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July 8, 2024
Better together – Emanuele Masi, Tanz Bozen und geteilte Emotionen und Erfahrungen
Elisa Barison
Am kommenden Freitag, 12. Juli 2024, beginnt die Jubiläumsausgabe von Tanz Bozen. 40 Jahre Existenz feiert das renommierte Festival und einer, der gleich doppelt feiert, ist Emanuele Masi. Der aktuelle und langjährige künstlerische Leiter der Veranstaltungsreihe zelebriert diese besondere Ausgabe auch als seine letzte in dieser Rolle. Warum dies ein Grund zum Feiern ist und was in den Jahren seit seinem ersten Eintritt in die Welt des Festivals noch so alles passiert ist, erzählt er mir bei einem Treffen in Bozen.
Emanuele beginnt eigentlich als Musiker, studiert am Konservatorium und an der Internationalen Klavierakademie in Imola. Doch er landet hinter den Kulissen des Musik- und Theaterbetriebes, macht Erfahrungen am Festival Pergine Spettacolo Aperto und einigen anderen Veranstaltungen und Institutionen, bis er am Stadttheater Bozen als segretario artistico angestellt wird. Bis er 2013 offiziell die künstlerische Leitung von Tanz Bozen übernimmt, wirkt Masi am Festival als Organisator und Manager mit. Der Umgang mit dem Festival von Seiten der Organisation und auch von Seiten Masi ist anders als heute. Er sammelt Vorschläge, bucht nach bestem Wissen und Gewissen und versucht die ihm zugetragene Rolle gewissenhaft zu erfüllen. Doch Masi will mehr. Nicht für sich selbst, dafür ist der geborene Trientner viel zu altruistisch und bescheiden. Er will mehr für Bozen und das Festival. Er beginnt die internationale Szene zu besuchen, trifft Künstler*innen, Choreograph*innen und viele weitere Menschen, die sein Bewusstsein für den zeitgenössischen Tanz schärfen und überzeugt sich davon, seine Leitung dorthin zu entwickeln, wo sie die vielen letzten Jahre stand und wodurch das Festival auch zu seinem heutigen Ruhm und Namen gekommen ist: Er beginnt zu teilen.
Er teilt zunächst den Schauplatz des Festivals, indem er die einzelnen Stücke nicht bloß auf den Bühnen des Stadttheaters Bozen zeigt, sondern in die Straßen, Parks und weitere Institutionen der Stadt wandern lässt. Dies ist nicht zuletzt auch ein großer Gewinn für Menschen, die sich ein Ticket zu besagter Bühne gar nicht leisten könnten (viele gezeigte Stücke im öffentlichen Raum sind kostenlos zugänglich). Dann beginnt er Gastkurator*innen einzuladen und teilt somit seine Vision, seine Ideen und seine Entscheidungen mit einer anderen oder mehreren Personen. Er geht aktive Kollaborationen mit Orten der bildenden Kunst ein: Museion, AR/GE Kunst und schließlich auch Antonio Dalle Nogare Stiftung, wo ich ihn kennenlernen und mit ihm zusammenarbeiten darf. „Was mich dabei interessiert ist, wie können wir einen Kompromiss eingehen, wie können wir an etwas arbeiten, etwas Neues schaffen, sodass es für alle involvierten Personen passt und schlussendlich ein gemeinsames Projekt, von uns erdacht, entsteht“, erklärt er mir zum Zugang der Kollaborationen mit den vielen Kompanien, Partner*innen und Institutionen. „Ich bin als Einzelkind aufgewachsen und im Rahmen des Festivals mit Gastkurator*innen wie Michele di Stefano oder Rachid Ouramdane zusammenzuarbeiten, hat mich gelehrt, wie schön es ist, wenn man gemeinsam arbeitet, plant und die Früchte der getanen Arbeit gemeinsam feiern und genießen kann.“
Teilen will er auch die Entscheidungshoheit über das Programm des Festivals – einmal mehr. Deshalb kündigte Emanuele im März seinen Aufbruch von Tanz Bozen und dem Posten des künstlerischen Leiters an und will nun jeden einzelnen Moment der heurigen Ausgabe ganz intensiv und bewusst genießen und erleben, während er gespannt und hoffnungsvoll auf die Zukunft des Festivals blickt. Es brodelt nichts „Großes“ in Emanueles Topf. Er verlässt das Festival nicht für einen noch „besseren“ Posten oder einen strategischen Karrieresprung, nein. Emanuele verlässt den Posten, weil er nicht an eine endlose Alleinherrschaft eines einzigen Mannes (!) im Rahmen einer derartigen Veranstaltung glaubt. „Aber es gab doch die Gastkurator*innen und vielen Zusammenarbeiten“, könnten nun viele andere Männer ähm Menschen denken und brüllen, „reicht das denn nicht?“. Nicht für den bescheidenen und vorbildhaften Emanuele (Eigenschaften, die allein ich ihm zuschreibe, er würde das nie über sich selbst sagen).
Immerhin, hat er in den letzten Jahren oft genug bewiesen, dass ihm und den vielen involvierten Menschen des Festivals – von Mitarbeiter*innen bis hin zu den Choreograph*innen und Tänzer*innen – das Wohl ALLER Menschen am Herzen liegt. Weshalb die übergreifenden Themen der einzelnen Ausgaben auch immer soziale und politische Themen behandelten, sie teilweise sogar vorwegnahmen. Und somit soll der geschaffene und von Emanuele gut gepflegte Organismus Tanz Bozen nun weiterwachsen dürfen, unter der Leitung anderer Pfleger*innen mit neuen Visionen und Impulsen.
Und Emanuele? Der hat noch allerlei vor, vielleicht ohne es zu ahnen. Er erzählt mir von zwei Erlebnissen in seiner Kindheit und Jugend. Beides Mal wurde er „per Zufall“ (sagt er, ich bin natürlich überzeugt davon, dass es sein Schicksal so wollte) Zuschauer bzw. involvierter Organisator in schulischen und außerschulischen Tanzprojekten, welche ihn damals schon fesselten und begeisterten, auch wenn er damals nichts mit dem Kosmos Tanz zu tun hatte und behauptet, bis dato selbst kein guter Tänzer zu sein. Wer weiß also, wo seine Intuition ihn zukünftig hinführen wird.
Ich nenne ihn einen Kulturaktivisten, immerhin wird er nach wie vor in der strategischen Entwicklung für die Stiftung Haydn tätig bleiben. Außerdem kuratiert er noch das Festival Equilibrio in Rom und ist in zahlreichen Komitees und Vorständen vertreten bzw. berät andere Festivals und Projekte. Er ist sich unsicher, ob er diese Zuschreibung annehmen soll, er möchte nicht radikal wirken und handeln, doch ich erkläre ihm, dass ich damit sein wortwörtliches Aktivieren von Orten, Menschen, Beziehungen und Emotionen meine und, dass in seinem Fall das von mir so geliebte Konzept der radical softness zutrifft, wenn wir schon über Radikalität sprechen müssen. Damit ist er einverstanden, es gefällt ihm sogar.
Zum Abschluss teilt Emanuele noch einmal: Er rät mir, ganz unaufdringlich und meinen Vorstellungen entsprechend, jene Stücke, die ich heuer unbedingt sehen sollte. Auch hier bleibt er bescheiden, ich denke nun aber, ich sollte am besten alle sehen, und das macht ihr am besten auch.
Foto: Emanuele Masi © Tiberio Sorvillo
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