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March 9, 2023

BetonT oder Die Schokoladenseite des Bunkers

Elisa Barison

Im Foto Forum in Bozen ist aktuell (und noch bis 18. März 2023) die Ausstellung BUNKER von Vincenzo Pagliuca zu sehen. Der Titel ist klar und deutlich, ebenso wie die Mission des Fotografen: das Abbilden einer größtmöglichen Anzahl an Bunkern, welche in Südtirol hauptsächlich entlang der Grenze zu Österreich und der anliegenden Regionen in den Jahren vor dem Ausbruch des Zweiten Weltkrieges errichtet wurden.

[Wie so oft, öffnen eine klare Mission und wiederholte, einfache Techniken und Regeln während der Entstehung der Arbeiten dann im Moment des Betrachtens eine Unzahl an Horizonten.]

Während seines ersten Besuchs in Südtirol, 2018 (die erste Ortschaft, die er erblickt, ist Glurns!), auf Einladung des Kurators Michele Fucich von TiefKollektiv, spaziert Pagliuca in Richtung Mals und trifft dabei auf die ersten kuriosen Bauten, welche ihn später immer wieder zum Ablichten nach Südtirol führen sollen.OPERA 7 - SBARRAMENTO MALLES - GLORENZA, 2018. © VINCENZO PAGLIUCAFasziniert von diesen ungewöhnlichen Betonwesen anderer (wenn doch nicht so ferner) Zeiten, beginnt er zu recherchieren und stößt alsbald auf Hinweise zur Errichtung des sogenannten italienischen Alpenwalls (Vallo Alpino del Littorio): ein Verteidigungssystem, welches zwischen 1939 und 1943 in Rekordzeit die Umsetzung von 350 Bunkeranlagen entlang der Landesgrenzen vorsieht. Der kaum messbare Aufwand an Ressourcen blieb schließlich ungenutzt und die (leeren) Bunkeranlagen bis zum Jahr 1993 vom italienischen Militär verwaltet. Erst dann gab es für Privatpersonen die Möglichkeit, die Bunker zu erwerben. Viele darunter gelten bis heute als eine Art Niemandsland und einige glückliche unter uns haben in ihrer unbeschwerten Jugend harmlose Raves darin gefeiert. Andere nutzen sie heute als Keller, zum Käse reifen lassen oder einfach als Abstellort für landwirtschaftliche Geräte.OPERA 37 - SBARRAMENTO BOLZANO SUD, 2019. © VINCENZO PAGLIUCA

[Passend dazu liest mir Vincenzo Pagliuca in unserem Gespräch einen kurzen Text aus Heimo Prünsters Website vor: „Genutzt wurden die Bunker über die Zeit – mehr oder minder illegal – aber doch: zum Beispiel von Bauern, auf deren enteigneten Grund sie errichtet worden waren, etwa als landwirtschaftliche Lagerstätte, als Weinkeller, als Wasserreservoir, als landwirtschaftliche Anbaufläche, indem ein Bunker mit Erde zugeschüttet und bepflanzt wurde, als Fundament für andere Bauten u. v. a. Aber nicht nur: Die Bunker boten Raum für Aktivitäten, für die sonst keiner da war: Schwarze Messen, orgiastische Feste, Proberäume für gesellschaftlich nicht sonderlich akzeptierte Musikformen, konspirative Treffen, Mutproben, Vandalismus, Schießübungen, Technoparties und Graffiti sind nur einige aus der bunten Nutzungsvielfalt. Neben diesen praktischen Nutzungen gaben die Bunker aber auch einem sozialen Phänomen Raum: Sie boten für viele, vor allem für Jugendliche, einen einfach nicht monitorierten Freiraum und somit auch ein freies Exerzierfeld für mehr und weniger soziale Experimente. Eine gesellschaftliche Lücke für Projektionen des Nicht-Alltäglichen. Ironischerweise tritt dieses Phänomen genau in solchen Gebäuden auf, die zur Ausübung von (territorialer) Kontrolle konzipiert wurden.“ Prünster lebt und arbeitet als Architekt zwischen Wien und Eppan und hat sich als einer der ersten in Südtirol mit den illustren Bauten auseinandergesetzt.]

OPERA 10 - SBARRAMENTO PASSO MONTE CROCE COMELICO, 2019. © VINCENZO PAGLIUCAPagliuca trifft in den (für damals) avantgardistischen Tarnanlagen auf eine Thematik, die ihn auch in früheren Serien und Arbeiten (wie zum Beispiel mónos, seiner Studie kleiner, verlassener Häuser im südlichen Apennin) beschäftigt hat: Wohnen bzw. Bewohnen von Räumen durch Menschen, jedoch nicht unbedingt unter Anwesenheit von Menschen.

Die verschiedenen Bunkeranlagen – welche vom Vinschgau über Bozen und das Eisacktal bis ins östlichste Pustertal zur Grenze mit dem Veneto reichen und vom Künstler besucht und fotografiert wurden – sind nicht und waren niemals bewohnt. Dies bedeutet jedoch nicht, dass sie verlassen sind, betont Pagliuca. Die Leere, welche sie ausmacht, bietet Platz für unsere Vorstellung und Fantasie und schenkt den nutzlosen und unfertigen Kriegsbauten damit neue, fröhlichere Lebensformen. 

Wie Skulpturen aus einem Science-Fiction-Film oder aber Höhlen-Transformers beziehungsweise Tolkien-Erfindungen warten sie im Foto Forum auf wunderschönem Hahnemühle-Papier darauf, von Betrachter*innen mit Assoziationen gefüllt zu werden. 

Pagliuca hat seine eigene Welt der Südtiroler Bunker geschaffen, indem er sich an einige wenige (und eigene) Regeln gehalten hat: 1 mittelformatige, analoge Kamera, 1 einzige Art von Film, 1 einziges Objektiv, stets mit demselben Abstand und aus derselben Perspektive auf die Bunker, Fotografieren in den kälteren Monaten des Jahres und mit leicht gedämmtem, nebeligen Licht.

„Fotografieren bedeutet mit Hilfe von Licht zu schreiben“, sagt mir der Künstler am Telefon.
Die Bunker auf den Bildern scheinen jedenfalls weder statische Gebäude, noch bergen sie Anzeichen lebendiger Wesen. Es ist fast so, als würden sie mit jedem Blick etwas anders aussehen, bis Mensch vergisst, wofür sie eigentlich gebaut wurden, und sie beginnen, ihr Eigenleben zu führen.ALLESTIMENTO (1) © VINCENZO PAGLIUCA

Fotos: Vincenzo Pagliuca: (1) OPERA 1 – SBARRAMENTO ANTERSELVA MEZZAVALLE, 2018. © VINCENZO PAGLIUCA; (2) OPERA 7 – SBARRAMENTO MALLES – GLORENZA, 2018. © VINCENZO PAGLIUCA; (3) OPERA 37 – SBARRAMENTO BOLZANO SUD, 2019. © VINCENZO PAGLIUCA; (4) OPERA 10 – SBARRAMENTO PASSO MONTE CROCE COMELICO, 2019. © VINCENZO PAGLIUCA; (5) Austellungsansicht © VINCENZO PAGLIUCA. 

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