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May 12, 2023

Fenster öffnen für die komplexe Gegenwart und die journalistische Kompetenz

Kunigunde Weissenegger

„Ich bin in existentieller Hinsicht auf der Flucht. Ich bin es, seit ich aus dem Bauch meiner Mutter kam, und war es wahrscheinlich schon davor angesichts der Umstände, in die ich hineingeboren wurde, und der Konsequenz dieser Umstände für meine pränatale Umgebung.“

So beginnt das neueste Buch „Schwarz und Frau – Gedanken zur postkolonialen Gesellschaft“ von Tsitsi Dangarembga – mehrfach ausgezeichnete Autorin, Filmemacherin und feministische Essayistin, Trägerin des Friedenspreises des deutschen Buchhandels. Sie lebt und arbeitet in Simbabwe, wo sie wegen ihres Einsatzes gegen Korruption politisch verfolgt wird.

Tsitsi Dangarembga ist eine der Mitwirkenden der heurigen Ausgabe: Ein kleines, äußerst motiviertes Team, wie Benedikt Sauer in unserem Gespräch immer wieder betont, stellt in Innsbruck von 12. bis 14. Mai 2023 zum zweiten Mal das „Journalismusfest Innsbruck – Internationale Tage der Information“ auf die Beine – und deshalb seien sie hier gleich zu Anfang alle genannt: Mit Benedikt Sauer gestaltet Veronika Vogel entscheidend das Programm und ist auch für die Öffentlichkeitsarbeit verantwortlich, Julia Rhomberg für Organisation und Übersetzung, Wilfried Hanser für die Finanzen, Maria Markt-Stecher für die Grafik und Anna Praxmarer für die Medienarbeit und die Festivalzentrale. Zu erleben sind bei dieser zweiten Ausgabe 120 Gäste aus 20 Staaten von drei Kontinenten in 50 Veranstaltungen an 15 Schauplätzen im Zentrum von Innsbruck.iran-27 Journalismusfest Innsbruck 2023 © Alena Klinger_Journalismusfest InnsbruckErnsthafter Qualitätsjournalismus ist im Augenblick extrem unter Druck, wichtiger denn je ist es, auf die Bedeutung von Medien für die Demokratie hinzuweisen und auch auf den Stellenwert von Medien für unseren Alltag – zuverlässige Information ist extrem wichtig, regional manchmal noch wichtiger … „Verlässlicher, unabhängiger Journalismus ist das um und auf,“ unterstreicht Benedikt Sauer und beantwortet einige Fragen:

Was motiviert, so ein Festival auf die Beine zu stellen?

Für mich war sicherlich das Festival di giornalismo „Internazionale“ in Ferrara eine wichtige Erfahrung: Ich war bei einer der ersten Ausgaben des internationalen Festivals privat dabei, weil ich neugierig war, habe dann auch für die RAI darüber berichtet und war sehr beeindruckt. Jahre später, ca. 2016, bin ich mit Markus Schennach noch einmal hin, weil es auch ihn interessiert hat. So wuchs über die Jahre die Idee, etwas Ähnliches auch in Innsbruck zu organisieren.
Es gibt eine Reihe von Festivals und Kongressen zum Journalismus, aber ich würde sagen im deutschen Sprachraum nichts in dieser Art. Denn unser Journalismusfest in Innsbruck ist nicht nur ein Festival ausschließlich für Medienschaffende, es wendet sich auch an Menschen aus der Branche, aber absolut auch an die Breite Öffentlichkeit. Diesen Geist haben wir aus Ferrara mitgenommen. Und Innsbruck, weil Markus und ich hier sozusagen daheim sind, mit all unseren Kontakten (auch nach Südtirol), das ist der persönliche Hintergrund. Der zweite Grund ist, dass Innsbruck und Ferrara ähnlich groß sind, die Unis ebenso, und die Vorstellung der Veranstaltungsorte war eine ähnliche – fußläufige Erreichbarkeit, denn es muss auch logistisch gut machbar sein.
Inhaltlich motiviert uns, aktuelle internationale Fragestellungen – darauf liebt der Hauptakzente – und auch lokale (beispielsweise mit Blick auf die Europaregion oder die Alpen), die aber immer auch darüber hinausblicken – und nicht nur Tirol-Debatten, sondern Euregio-Debatten sind; bei der Alpen-Debatte beispielsweise stehen die Alpenstädte im Vergleich. Zum einen soll also die Internationalität in die Nähe geholt werden, weil die Vernetzungen dichter geworden sind – der Krieg in der Ukraine ist tatsächlich vor der Haustür und betrifft uns – Stichwort Energie. Es geht also darum, Leute zum Sprechen zu bringen mit Informationen aus erster Hand – darüber hinaus, wie sich jede*r sowieso informiert. Denn die Gegenwart ist eine vernetztere. Zum anderen geht es natürlich auch um Journalismus. Das Fest ist keine wissenschaftliche Tagung. Das hat den Hintergrund, dass ich davon überzeugt bin, dass es Journalist*innen gibt, die etwas zu sagen, mitzuteilen, zu erzählen haben. Und diese Expertise, die eine andere ist als jene von Schriftsteller*innen, Filmemacher*innen oder Wissenschaftler*innen, möchten wir in der ganzen Vielfalt, die der Journalismus ist, aufzeigen. Denn die journalistischen Formate sind breit, es gibt überall super Kompetenzen und wahnsinnig engagierte Leute, die mit großem Einsatz – manchmal bis zum Leben – arbeiten, nicht aber weil sie Helden werden wollen, sondern weil sie investigativ arbeiten.
Jahresthema haben wir in dem Sinn keines, obwohl wir immer wieder danach gefragt werden, um die Vielfalt zu erhalten, denn eine thematische Setzung kann immer auch irgendwie eine Einschränkung sein und es nimmt möglicherweise die Vielfalt, um auf Aktualitäten zu reagieren. Schwerpunkte gibt es hingegen schon, beispielsweise Ukraine, Klima, Kongo – aus einem speziellen Grund sind uns bestimmte Themen wichtig, die aber nicht unbedingt unter einen Hut müssen.nutella-14 (1) Journalismusfest Innsbruck 2023 © Alena Klinger_Journalismusfest InnsbruckWas hat euch bestärkt auch heuer weiter zu machen? 

Für diese Frage bin ich total dankbar. Bestärkt haben uns besonders die Reaktionen auf das Festival, und zwar von Leuten, die mich aus dem Feld der Kultur angesprochen haben und gesagt haben, sie wären als Organisation gern dabei. Auch bei der ersten Ausgabe waren Partnerorganisationen schon Teil des Konzepts, und daraufhin haben sich nach dem Festival andere gemeldet, die diesen Festivalflair erlebt haben. Diese inhaltliche Partizipation von anderen Organisationen in Innsbruck war sehr wichtig und ist eine Bereicherung für das gesamte Festival, denn das heißt, da denken andere mit, neue Ideen entstehen. Bestärkt haben mich auch Reaktionen ganz persönlicher Natur, beispielsweise in Gesprächen auf der Straße. Außerdem positiv waren auch die Reaktionen von Partner-Medien und Redaktionen, was wiederum die Einladung von Gästen für die zweite Ausgabe erleichtert hat. Die positiven Signale von wichtigen Geldgebern vor Ort und außerhalb waren auch bestärkend und entscheidend – was aber nicht heißt, dass es leichter geworden ist, Geldmittel aufzustellen, überhaupt nicht, das bleibt nach wie vor sehr mühsam. Aus dieser Mischung von Reaktionen auf unterschiedlichen Ebenen wurde der Entschluss gefasst, weiterzumachen und es für die nächsten drei Jahre zu probieren – ohne Garantie, denn das Fest ist nach wie vor knapp budgetiert, also muss man von Jahr zu Jahr schauen. Es braucht einen langen Atem.

Was sind abgesehen von der Finanzierung noch Herausforderungen, können beispielsweise alle Gäste problemlos anreisen …?

Wir haben 124 Gäste eingeladen und hinter jeder Person, die kommt, steckt ein großer Aufwand, von der Einladung bis hin zum Foto und der Bio auf der Website … Und es stimmt, einige Kolleg*innen können tatsächlich nicht kommen, weil sie nicht ausreisen können. Ein Kollege aus der Ukraine beispielsweise hat trotz großer Bemühungen vor vier Tagen absagen müssen. Das zeigt wiederum, wie sehr der Krieg das Fest beeinflusst … Ein weiterer Gast, der Guardian-Journalist Luke Harding, nimmt mit Live-Zuschaltung aus Kiew teil, als „Ersatz“ für einen Kollegen von Bellingcat, der musste absagen, weil er mit viel Bedauern einen unaufschiebbaren Rechercheauftrag wahrnehmen muss. An diesen beiden Beispielen ist zu sehen, dass manches mit entfernteren Ländern tatsächlich kompliziert ist. Auch nicht leicht war die Einladung von Galina Timtschenko, CEO und Herausgeberin vom Online-Portal Meduza – dem größten unabhängigen russischen Medium. Dass auch Tsitsi Dangarembga aus Simbabwe Zeit hat, ist sehr großes Glück, weil sie zurzeit sehr gefragt ist und genau während der Festivaltage Zeit hat. – Eine nette Anekdote dazu: Die Kolleg*innen aus Ferrara haben nun uns um ihren Kontakt gefragt. Wir haben viel von ihnen profitiert, nun passiert es auch mal umgekehrt, das ist schön.atlas-globalisierung-14 Journalismusfest Innsbruck 2023 © Alena Klinger_Journalismusfest InnsbruckDeine Highlights 2023 …?

Diese Frage ist tatsächlich nicht ganz leicht zu beantworten … Am Anfang gibt es Ideen, Kontakte von letztem Jahr, Vorschläge, und es wächst. Es gibt einige Persönlichkeiten, auf die ich mich sehr freu, und Tsitsi Dangarembga ist sicher eine der herausragenden, und es gibt einige Schwerpunkte, die sich gebildet haben, dass beispielsweise Leute aus Russland und Belarus miteinander ins Gespräch kommen … und das ist schon schön. Schön finde ich auch, dass wir gemeinsam mit Le Monde Diplomatique die Ausstellung „Atlas der Globalisierung“ geschafft haben, die zeigt, welchen Stellenwert kritische journalistische Kartographie hat. – Unsere Grafikerin hat die Ausstellung gestaltet. Während des Festivals ist sie bis einschließlich Montag im Innenhof der Theologie zu sehen, dann für weitere 14 Tage im Wei sraum und schließlich in Berlin. Nachher nimmt sie Südwind als Ausstellung in seinen Verleih auf.

Habt ihr auch Erwartungen? Was könnten die Besucher*innen aus dem Festival hinaustragen?

Ich finde, wer Zeit hat, bei einer der Veranstaltungen dabei zu sein, und dann mit dem Eindruck rausgeht, ich hab jetzt in diesen 70–90 Minuten von Leuten Zusätzliches erfragt, die ich interessant gefunden habe, also einen Mehrwert an Information bezogen, bin angetippt und verleitet, mir das eine oder andere Online- oder Print-Medium genauer anzuschauen, das sonst nicht in meiner Wahrnehmung ist, dann ist schon etwas gelungen. Damit unterstreichen, was Journalist*innen an Kompetenz haben und auch erzählen können, egal in welchem Rahmen: ob Klimajournalismus oder Stellenwert des Radios in vielen afrikanischen Ländern oder Barbara Bachmanns spannende Reportagen über Tiere in den „Reportagen“ … Die Erwartungshaltung und Hoffnung ist es also, getreu unserem Motto „Wir öffnen ein Fenster für die komplexe Gegenwart, in der wir leben“, Fenster für die journalistische Kompetenz zu öffnen und Festivalspirit mit Inhalt zu leben und zu verbreiten.impressionen-40 Journalismusfest Innsbruck 2023 © Alena Klinger_Journalismusfest Innsbruck

Fotos: Journalismusfest Innsbruck 2023 © Alena Klinger/Journalismusfest Innsbruck

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Comments

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There is one comment for this article.
  • Susanne Maria Barta · 

    Fenster öffnen für die komplexe Gegenwart – das gefällt mir. Da gibts viel zu tun!