Culture + Arts > Literature
April 30, 2024
Von 11 bis 11 mit Jaqueline Scheiber
Lena Pernthaler
Samstag, 11 Uhr morgens im Kaffeehaus der Villaverde in Algund. Hier findet heute ein Lese-Brunch mit Jaqueline Scheiber, Wiener Autorin, Kolumnistin, Podcasterin und Content-Creatorin, statt. Sie sitzt schon da, in rubinrotem Kleid. Unter ihrem pfirsichrosa Blazer blitzen Tattoos hervor: eine Frau mit zwei Gesichtern, die eine Träne über ihr Dekolleté weint, eine Topfpflanze an ihrem Handgelenk. Noch bevor ich die Kunst auf ihrem Körper zu Ende schauen kann, beginnt die Lesung. Jaqueline liest aus ihrem Buch „ungeschönt“, das 2023 als ihr viertes im Piper Verlag erschienen ist. Mit jedem Satz breitet sich eine leise Intimität in der Veranda mit den großen Fenstern und dem bunten Fliesenboden aus. Es mischen sich Worte, leises Umrühren von Kaffeetassen, Croissantbrösel, Orangensaft mit noch mehr Worten.
Jaqueline liest über ihren Körper, darüber, wie sie mit ihm gehadert hat und wie sie jetzt mit ihm umgeht: neutral, so wertfrei wie möglich, so sanft und freundlich wie es nur geht. Schön sein heißt für sie, „ihr Inneres nach außen zu tragen“. Das macht sie, indem sie verletzlich und stolz ihre ersten grauen Haare auf Instagram zeigt. Kleidung nicht nach äußerer Umgebung, sondern nach innerem Empfinden wählt. Symbole und Worte mit Tinte auf ihrer Haut verewigt. Pompöse Kleider und blauen Lidstrich trägt und dabei wertende Blicke an sich vorbeiziehen lässt.
„Trauer ist ein Kontinent, den jeder Mensch bereisen muss“, liest sie über die Emotion, die sie durch den plötzlichen Tod ihres Partners mit zarten 22 seit mittlerweile acht Jahren gut kennt. „Trauer nimmt kein Ende.“ Sie macht eine Pause, wartet geduldig, bis die schweren Worte auf unsere Herzen gesunken sind. „Aber meine Trauer hindert mich nicht mehr am Leben, am Lieben.“ Sie hat Gesten, Rituale und Orte in ihrem Alltag geschaffen, die die Emotion beherbergen anstatt auszuklammern.
Während Jacqueline liest, verheddert sich mein Blick immer wieder in den Großbuchstaben auf ihren beiden Handrücken: LEICHTER SEIN steht rechts. SCHWERER WERDEN links. Für mich ist es genau das, was sie in ihren Texten tut: Leichtigkeit und Schwere so sanft zu jonglieren, wie das Leben selbst es oft nicht schafft. Balance in die Extreme bringen, für alles Raum machen, zulassen, ordnen, aushalten, fühlen, ansprechen, heilen.
Nach der Lesung lerne ich Jaqueline persönlich kennen und gleichzeitig fühlt es sich so an, als würde ich das schon seit langem tun. Vielleicht ist das so, weil ich sie schon über Jahre lese, vielleicht aber auch, weil sie so eine wunderbar echte und authentische Frau ist. Irgendwann sitzen wir, Jaqueline, ihre Assistentin Antonia, Thomas Tribus und ich, mit Prosecco auf der Terrasse und beschließen, am Abend feiern zu gehen. Ganz ungeplant erleben wir die letzte Nacht des legendären Ost West Clubs, bevor er in eine andere Location in Meran umzieht. Wir spielen Calcetto zwischen den vollgekritzelten Wänden, machen noch schnell eine Club-Jahresmitgliedschaft, Blitzfotos, Deep Talks und nehmen tanzend, fast schwebend, LEICHTER SEIN ernst.
„Eigentlich wollte ich ja nur zu einer Lesung!“, lachen wir am nächsten Morgen mit schweren Augen beim Katerfrühstück in der Villa Verde. In Zukunft weiß ich, dass Jaqueline Scheibers Lesungen ungefähr von 11 bis 11 gehen und ich dafür am besten Club-Outfit, Lippenstift und Zahnbürste mitnehme! – Vielleicht ja schon bald: Jaqueline schreibt nämlich an ihrem fünften Buch, es soll ihr Debütroman werden, also zum ersten Mal eine fiktive Geschichte, und im Frühjahr 2025 im Leykam Verlag erscheinen.
Was sicher ist: Es bleibt spannend, was noch kommt, von der Frau, die leicht, schwer, glitzernd, matt, schön, ungeschönt, Tag, Nacht, ruhig, laut, trauernd und vollkommen so sanft jongliert, wie das Leben selbst es oft nicht schafft.
Foto: Thomas Tribus
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