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July 27, 2023
Auskehr durch Nähe
Kunigunde Weissenegger
Treten Sie näher, kommen Sie, trauen Sie sich, keine Bange, Kunst beißt nicht (immer) … Hereingestampft ein letztes Mal. Nie mehr werden Sie diese Chance zu keiner Zeit jemals wieder so haben. Es ist Kassensturz, eine letzte Abrechnung, großes Aufräumen, die Auflösung, Tabula rasa, Abrissparty, die Auskehr. (Die endgültige bei einem Abschiedssommerfest mit DJ, Drinks und Grill am Freitag, 28. Juli ab 18 Uhr.) Denn ja denn die Mitgliedergalerie Prisma des Südtiroler Künstler*innenbundes in Bozen schließt. (Und falls Sie das schockieren sollte, kommt’s leider ein bisschen zu spät …) Zeit und Raum war. Für Kritisches, Haariges und Heikles, Schönes, Inspirierendes und Allerneues, für Diskussionen, Meinungen und große Ansprachen. Jedem das Seine und jeder das Ihre, in Memoiren gehen zumeist (aber gewiss nicht immer) erste (wer war das nochmal …? – Richtig: Oswald Zöggeler, Chapeau!) und letzte Akte ein … Oder nicht? – Einspruch? Bitte, sehr gerne!
Nun denn, dies Format hat ausgedient, nach 300 Ausstellungen in 34 Jahren irgendwie kein Wunder, wenn Lust da ist auf Fensteraufreissen und Frischenwindreinlassen. Wird dann auch Aufbruch genannt, was wiederum heißt, es gibt nicht wirklich ein Ende. Zitat aus der SKB-Bye-Bye-Newsletter: „Wo sich eine Türe schließt, öffnet sich eine andere“, Zitat Ende. Adieu partiell und also Auf Wiedersehen …Tja und also ein Finale ist bekanntermaßen auch nur dann Grand, wenn der Kontext stimmt … So soll es sein: Die allerletzte Ausstellung in der Galerie Prisma haben AliPaloma und Mirijam Heiler geernet. „So Close!“ – passend auch der Titel zu diesem letzten Akt … und anscheinend haben sie bereits mit der Dekonstruktion der Galerie begonnen – konkret und im Übertragenen. Endzeitstimmung kam bei mir beim Besuch allerdings eher keine auf. Dafür Fragen … Also hier letzte Worte in diesem Kontext an sie:
Was ist das für ein Gefühl, eine letzte Ausstellung in einer Galerie zu schmeissen und zu verantworten?
AliPaloma: Wir haben uns riesig gefreut, dass wir den Schlussakt der Prisma gestalten durften. Klar war das aufregend, wir haben aber bald gemerkt, dass das auch mit den Neuproduktionen gut funktioniert. Neben Disziplin und langen Arbeitsstunden durften wir auch mal dem Bauchgefühl folgen, und es sagte uns, dass wir in eine gute Richtung gehen.
Mirijam Heiler: Den Übergang der Galerie zu offenen Atelierplätzen mit unserer Ausstellung überleiten zu dürfen, ist uns wirklich eine riesengroße Freude!
Warum arbeitet ihr eigentlich immer wieder zusammen?
AliPaloma: Als ich vor zwei Jahren eingeladen wurde, ein Projekt für den Tag gegen Gewalt an Frauen in Brixen zu machen, hatte ich sofort den Wunsch, dies gemeinsam mit einer anderen Frau zu realisieren; da dachte ich gleich an Mirijam, ich kannte damals nur ihre Arbeiten; die hatten mich schon immer angesprochen, also kontaktierte ich sie. Es war also der Wunsch nach Solidarität, und wir sind bis heute total happy mit unserer Installation „Women’s* Shelter“. Danach haben sich weitere Projekte ergeben, die Skulpturen auf der Plose und diese Ausstellung. Wir teilen viele Schnittstellen und können uns gut in die Arbeit der anderen hineinversetzen.
Mirijam Heiler: Im Duo zu arbeiten ist spannend, herausfordernd und zugleich extrem bereichernd. Wir suchen häufig Antworten auf dieselben Fragestellungen. In der Ausstellung „SO CLOSE!“ geht es uns um die Bedeutung der Nähe, Verbundenheit und Vernetzung. Können wir durch Berührungen und dem „sich näher kommen“ eine Praxis des Lernens entwickeln, die es uns ermöglicht, in einer dichten Gegenwart miteinander gut zu leben? Wie können wir interspezifisch und horizontal mit anderen Organismen in Beziehung treten und uns verbinden? Mit unseren Überlegungen wollen wir ein Feld für spekulative Utopien eröffnen.In der Prisma sind, soweit ich das gesehen habe, eine gemeinsame Arbeit von euch zu sehen und eine weitere, wo euer Arbeiten ineinander greift. Wie geht ihr vor, wenn ihr kooperiert?
AliPaloma: Richtig, es gibt zwei gemeinsame Installationen, eine davon ist die textile Kreation mit dem Namen „womb“. Die langen Stoffbahnen brachten wir gleich zu Beginn in die Galerie und sie halfen uns dabei, mit den großzügigen Räumlichkeiten, die wir bisher nur in der Gruppe bespielt hatten, umzugehen. Es macht Sinn, dass die textile Installation an eine Gebärmutter erinnert, da sie den Ursprungspunkt im Raum bildet; wir haben die Ausstellung konzeptuell daraus wachsen lassen.
Mirijam Heiler: Dann haben wir noch unsere puzzleartige „Flechte“ – eine modulare Installation. Die Skulptur breitet sich in der Ausstellung aus und klettert über die Wände, als wäre sie ein lebendiger Organismus. Ihre Form ist fluid und so gestaltet, dass die einzelnen Puzzleteile nie perfekt ineinandergreifen. Dadurch entstehen Lücken, die Instabilität suggerieren. Die Arbeit erzählt von einer Gesellschaft als kollektives Gefüge und von der Bedeutung, sich näher zu kommen. In der Installation entstehen immer wieder Leerstellen und Plätze der Begegnung, auf die wir beide mit unseren Arbeiten reagieren. Zugleich haben wir die Galerieräume einer architektonischen Intervention unterzogen, indem wir eine Rückwand der Galerie abgetragen haben. Dadurch wurde der „White Cube“-Charakter etwas reduziert und die Galerie ist nun vollständig lichtdurchflutet und von außen einsehbar.Fragilität und Gefährlichkeit: AliPaloma, was reizt dich an diesen beiden Extremen, die deine Arbeiten kennzeichnen?
AliPaloma: Ich arbeite gerne mit den Konzepten von Stärke und Verletzlichkeit, Kampf und Schutz. Verletzlichkeit ist oft ein Attribut, das mit Frauen in Verbindung gebracht wird, basierend auf tief verwurzelten geschlechtsspezifischen Stereotypen und Rollenerwartungen. Aber meine Arbeiten bewegen sich zwischen diesen Konzepten der Fragilität und Gefährlichkeit, und es geht darum, sie aufzubrechen und die vermeintlichen Gegenpole wieder zusammenzuführen.
Und welche Arbeit wird diesmal zerstört werden, AliPaloma?
AliPaloma: Nun ja, es gibt eine Arbeit, die langsam zerstört wird – die Bienenwachsskulptur „Up in Flames“. Die Besucher*innen können die beliebten touristischen Berge anzünden, und die Skulptur schmilzt langsam dahin. Obwohl wir uns davor scheuen, dem Wachsmodell Schaden zuzufügen, sind wir gleichzeitig in der Realität versucht, die Schönheit der Natur zu genießen, ohne immer an die weitreichenden Folgen zu denken.Genauigkeit oder Lässigkeit? Mirijam, was dominiert in deinen Arbeiten?
Mirijam Heiler: Weder noch, darf ich „Konzentration“ zur Beschreibung meiner Arbeiten wählen? Die Malereien sind größtenteils formal asketisch gehalten, was bedeutet, dass ich bewusst die Mittel beschränke und radikal reduziere, um mich auf das Wenige zu konzentrieren. Es geht mir vielmehr um das Wegnehmen als um das Hinzufügen, um das Schweigen mehr als um das Erzählen. Ich arbeite deshalb viel mit Symbolen und Codes, die die Welt nicht eins zu eins abbilden, sondern einen stark abstrahierenden Charakter haben und häufig zu unleserlichen kalligraphischen Zeichen werden. Indem ich diese Zeichen oder Linien stetig wiederhole, löse ich deren Konsistenz auf. Dadurch verschiebt sich die Konzentration auf das Tun. Damit befinde ich mich an der Schnittstelle zwischen Weltzugewandtheit und Weltflucht. Einerseits versuche ich genau hinzusehen, was sich in der Gegenwart abspielt, andererseits eröffne ich mir durch die Kunst Fluchtmöglichkeiten aus eben dieser Welt. Im Arbeitsprozess selbst bin ich wahrscheinlich ungewollt penibel genau, ich arbeite konzentriert und ohne Ablenkung über lange Zeitspannen hinweg an einer Arbeit. Zugleich gibt es das Begehren aus der Genauigkeit auszubrechen und sie aufzulösen als Störung, Riss oder offene Form. Dies wiederum gelingt nur durch größtmögliche Lässigkeit.
Wie begegnet ihr euch bei dieser Ausstellung (abgesehen von den beiden Arbeiten „womb“ und „Flechte“)? Gibt es ein Prinzip, nach dem die Arbeiten gehängt oder gestellt sind? …
AliPaloma: Dieses Mal haben wir uns definitiv darauf konzentriert, uns Zeit zu nehmen. Wir waren oft in der Galerie und haben gemeinsam mit Lisa Trockner die Werke positioniert. Manche Positionen waren sofort klar, wie der Dorn am Eingang und die Fellbilder von Mirijam gleich dahinter. Jedem Werk haben wir die Zeit gegeben, um zu verstehen, wie es am besten mit den anderen Arbeiten interagieren kann. Das war uns besonders wichtig.
Mirijam Heiler: Wie der Titel andeutet, haben wir versucht die Nähe auch durch das räumliche Zusammenrücken der Arbeiten zu kommunizieren. Berührung steht entschieden für die Nähe eines wechselseitigen Kontakts ein. Wenn wir etwas berühren, dann werden wir zugleich berührt. Mit der Hängung der Arbeiten wollten wir solche Kontaktpunkte kreieren.
Fotos: (1) SO CLOSE, AliPaloma & Mirijam Heiler (c) franzmagazine; (2) AliPaloma & Mirijam Heiler (c) Leonhard Angerer; (3) SO CLOSE, AliPaloma & Mirijam Heiler (c) Martino Stelzer; (4) AliPaloma, Eat the Patriarchy (c) Leonhard Angerer; (5) Mirijam Heiler, Home (c) Leonhard Angerer; (6) SO CLOSE, AliPaloma & Mirijam Heiler (c) franzmagazine.
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