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January 24, 2024

Radikal hoffen – Theater besuchen und immer schön unruhig bleiben

Elisa Barison

Dies ist keine Rezension.
Dafür bin ich nicht in ICH, AKIRA gegangen und das steht mir wahrscheinlich auch nicht zu. Trotzdem lege ich euch allen vorweg ans Herz, euch in die Dekadenz aufzumachen, um das Stück zu sehen. Es ist was für alle, die Mensch sind, die Hund sind, die Menschen mögen, die Hunde mögen, die Hunde nicht mögen, die Menschen nicht mögen, die Unmenschen sind und die Unmenschen mögen.

Nur ganz kurz und zum weiteren Verständnis: Peter Schorn spielt Akira, den Husky des mit einem internationalen Haftbefehl gesuchten Attila Hildmann, welcher in Deutschland durch seine veganen Kochbücher berühmt wurde, den meisten aber aufgrund seiner Hassreden, und seines antisemitischen, verschwörungsideologischen sowie rechtsextremen Aktivismus bekannt ist. Dekadenz - Ich Akira - 031 (c) Andreas TauberAm vergangenen Sonntag fand im Brixner Kulturkeller nicht bloß eine weitere ausverkaufte Vorstellung des „komischen Theatermonologs für einen Hund mit einer Frage“ mit Peter Schorn in der Rolle von Akira statt. Es gab anschließend ein Nachgespräch unter dem Titel „Neue Radikale“, in welchem Expertinnen und Experten gemeinsam mit der Regisseurin des Stücks, Michaela Senn, und dem eben erwähnten (und scheinbar für diese Rolle gemachten) Schauspieler Peter Schorn, über das große Thema hinter dem Stück gesprochen haben: die Radikalisierung von Menschen aus dem eigenen Umfeld.Ich Akira Dekadenz Talk (c) Anna HeissDer Autor und Regisseur Peter Struppner moderierte das Gespräch, neben Michaela Senn und Peter Schorn saßen auch Lisa Frei, Autorin und Medienexpertin, und Mara Stirner, Politikwissenschaftlerin mit Schwerpunkt Rechtsextremismus, auf der Bühne. 

Ich möchte unterstreichen, dass es im Stück darum geht, wie man sich verhält, beziehungsweise wie ratlos man sich fühlt, wenn eine liebe Person aus dem eigenen Umfeld sich (plötzlich) radikalisiert. Das mit der lieben Person und dem eigenen Umfeld ist ganz wichtig und wer nun glaubt, er oder sie könne mit dem Stück nichts anfangen, weil keine Nazis oder Schwurbler oder Gefährdete im eigenen Umfeld, denen möchte ich meinen Lieblingsausdruck des Abends (kam aus dem Mund von Medienexpertin Lisa Frei) mit auf den Weg geben: intellektuelle Demut.Natürlich wäre es cool, keine Nazis zu kennen. Ich gebe auch nicht gerne zu, dass es in Lockdown- und Pandemiezeiten mir liebe Menschen gab, um deren Gedanken und Wohl ich besorgt war. Noch besser wäre außerdem, wenn es gar keine Nazis geben würde, und doch sagen die Zeiten und die Zeilen und die Feeds und die Facts was anderes und daher frage ich mich: Kennst du wirklich niemanden, der Hassreden, Verschwörungsmythen, ausbleibenden Antworten und lückenfüllenden Gurus zum Opfer fallen könnte? Gratuliere. Wir anderen haben diesen Luxus nicht.

Und selbst wenn wir diese Leute nicht persönlich kennen und sie uns nicht so lieb sind, sollte uns ihr Menschsein lieb genug sein (unseres übrigens auch), dass wir uns vom passiven, verurteilenden, sich abwendenden Modus in einen aktiven, offeneren und vor allem hoffnungsvollen begeben. Klingt das idealistisch? Ja. Sage ich etwas Neues? Nein. Hatten die Expert*innen im Nachgespräch auf der Bühne Lösungen für alle Fragen rund um Radikalisierung und unseren Umgang damit? Natürlich nicht. Aber das macht das Darüber-Sprechen und das Thematisieren und vor allem das Gemeinsam-nach-Lösungen-Suchen nicht weniger wichtig. Dekadenz - Ich Akira - 038 (c) Andreas TauberObwohl ICH, AKIRA wirklich hilarious beginnt und eine Bandbreite an Gefühlen – von Lachkrampf bis tiefer Bestürztheit – im Repertoire hat, ist das Feeling, das man nach dem Abend mit nach Hause nimmt, alles andere als lustig. Es macht halt auch absolut nicht Spaß und es ist anstrengend: den komischen Onkel immer wieder zurechtzuweisen, rassistischen Personen in den Öffis einen Strich durch die Rechnung zu machen, bei Familie und Bekannten, die zu viel Zeit in irgendwelchen Telegram-Chats verbringen, immer wieder nachzuhaken, nachzufragen, zu informieren, zu diskutieren. Die Alternative dazu ist Hoffnungslosigkeit, Aufgeben. Und da sind sich alle Menschen, die sich für das Nachgespräch auf der Bühne versammelt haben, einig: Das ist keine Option. 

Nun kommt der große Spoiler: Akira hat leider die Hoffnung, was sein Herrchen Attila betrifft, verloren. Akira ist aber auch ein Hund und kann seinem Herrchen nicht mit viel intellektueller Demut und einer großen Portion Glauben an die Demokratie weiterhelfen. Das Problem liegt, wie so oft, in der Kommunikation. Würde Akira Attilas Sprache sprechen, bin ich mir sicher, hätte auch er noch Hoffnung. Dekadenz - Ich Akira - 079 (c) Andreas TauberDie Tatsache, dass es ein Hund ist, der verzweifelt vor dem Publikum steht und dieses um Rat im Umgang mit seinem rechtsextremen Herrchen bittet, macht das Ganze übrigens nicht weniger seriös oder nachvollziehbar. Im Gegenteil. Dem unterwürfigen Hund, dem bedingungslose Liebe und blinde Treue für sein Herrchen zugeschrieben wird, reicht es. Er möchte zurück in die good old times mit stundenlangem Gassi-Gehen, er möchte sein Herrchen wieder cool finden.

Klingelt’s?

Wir möchten doch auch alle bloß in Zeiten leben, auf die wir stolz sein können, und bloß von Leuten erzählen, die unser Leben bereichert haben. Das wurde aber noch nie durch Kopf-in-den-Sand-Stecken erreicht. Und Demokratie ist auch keine Selbstverständlichkeit, also benutzt, verdammt nochmal, eure (hoffnungsvolle) Sprache und gebt nicht auf.

Zum Stück gibt es übrigens auch ein wunderbares livret mit viel Hintergrundinfo und weiterführender Literatur, die euch nicht vorenthalten bleiben soll:
>> Ein Interview mit Julia Ebner, erschienen in der SZ.de am 10.05.2021, von Berit Kruse: „Jeder und jede ist anfällig für Radikalisierung“
>> Ingrid Brodnig: Einspruch! Verschwörungsmythen und Fake News kontern – in der Familie, im Freundeskreis und online. Brandstätter 2023
>> Dana Buchzik: Warum wir Familie und Freunde an radikale Ideologien verlieren – und wie wir sie zurückholen können. Rowohlt 2022
>> Julia Ebner: Massenradikalisierung. Wie die Mitte Extremisten zum Opfer fällt. Suhrkamp 2023

Fotos: (1,2, 4, 5) Dekadenz, Ich Akira (c) Andreas Tauber; (3) Dekadenz, Ich Akira, Talk (c) Anna Heiss.

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