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March 21, 2024

Bozen als Hauptstadt der Zeit:
Es ist „5 nach 12“

Elisa Barison

Seit vorgestern und noch bis 25. März läuft in Bozen die Time Week 2024. Das bedeutet, dass Bozen sich ganz intensiv mit dem Thema Zeit beschäftigt und zwar nicht damit, wie sonst so üblich im Lande, wie diese effizienter genutzt werden kann und wie man sie in welcher Form auch immer monetisieren kann. Nein, Bozen beschäftigt sich vor allem damit, wie wir mit dem komplett erfundenen Konstrukt der Zeit umgehen, und ruft daher auf, es zu hinterfragen.

Am heutigen 21. März wird daher die von islandrabe mit dem Tiroler Künstler Richard Schwarz ins Leben gerufene Aktion „5 nach 12“ stattfinden. Konkret bedeutet das, dass von 0:05 bis 12:05 des heutigen Tages einige öffentliche Uhren der Stadt angehalten werden, zum Beispiel jene des Doms, des Stadtmuseums, des Rathauses und am Bahnhof. Ob die Stadt wohl im Chaos versinken wird? 

Höchstwahrscheinlich nicht, zieht doch jede und jeder eher sein Handy aus der Hose, um nach der Uhrzeit zu schauen und gleichzeitig zu checken, wie viele Termine bald noch anstehen. Da waren die Menschen vor etwa hundert Jahren wohl weniger getrieben, denn auch die uniformierte Zeit, global, aber auch lokal, ist ein sehr junges Phänomen.
Spannende Infos dazu, wie es überhaupt zu einer Entstehung der einheitlichen Zeit kam und wie genau sich das in Bozen abspielte, kann man sich heute am Infostand am Waltherplatz holen, wo es auch eine kostenlose Zeitschrift geben wird, die voll mit Geschichten der Zeit in Bozen ist.Bozen, Waltherplatz (c) Österreichische Nationalbibliothek AKONEin wenig mehr dazu erzählt der Künstler Richard Schwarz im Interview.

Dein Projekt „5 nach 12“ macht darauf aufmerksam, dass wir ständig hinterherlaufen, der Zeit, die einzufangen unmöglich ist. Ist der Titel dabei als ein Wortspiel zu verstehen oder besser gefragt: Sind wir noch zu retten?

„5 nach 12“ als Uhrzeit für die Arbeit zu nehmen, war schon in Verbindung zur „Dringlichkeit“ gedacht; denn – gefühlt – war es lange 5 vor 12 und mit Verblassen der Metapher wurde es 5 nach 12 – und die Uhren drehten sich noch immer weiter. Was also, wenn sie wirklich stehen bleiben!? Aber genau, hauptsächlich geht es in dem Projekt um unseren Umgang mit Zeit; damit wie wir Zeit verstehen und nutzen. Und wenn du fragst, ob wir noch zu retten sind – vielleicht: Wenn wir erkennen, wovor wir uns retten sollten?

Mein Eindruck ist, dass wir sehr gut, zumindest geübt, darin sind, die Technik „Zeit“ einzusetzen, um Termine zu machen, Prozesse „effizient“ zu planen – doch übersehen wir dabei, die Dauer zu respektieren, dass alles seine Zeit braucht (abgesehen davon, dass natürlich auch andere Ressourcen endlich sind …) – im Grunde alles Zeit verdient. Dadurch reiht sich Termin an Termin, Aufgabe an Aufgabe, wo keine Zeit ist, sich auf die Welt einzulassen, darauf zu hören, was um einen herum geschieht – und vermutlich führt das zu jenem Gefühl, das wir z. B. Zeitnot nennen. Und als Lösung denken wir gerne an eine neue technische Lösung, aktuell vielleicht „eine App“, anstatt daran, die Zeitkultur zu ändern (also z. B. einem Termin länger Zeit zu geben).

Die Ironie mit der Zeit ist wohl: umso mehr wir sie uns nehmen, um so weniger haben wir davon … Deswegen das Anhalten der Uhren, da die Intervention zeigt, dass „Zeit“, konkret die Zeit der Uhren, eine Technik ist, die sich Menschen ausgedacht haben – und die sich deshalb auch anders nutzen ließe. Aber dafür müssen wir das zuerst denken können.Bozen Rathaus (c) Stadtarchiv Bozen, fotografischer Bestand Historische AnsichtskartenMuseum in Bozen (c) Stadtarchiv Bozen, fotografischer Bestand Historische AnsichtskartenDie Stadt Bozen wurde zur „Zeithauptstadt“ für die Jahre 2023/24 erkoren, kannst du uns einen kleinen Vorgeschmack über deine Recherchen zur Geschichte der Zeit in Bozen geben?

Im Jahr 1868 ging ein Brief von der Stadtgemeinde an die Pfarrkirche, dass es bei deren Uhr, was die Pünktlichkeit betrifft, Spielraum nach oben gebe (um es einmal so zu formulieren). Schön ist dann, was die Pfarrkirchenvorstehung darauf antwortet: „Auf die Zuschrift des Stadtmagistrats beehrt sich die Pfarrkirchenvorstehung zu erwidern, daß die Pfarruhr hauptsächlich zu kirchlichen Zwecken und für die Pfarrangehörigen bestimmt sei, sohin mit dem Eisenbahnbetriebe nichts gemein habe.“

Schön deshalb, weil in der Antwort ein für uns fremdes Konzept von Zeit steckt, dass Institutionen ihre eigene, unabhängige Zeit haben und sich nicht alle derselben unterordnen müssten.

In „Momo“ von Michael Ende sind es die Grauen Herren mit ihrer Zeit-Spar-Kasse, die den Menschen das Seele-baumeln-Lassen verweigern. Gibt es auch in unserer Gesellschaft Graue Herren?

Dem Spruch „Zeit ist Geld“ folgend rechnen wir gerne „unsere Zeit“ in Geld um, was die Zeit der einen weniger Wert sein lässt, als die Zeit des anderen. Die gefährliche ungleiche Verteilung finanzieller Mittel und Spielräume, wirkt sich somit auch auf die Verfügbarkeit der eigenen Zeit aus. Im Moment verstärken Algorithmen und die Auswertung von Daten diese Ungleichheit – vielleicht sind somit die, die rechnen, die „Effizienz“ steigern und die Zeitnot nach unten verteilen, solche grauen Herren?
Doch womöglich ist so ein grauer Herr auch Teil von uns; also wir stehlen uns selbst Zeit? Zum Beispiel mit dem Smartphone: Es verspricht, alle Möglichkeiten jederzeit in der Hand zu haben, alles ist, in der Sprache der Werbung, nur einen Klick entfernt (also nur virtuell). Der Glaube dahinter scheint – und am Smartphone wird er gerade am Exzessivsten ausgelebt –, dass wir durch die Anzahl der Möglichkeiten, das Leben erfüllen. TikTok checken statt einer langen Weile. Doch in einem Leben, wo alles (also nur virtuell) möglich ist, ist wohl für nichts Zeit. Womöglich sind die Smartphones und die dahintersteckende Infrastruktur so graue Herren? Und eben auch wir vor den Bildschirmen mit unserer ungünstigen Vorstellung von „gut genutzter Zeit“ … 

Wurde das Datum des 21. März gewählt, weil an dem Tag die Tag-und-Nacht-Gleiche und somit „gleiche“ Zeitwahrnehmung auf der Nord- und Südhalbkugel der Welt entsteht?

Den ersten Termin bei „5 nach 12“ in Bozen hatten wir ja Anfang Jänner, weil sich da der Tag zum 120sten Mal jährte, wo die Museumsuhr mit MEZ in Gang gesetzt wurde. Den 21.3. für die Aktion des Anhaltens der Uhren zu wählen, hat schon den Grund, dass am 25.3. Bozen den Titel Zeithauptstadt übergibt und das einen guten Rahmen bietet; und sich da dann der Tag der Tag-Nacht-Gleiche anbot – und schön ist dabei natürlich auch der Bezug, dass die Beobachtung der Sonne am Anfang der Zeitmessung stand. Sie war der Taktgeber bis die konstruierte und vereinheitlichte Zeit der Uhren kam; und Frühlingsbeginn ist ja auch nicht übel. 

Könntest du dir persönlich vorstellen ab sofort komplett ohne gemessene Zeit weiterzuleben?

Nein, dafür schätze ich die einheitliche Zeit unserer Uhren doch sehr; aber sie ab und zu anzuhalten, ist eben auch gut. Zeit nicht bis ins Letzte zu verplanen, auch wenn es Kalender, Uhr, Verkehrsmittel usw. technisch ermöglichen würden; und dabei nicht zu denken, damit wäre Zeit vergeudet, sondern es als gute Zeit wertschätzen zu können. Das reibt sich natürlich mit dem, was an „Werten“ vermittelt wird, vor allem dann, wenn „keine Zeit“ ist – doch: Welche Zeiten, welche Momente sind es, an die man sich gerne und lange erinnert?5nach12_056A6886_highresBilder: (1) 5 nach 12, islandrabe, Richard Schwarz (c) Daniel Jarosch; (2) Bozen, Waltherplatz (c) Österreichische Nationalbibliothek AKON; (3) Bozen Rathaus (c) Stadtarchiv Bozen, fotografischer Bestand Historische Ansichtskarten; (4) Museum in Bozen (c) Stadtarchiv Bozen, fotografischer Bestand Historische Ansichtskarten; (5) 5 nach 12, islandrabe, Richard Schwarz (c) Verena Nagl.

 

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