig neu, manche in Trance versetzend, manche düster … Wie gesagt, Techno ist vielfältig. Deswegen finden sich viele Menschen in dieser Musikrichtung wieder. Du weißt, dass es dir gehört, wenn du es hörst. Manche begleitet Techno schon ihr ganzes Leben, andere erst seit kurzem, aber das macht nichts, Techno genießt man am meisten, wenn man sich der Musik hingibt, wenn man sich fallen lässt, wenn man dem Rhythmus folgt, dem Takt, präzise wie Mathematik, die Hi-Hats sind unverzichtbar. Ein guter Freund von mir, Daniel Trüb Schallrauch, sagt immer „Techno ist die Musik der freien Seelen“. Ich glaube, das trifft zu. 

Machst du auch DJ Sets? Gibt’s zukünftige Termine? 

Seit kurzem: ja. Ich habe noch nicht oft live performt, aber ich arbeite daran. Djing ist für mich was Neues. Ich habe mich lieber auf das Produzieren konzentriert. Ich hatte ein paar Auftritte in Mailand am Barrios, in Florenz und beim Jugendzentrum in Innichen mit dem Techno-Duo und Producer Team 2717 als Vocalist. Bisher waren meine Tracks eher Dance orientiert, wie z. B. La notte del giorno in Rovereto live performt, Fall Asleep, Chilli Boo oder Your Destiny beziehen sich mehr auf Dark Wave. Ich habe mit dem Duo Tempiinversi ein paar Techno/Dance-Projekte am Laufen. Today Night ist sogar ein Schranz Remix geworden. Das Leben ist immer voller Überraschungen, wer weiß, was noch passiert …

Fotos: Annabel de Melchiori

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