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June 29, 2024

„Deutsche Far Niente“ mit Sophia Süßmilch

Kunigunde Weissenegger

Und da ist es wieder: „Then I’ll huff and I’ll puff and I’ll blow your house“ („Ich werde husten und prusten und dir dein Haus wegpusten“ – aus dem Märchen „Die drei kleinen Schweinchen“) ist der Titel ihrer bis 20.10.2024 laufenden Einzelausstellung mit Performance in der Kunsthalle Osnabrück. Deshalb toben zurzeit die Wogen und Wellen – Empörung, schreien Teile der CDU, und kindgerecht sei das Jahresprogramm 2024 mit dem Titel „Kinder, hört mal alle her!“ keineswegs, ein Werk propagiere sogar kannibalistische Phantasien … (Sucht am besten selbst im Web Künstlerinname + Museum, falls ihr tiefer steigen wollt.)

Na ja … egal. – Sprung, in die Galleria Doris Ghetta zu „Deutsche Far Niente“. So heißt die Ausstellung, die bis heute dort lief. Hier in Gröden war sie schon einmal – zu Gast in der von Matthias Moroder legendär geführten Traube (wer erinnert sich?!). In Innsbruck war sie vor drei Jahren mit einer Show. Ein bedeutender Teil der ausgestellten Werke stammt aus ihrer Ausstellung „Sanatorium Süßmilch“ im Francisco Carolinum Linz.

Wer ist sie, diese Sophia Süßmilch? Viel jedenfalls. Am besten zitier ich aus dem Ankündigungstext auf der Website der Kunsthalle: „Die Künstlerin Sophia Süßmilch macht viele verschiedene Arten von Kunst. Sie benutzt dafür viele verschiedene Methoden. Sie malt, macht Skulpturen und Performances, aber auch Textil-, Foto- und Videoarbeiten. In ihrer Kunst beschäftigt sich Sophia Süßmilch mit den ganz großen Fragen der Menschheitsgeschichte: Warum sind wir auf der Welt? Was macht uns menschlich? Oder: Was ist Liebe? Was bedeutet Moral? Diese Fragen behandelt Sophia Süßmilch mit viel Humor. Auf eine ganz eigene, spielerische Art und in ihrer Sprache. Ihre Kunst führt dabei den Betrachter:innen die Widersprüche  gesellschaftlicher Normen und Regeln vor Augen. Ihre Kunst kann berühren oder abstoßen.“ 

… klären wir zunächst doch mal den Einstiegssatz …

Sophia, wie kommst du auf die Titel deiner Arbeiten? … alles kleine Geschichten … „Die Güte der Weiber“ – „Life before living“ – „Die Revolution frisst ihre Kinder“ … WTF! WHY?

Ich schau mir das meistens an und denke mir, [lacht] was es sein könnte. „Die Güte der Weiber“: Das hat so eine Oma, die in ein Pferd eingesunken ist. Die Situation ist ja völlig absurd, in der diese Person steckt. Das Bild macht sich über die Annahme lustig, dass Frauen so viel Güte besitzen, vor allem ältere Frauen. Für „Life before living“ habe ich eine Person interviewt, die ist 17. Das umreißt vielleicht meine Vorstellung darüber, wie man das Leben betrachtet, wie das Leben über einem steht – das ist ja so ein Hase, bedrohlich vielleicht – und man liegt darnieder, bevor man es überhaupt gelebt hat. „Die Revolution frisst ihre Kinder“: Ist ja nicht von mir, sondern aus der Französischen Revolution, ich weiß gar nicht mehr, von wem genau. Und wie Saturn, der seine eigenen Kinder frisst, weil ihm prophezeit wird, dass sie ihn mal vom Thron stoßen würden, was dann letztendlich doch passiert, weil ein Kind ja irgendwie überlebt und es wieder auskotzt. Kannibalismus, hello! Die Person, die ich da interviewt habe, arbeitet bei der KPÖ in Graz und wir haben auch über das Kinderkriegen und so geredet. Irgendwie fand ich das dann einen ganz humoristischen Titel für dieses Bild. Also das hat dann ja immer irgendwie mit Augenzwinkern zu tun und ist gleichzeitig ein Angebot, wie man das Bild lesen kann, aber auch eine Spielerei von mir. Ich finde es auch oft eine Erleichterung zu sagen, das Bild bedeutet genau das, aber gleichzeitig kann man das auch einfach ignorieren. Ich benenne Bilder manchmal auch einfach um, wenn ich Bock drauf habe oder sie in einem anderen Kontext framen will. Ich finde auch, dass das ein bisschen zu ernst gesehen wird mit den Titeln von Bildern.Sophia Süßmilch portrait - ph Tiberio Sorvillo

Wie läuft denn die Ausstellung in der Kunsthalle Osnabrück gerade? 

Ich weiß nicht, wie die Ausstellung gerade läuft. Ich glaube, sie ist ziemlich gut besucht. Ich kriege Emails von Gruppen, die hinfahren. Aber ich selber bin gerade in Frankreich zum Arbeiten in einer feministischen Künstlerinnen-Residence im Centre Pompadour und bereite meine nächste Ausstellung vor. Und probiere mich etwas zu erholen von Craziness. Also weiß ich nicht. Da müsstest du bei der Kunsthalle Osnabrück nachfragen. Die Presse läuft nach wie vor heiß und ich habe nochmal vier Interviews nächste Woche und hoffe, dass sich alles mal ein bisschen beruhigt und die Ausstellung endlich Aufmerksamkeit kriegt, weil die ist nämlich sehr, sehr gut geworden. Und die Performance war die beste, die ich jemals gemacht habe.
*Die Antwort auf die Frage posten wir natürlich demnächst nach …

Ist es eigentlich anstrengend, in der heutigen Zeit Künstlerin zu sein?

Ich weiß nicht, ob das Künstlerin-Sein in der heutigen Zeit anders ist als früher, weil ich leb nur jetzt. Ich muss sagen, dass ich wahnsinnig privilegiert bin, weil ich zum einen davon leben kann. Ich kann auch nicht sagen, ob das generell anstrengend ist, weil ich bin ich. Ich weiß nicht, ob mein Leben für mich nicht genauso anstrengend wäre als Metzgerin oder Grundschullehrerin oder was auch immer. Es ist natürlich immer eine Frage nach Öffentlichkeit – das ist natürlich anstrengend, was jetzt gerade passiert ist. Das sind halt faschistische Arschlöcher. Es ist wahrscheinlich anstrengend, politisch zu sein, aber das ist es wahrscheinlich immer gewesen und wird es immer sein.

Was nervt?

Nerven in dem Sinne, es ist halt einfach ein prekärer Beruf, wenn man nicht Millionen über Millionen verdient, was ich nicht tue. Es sieht immer nach acht Millionen Mal mehr aus, als dann letztendlich hängen bleibt. Und das ist anstrengend. Ich muss auch sagen, dass ich ziemlich viel auf meine Gesundheit scheiße, was ich auch aufhören muss, weil ich mich in den letzten Jahren ziemlich marodiert habe und das ist sehr, sehr anstrengend und nervig. Und es ist auch nervig, dass ich eine Ein-Mann-Zentrale bin. Das heißt, ich muss alles selber machen, bin mein Büro für alles, meine Transporte, meine Interviews, meine Sprachnachrichten, meine Orga, meine Leinwände aufziehen, everything. Ich hab keine Budgets für Assistenzen oder sonst irgendwas. 

Was befriedigt und befriedet? 

Befriedigen tut mich, wenn ich gute Ideen habe. Extrem befriedigen tut mich, wenn ich in Teams arbeite, performativ oder sonst wie und mir das einfach einen unglaublichen Kick gibt und ein Gefühl von Transzendenz und von Sinn in meinem Leben, den ich mir nicht vorstellen kann, anders zu kriegen, weil ich immer mehr draufkomme, dass dieses obsessive Künstlerin-Sein natürlich auch nicht das Heilsversprechen bringt, und dass einem dann sozusagen von außen dieser Geniegedanke aufgedrückt wird – oder was ich auch geglaubt habe, als ich jünger war. Dass eine Ausgewogenheit im Leben aus verschiedenen Dingen sehr wichtig ist … vielleicht sollte ich mit dem Tauchen anfangen oder so … ich glaub, das wäre ganz gut.
Natürlich ist es auch sehr befriedigend gerade hier in Frankreich, in diesem unglaublich absurd schönen, surrealen Ort zu sein und hier zu arbeiten. Aber gleichzeitig ist es natürlich auch wiederum absurd, dass ich so ein relativ freies, ungebundenes Leben führe, aber halt nicht einfach nur hier bin, sondern hier wieder für die nächste Show arbeite. Das ist ein endloses, dauerhaftes Multi-Projekt-Management seit Jahren und da ist wenig Verschnaufen dazwischen. Also selbst wenn ich mir das vornehme, dann kommt doch wieder irgendwas um die Ecke, wo ich weiß, ich kann nicht Nein sagen und manchmal akkumuliert sich das zu Phasen, wo man dann eben kaum schläft. Also man muss dann schon Prioritäten setzen. Wenn man Nein sagt, kann man sich ganz sicher sein, dass die Person, zu der man Nein sagt, schwer beleidigt ist. Und das ist für mich auch schwer, weil ich natürlich nicht die größte Neinsagerin bin, wie man gerade merkt. Alles Liebe …

Also: nicht zu viel „Deutsche Far Niente“, dranbleiben und ihre nächste Show nicht versäumen, Kinder!

Fotos: (1) Zähne putzen nicht vergessen, pigment and acrylic on canvas, 150 x 200, 2023 © Sophia Süßmilch, Repro Michael Maritsch (2) Sophia Süßmilch @ Galleria Doris Ghetta © Tiberio Sorvillo.

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