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March 23, 2023

Ritter der Fantasie

Kunigunde Weissenegger

„Der öden Künstlichkeit unserer Welt will ich mit einer wilden, fantasievollen Künstlichkeit auf der Bühne begegnen. Theater soll uns die Gemachtheit unserer Welt vor Augen führen – aber hoffnungsvoll.“ Starke Worte. Damit klingt „Ciao Now“ – der Name des von ihm gegründeten Theater- und Filmkollektivs auch nicht mehr so düster, wie (von mir) anfangs vermutet. 

Nikolas Darnstädt, Theaterregisseur und Filmemacher, kommt (24.–26.3. und 30.3.–1.4.) mit einem europäischen Ensemble aus Litauen, Österreich und Südtirol nach Bozen und setzt für die Vereinigten Bühnen Bozen eine der Ikonen der spanischen Nationalliteratur auf die Stadttheaterbühne: El ingenioso hidalgo Don Quixote de la Mancha bzw. Der sinnreiche Junker Don Quijote von der Mancha. Einigen vielleicht nicht ganz unbekannt. Verfasst von Miguel de Cervantes Saavedra Anfang des 17. Jahrhunderts, vor knapp 400 Jahren … und damit gleich zur ersten Frage an Nikolas Darnstädt … 

Odyssee, Das Bildnis des Dorian Gray, Johanna von Orleans und nun Don Quijote – große Namen der Literatur haben es dir angetan – was fasziniert dich an „alten Geschichten“?

Ich wähle mir meine Stoffe meistens selber aus und gehe wirklich danach, was ich liebe. Ich kann nur so arbeiten. Und wenn so eine große Liebe da ist, wie zum Beispiel für Kafkas Werk oder für Cervantes’ Quijote, dann spüre ich die Freiheit, daraus zu machen, was mein künstlerisches Team und ich wollen. Diese „alten“ Geschichten sind so groß und so berühmt, dass ich mich in keiner Pflicht gegenüber dem Werk fühlen muss, dieses jetzt nochmal Seite für Seite an ein Publikum zu transportieren. Bei einem so großen Stoff wie Quijote bin ich frei und kann ihn mir als Steinbruch für meine eigenen Visionen, Träume und Ideen nehmen. Meine Fassungen sind häufig zu großen Anteilen eigene Texte, die sich mit einem uralten Text verwoben haben und zusammen etwas erzählen können, was vielleicht größer ist, als die Summe seiner Teile.Don Quijote 622 (c) Luiza PuiuWelchen Bezug kann Don Quijote zur Gegenwart haben? Gegen welche Windmühlen ist heute zu kämpfen …?

Ich sehe Quijote als einen Künstler. Als einen Geschichtenerzähler, einen Ritter der Fantasie. In unserer grauen Gegenwart aus Screens und Selbstfindung dürfen wir nicht die Sehnsucht nach dem Fremden, dem Fantastischen, dem Unverständlichen verlieren. Quijote sieht etwas, was niemand sonst sieht. Er ist einsam in einer Welt, die es sich bequem gemacht hat in einem zu Stein erstarrten Konstrukt von Realität. Quijote erinnert uns daran, dass die Welt auch anders sein könnte. Dass es einen Ausweg aus der Matrix gibt, in der wir leben. Diesen Ausweg tragen wir alle in uns. Es ist unsere Fantasie. Und wir sollten nicht aufhören, diesen Weg zu gehen, besonders in Zeiten des Kapitalismus, besonders in Zeiten des Krieges. 

Was, würdest du sagen, kennzeichnet deine Regiearbeit? Was ist dir wichtig? 

Ich möchte, dass Theater der Ort ist, an dem wir ein besonderes Erlebnis haben. Etwas, was wir in unserem alltäglichen Leben nicht erleben können. Deswegen ist meine Regiearbeit damit befasst, ein magisches, sinnliches Fantasy-Abenteuer zu kreieren. Das entsteht natürlich nur im Team, zusammen mit anderen tollen, irrsinnigen Visionen. Ich möchte, dass wir uns darüber bewusst werden, dass unsere sogenannte „Realität“ auch nur ein Konstrukt ist. Nicht natürlicher oder „authentischer“ als die Realität auf dem Theater. Der öden Künstlichkeit unserer Welt will ich mit einer wilden, fantasievollen Künstlichkeit auf der Bühne begegnen. Theater soll uns die Gemachtheit unserer Welt vor Augen führen – aber hoffnungsvoll. Denn wenn sie gemacht ist, können wir sie auch selber machen/gestalten/formen. Deshalb will ich das volle Erlebnis Theater, den Geruch von Nebel, dicke Maske, bunte Welten, laute Musik, alles, was Spaß macht. Wieso sollte Theater so eine ernste, langweilige und pseudo-authentische Angelegenheit sein wie unser Alltag?Don Quijote 1 (c) Luiza PuiuWieso ist Fantasie so wichtig … heute …?

Fantasie lässt in uns die Möglichkeit einer anderen Welt erwachen. Wir alle wissen nicht, wie diese andere Welt aussehen kann. Aber fest steht: So, wie es gerade ist, muss es nicht bleiben. Wir leben nicht – wie häufig insinuiert – in einer alternativlosen Realität, einem alternativlosen System. Es könnte auch anders sein. Durchs Geschichten Erfinden, Geschichten Erzählen, Geschichten Anhören kommunizieren wir mit dem „Anderen“, dem, was wir noch nicht kennen und was doch schon immer Teil von uns ist. Deshalb kann Fantasie gegen Diskriminierung, Ausschluss, Feindschaften und andere eingefahrene Muster helfen. „Wir könnten ganz anders sein. Alles könnte ganz anders sein.“ Diese Möglichkeit eröffnet uns unsere Fantasie. Denn Fantasie verwandelt alles. 

Was steht in nächster Zukunft noch an?

Jetzt kommt erstmal unser neuer Film „Das Schloss“, den wir in Litauen gedreht haben, in die Kinos. Und nächstes Jahr stehen wieder ein paar Theater-Arbeiten an. Wir arbeiten im Kollektiv Ciao Now an einem neuen Science-Fiction-Film … Die nächste Zukunft wird schön.

Fotos: (1) Nikolas Darnstädt (c) Oliver Rossol; (2–3) Don Quijote (c) Luiza Puiu.

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