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July 3, 2023

Des keart sich net!

Lena Pernthaler

Es gibt da etwas, das wir Südtirolerinnen seit Mädchentagen mindestens genauso intus haben wie das 1×1: Die Aussage „Des keart sich net!“, kombiniert mit einem skandalösen Unterton, hochgezogenen Augenbrauen und weit aufgerissenen Augen. 

Um Kommentare dieser Art zu vermeiden, lassen wir das taillierte Kleid im Schrank und verstecken unsere Träume, festgehalten auf einem zerknitterten Stück Papier, in der untersten Nachttisch-Schublade. Wir werden leiser, anständiger, braver, normaler. Wir passen uns an, drücken uns in Formen, Rollen, Strukturen und Arbeitsplätze hinein, dort, wo man uns eben haben will. „Na, du bisch a Brave!“, heißt es dann. In der Psychologie nennt sich das Phänomen „Good Girl Syndrom”. 

Die Samen für dieses Verhaltensmuster werden bei jungen Mädchen bereits in der Kindheit gesät. Laut einer Studie der Stanford Universität werden Mädchen dann gelobt, wenn sie Eigenschaften wie Wärme, Freundlichkeit und Loyalität ausstrahlen. Von Jungs hingegen werden Attribute wie Zielstrebigkeit, Dominanz und Unabhängigkeit erwartet. Diese Stereotype werden in der Erziehung, unbewusst und bewusst, tagtäglich genährt. Das kann man weder Eltern noch Institutionen übel nehmen, denn diese Werte sind über Generationen in unserer Gesellschaft verankert und wir sind lebensfähig, wenn wir danach leben. 

Vielleicht haben wir es als Good Girls auf den ersten Blick einfacher in dieser Gesellschaft, vielleicht stoßen wir auf weniger Widerstand. Aber zu welchem Preis? Wir bezahlen damit, dass unser Handeln und Denken niemals frei ist. Jede Handlung, jeder Gedanke außerhalb des Good-Girl-Paradigmas, hat einen bitteren Beigeschmack. Die Angst, andere zu enttäuschen. Verurteilt oder abgelehnt zu werden. Zu viel zu sein. Die Angst vor Konflikten oder Konfrontationen. Dem Gefühl von Sich-schuldig-Fühlen. 

Doch was passiert, wenn wir aus dem Paradigma ausbrechen? Was, wenn wir einfach keine Good Girls mehr sind? Mein inneres Good Girl tobt. Hochgezogene Augenbrauen, weit aufgerissene Augen, skandalöser Unterton: „Das kannst du doch nicht tun / sagen / schreiben / denken / laut aussprechen!” 

Beruhig dich, liebes Good Girl, ich kann. 

Meine Lieblingsgeschichte dazu ist die von Rupi Kaur ​​– der indisch-kanadischen Poetin und New-York-Times-Bestsellerautorin. Ihre Poesie-Bände wurden millionenfach verkauft und in über 42 Sprachen übersetzt. Ihre Verse richten sich vor allem an Mädchen und Frauen und polarisieren. Als sie letztes Jahr ihre Europa-Tour verkündete, wusste ich, dass ich Welten in Bewegung setzen würde, um sie live zu sehen. Gesagt, getan, und so saß ich am 23. Oktober 2022 im überfüllten Saal des Teatro Malibran in Venedig, auf den samtroten Theatersesseln nahmen fast nur Frauen Platz. Das allein hatte eine unglaubliche Energie. Doch als Rupi Kaur dann, göttinnengleich, in einem lichtblauen Kleid auf die Bühne kam und uns mit ihren Worten wiegte, füllte sich der Saal mit Magie. 

Und ganz zum Schluss, fast schon nebenbei, sagte Rupi etwas, das mir immer in Erinnerung bleiben wird: „Hört nicht auf sie. Hört nicht auf die Leute, die euch sagen, es geht nicht!“ Sie erzählte, dass ihr erster Poesie-Band „Milk and Honey“, der mittlerweile über drei Millionen Mal verkauft wurde, von jedem einzelnen Verlag in Kanada abgelehnt worden sei. Sie erzählte, dass ihr jeder einzelne Verleger erklären wollte, dass ihre Texte gar keine Poesie seien und dass junge Frauen sich für so was nicht interessieren würden. Sie sagten ihr, dass ihre Texte zu viel seien. Fast hätte sie es geglaubt. Fast hätte sich das Good Girl in ihr zwischen ihre Träume gestellt. Fast. 

Rupi Kaur publizierte „Milk and Honey“ im Jahr 2014 selbst und der Rest ist Geschichte. Well, behaved women rarely make History! Oder: In einer Welt, in der du alles sein kannst, sei kein Good Girl.

Foto: (c) Nora Pernthaler

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