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April 3, 2023

Incontrare Südtirol begegnen: Martin

Daniela Caixeta Menezes
Wer einmal nach Südtirol kommt, kommt immer wieder – und einige entscheiden sich, zu bleiben. So auch die Autorin. Um die neue Heimat und ihre Menschen kennenzulernen, zu erfahren, wie sie leben, denken, wovon sie träumen, lässt Daniela sie erzählen. Den Ausgangspunkt für jede Begegnung bildet ein Fragen-Dreiklang: Wer bist du (heute)? Wie bist du dahin gekommen, wo du heute bist (gestern)? Wovon träumst du (morgen)?

Die Gastronomie gehört zu Südtirol wie der Fisch ins Wasser: Wo sich die geschuppten Lebewesen tummeln, ist das Gewässer gesund und die Welt in Ordnung. Ein See ohne Fische und sonstiges Getier erschiene doch seltsam leer, ja unlebendig.

Und jetzt stelle man sich einmal Südtirol ohne Gastronomie vor! Was wäre die Region ohne ihre Buschenschänken und Törggelestuben, ihre Weinkellereien und Cafés, ohne die vielen exzellenten Restaurants und Aperitivo-Bars? 

Nein, das möchte sich wohl niemand vorstellen. 

Grund genug also, mich für diese Kolumne mit jemandem aus der Gastronomie-Zunft zu verabreden.

Hallo, Martin, wer bist du? 

Geboren im pittoresken Kastelruth, Mutter Köchin, Vater Metzger, wird ihm dieses Gen quasi in die Wiege gelegt. Doch der gelernte Karosseriebauer und Maler kommt erst über Umwege und durch seinen Freund Stefan, der später sein Geschäftspartner wird, in diese Branche. Mit dem Lokal Gigis, 2018 vom Italiener Gigi übernommen, starten die beiden dann ihr Herzensprojekt. Und etablieren sich schnell: Stammgäste, neue Gäste, jung, alt, heimisch, touristisch, deutsch, italienisch oder international – alles kommt und viele immer wieder. Als mein Vater mich hier in Meran zum zweiten Mal besucht, ist eine seiner ersten Fragen:

Wann gehen wir ins Gigis?

Das neue Leben des Martin, besser könnte es nicht starten.
Auf gewisse Weise geht es in meinem Gespräch mit dem Dreiunddreißigjährigen dann auch gleich um Wasser, denn schon nach wenigen Minuten bin ich überzeugt: Martins Glas ist halbvoll. 
Jedenfalls ist für Martin scheinbar immer alles gut, sogar das enorme Arbeitspensum, das er an fünf Tagen die Woche durchzieht. Ich muss an mein Treffen mit Rosmarie denken: In Südtirol sind wirklich Alle so arbeitsam!
Vermutlich ist es der sichtbare Erfolg seines Gastro-Babys, der ihn anspornt; die Gewissheit, dass der Aufwand Früchte trägt.

Also macht Martin – der über sich selbst sagt, „offen für alles und jeden” zu sein – weiter und freut sich über die kunterbunte Kundschaft, mit der er spätestens nach dem zweiten Glas Wein ins Gespräch kommt. Da haben wir etwas gemein: Durch Begegnungen unsere Umgebung neu erleben; sie erscheint gewissermaßen in anderem Licht, je nachdem, wer sie betrachtet. Und Begegnen und Beobachten führen zu ein und derselben Erkenntnis: zu jener nämlich, dass Südtirol für ziemlich viele eine besondere Anziehung hat.   

Im weiteren Gespräch ist Martin nichts Kritisches zu entlocken. Nur einmal, als wir auf die junge Generation (kurz fühlen wir uns ein bisschen alt) zu sprechen kommen, ist er hin- und hergerissen. Einerseits tue es Südtirol gut, dass viele von ihnen die halbe Welt bereisten und inspiriert zurückkämen. Auch Martin hat eine Zeit in Zürich verbracht, „eine Großstadt mit dem Flair von Meran”, wie er sagt. Denn nur durch das Herumkommen und den befruchtenden Austausch könne die Verjüngung der Kurstadt, die mit ihrem charmanten und pittoresken Flair vor allem Ältere anziehe, gelingen. Während der Pandemie habe das mit der Verjüngungskur kurioserweise ganz besonders gut geklappt:

»Anstatt auf die Kanaren oder nach Südafrika zu jetten, sind die Millenials eben nach Meran gepilgert und voll des Lobes gewesen.«

Andererseits – und da spricht der Geschäftsmann in ihm – bereite ihm angesichts des Fachkräftemangels der moderne Arbeitsethos der Social-Media-Gurus und Kryptojäger*innen schon ein wenig Kopfzerbrechen. Jemand, den die Freunde wegen seines Arbeitseifers als „nicht ganz normal” bezeichnen, hat logischerweise eine differenzierte Meinung zum Thema Work-Life-Balance. Aber – und da ploppt das halbvolle Glas wieder vor meinem inneren Auge auf: 

»Ich bin gespannt, wo die Reise hingeht.«

Er verwendet die Metapher der Reise oft. Die Reise mit dem Gigis, seine ganz persönliche, die Reise Südtirols.

Was wünscht du dir und deiner Heimat für die Zukunft?

Martin legt den Kopf etwas schief, seine Stirn kräuselt sich zu Falten: Zukunft – was für ein großes Wort. Südtirols Gastfreundschaft liegt ihm natürlich am Herzen, persönlich wie beruflich, und er möchte sie weiter pflegen und ausbauen. Doch ohne stabilisierendes Gerüst geht es nicht: Das gesamte Land muss sich ins Zeug legen, sich wandeln, kreativer werden. Das gilt nicht zuletzt für den starken Wirtschaftszweig, in dem Martin tätig ist. Frohlockend nennt er ein paar Beispiele für Gastronomie-Projekte und andere Initiativen, die den Aufbruch bereits gewagt und sich auf den Weg gen Zukunft gemacht haben (psst Schleichwerbung: 58Chocolate zum Beispiel!). Für Südtirol. 

Und wohin führt dich dein Weg, Martin?

Anstatt zu antworten, lacht er laut und ansteckend. Darum kommen die Leute immer wieder, denke ich, wegen des guten Weins, des hervorragenden Essens – und weil Martin lacht, wie er lacht und so ist, wie er ist: ein durch und durch geselliger Typ. Einer, der im Hier und Jetzt lebt und nicht großartig plant, aber deshalb nicht planlos wirkt. Vielleicht wartet die Zukunft in seiner heimlichen Lieblingsstadt Zürich auf ihn, vielleicht aber auch hier, in der sich verjüngenden Kurstadt Meran. Nur eine Sache ist klar:

»Unter Leuten muss ich sein.«

Dann ist er in seinem Element.

Foto von Daniela Caixeta Menezes: Ein Hoch auf die Fische und ein Hoch auf die Südtiroler Gastronomie, die von engagierten Menschen wie Martin lebt.

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