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February 20, 2023
Incontrare Südtirol begegnen: Giorgio
Daniela Caixeta Menezes
Eigentlich begegne ich zuerst Leia, obwohl es hier doch eigentlich um Giorgio gehen sollte. Aber Leia lässt es sich nicht nehmen, die Besucherin zu begrüßen, schließlich wohnt auch sie hier und genau das will sie mir damit verdeutlichen. Sie macht ihrer Namenspatronin – der legendären Prinzessin aus Star Wars, die zu einer Stilikone und einer feministischen Heldin wurde – alle Ehre, indem sie elegant um mein Bein herum stolziert und mir selbstbewusst den weißen Kopf mit den smaragdgrünen Augen entgegenstreckt, um sich eine Streicheleinheit abzuholen. Als ich mich dann endlich mit meinem eigentlichen Gesprächspartner unterhalten darf, miaut die feine Katzendame immer mal wieder ins Diktiergerät. Eifersüchtig und stolz wacht sie über ihren angestammten Platz in diesem Haus, genauso wie sie ihrem Menschen in den letzten Jahren nicht von der Seite gewichen ist – der ganz schön rumgekommen ist, bevor er hierher zurückkehrte.
Chi sei tu?
Zurückgekehrt? Nein, Giorgio ist kein gebürtiger Südtiroler, aber einer, der mit seinem ganzen Herzen hier ist. So wie er immer alles entweder ganz oder gar nicht macht. Aus Liebe zu den Bergen kam er blutjung hierher in diese Region und wär’ am liebsten sofort geblieben, aber rückblickend war das eine gute Entscheidung, dass er noch einmal gegangen ist, raus in die Welt.
Da hat er viel Zeit verbracht, in der Welt da draußen. Der gebürtige Lombarde, der mit seinen apulischen Eltern kurz nach der Geburt in deren terra natale gezogen ist, hat sich nämlich eine Profession ausgesucht, in der es einem zu Gute kommt, im wahrsten Sinne des Wortes einmal über den Tellerrand zu blicken: Giorgio ist Koch, und das mit jeder Faser seines Herzens, mit allen Sinnen. Sagte ich Profession? Ich meinte: Berufung, Lebensaufgabe.
Der junge, gut ausgebildete Koch zieht erst durch Italien (eine renommierte Schule in den Abruzzen, Pasta-fresca-Intensivkurs in der Emilia Romagna, alpine Kochkünste im Trentino und in Südtirol studieren), bevor er neun Jahre in Dublin und dann noch zwei in Portugal verbringt, viele davon bei Lehrmeistern, deren Gourmet-Künste mit einem der begehrten Michelin-Sterne ausgezeichnet wurden. Dort erobert er sich die Welt, was für ihn zum regalo wird: In jedem Menschen, an jedem Ort entdeckt er etwas, das ihn neugierig macht, fasziniert. Was er nicht versteht, erfragt er sich.
Dabei nimmt er sich alles zu Herzen – nel bene e nel male, wie er sagt. Manche halten ihn schnell für pazzo – wenn er eigentlich zeigt, dass er glücklich ist; andere für depressiv – wenn ihn mal Traurigkeit überkommt.
»Senza emozioni, cosa saremmo? Dei robot. La cucina è fatta di emozioni. Il cibo regala emozioni.«
Nennen wir es sein Leitmotiv. Sei es ein Gericht, eine Unterhaltung, eine neue Begegnung: Für ihn muss es Bauch, Kopf und Herz ansprechen, eine Einheit bilden. Dafür bedürfe es nicht viel, sagt er, der Schlüssel sei oftmals: semplicità. Nehmen wir das Beispiel Brot – ein Grundnahrungsmittel, schon in der Bibel, selbst in düsteren Kriegszeiten, und heute ganz selbstverständlich auf jedem Tisch zu finden. Brot steht für Gemeinschaft: Wir kommen zusammen und teilen, auch oder gerade in schwierigen Zeiten. Wenn es gut ist – mit kleinen Luftbläschen, knuspriger Kruste und einem unwiderstehlichen Duft – braucht es nicht mehr als ein bisschen Öl, etwas Salz dazu.
La semplicità. Das macht für Giorgio seine neue Heimat Südtirol aus; simpel („basata da piatti poveri“), aber mit dem gewissen Extra („cucina molto particolare“). Und noch etwas sei hier besonders: die Intensität, mit der die Menschen sich verbunden fühlten mit ihrer Kultur, vor allem mit dem Essen – auch hier gelte: nel bene e nel male.
Gut und schlecht zugleich – Wie meint er das?
»Rimanere caratteristici, seguire le proprie tradizioni, sì, questo è ottimo!«
Aber?
»Però si bisogna anche vedere il futuro: trovare il giusto equilibrio nel mantenere le proprie tradizioni, e capire molto di più dagli altri. Ma non capirle e trasformare se stessi. Ma bensì capirle, appropriarsene e apportarle nella propria cultura.«
Und dann wird es sogar ein bisschen politisch, denn Giorgio macht das starre Festhalten an den Traditionen und das weit verbreitete, grundsätzliche Misstrauen gegenüber allen fremden Gewürzen und Gewächsen am Autonomiestatut der Region fest: Wem ein (riesiges) Stück der eigenen Identität entrissen wird, der verwendet all seine Kraft auf die Bewahrung der Dinge, die übrig sind.
Die fremden Gewürze und Gewächse: Damit meint Giorgio auch ein Stück weit sich selbst. Er, der Hinzugezogene, schwer in Alto Adige verliebte Süditaliener, beißt bei den Einheimischen bislang auf Granit. Sie sind freundlich, aber bleiben lieber unter sich. Dabei, so wundert er sich, sei doch die Beurteilung einer Region durchaus vergleichbar mit der eines guten Gastgebers, über den sich nach dem Besuch verkünden ließe: „È una brava persona! Vorrei tornarci! La passaparola è la migliore pubblicità.“
Sprechen wir also über die Zukunft! Wie kann Südtirol das richtige Gleichgewicht finden?
Il pane, sagt er, denken wir wieder ans Brot. Simple Zutaten, gute Technik, Gastfreundschaft. Traditionen weiter kultivieren und bewahren, Neues zulassen, ohne sich zu verbiegen. Viele Regionen könnten sich doch eine Menge abgucken von Südtirol, das Landwirtschaft „ad un livello allucinante, in un senso buono“ betreibe. Wenn es doch nur ein bisschen weniger chiuso wäre hier, echauffiert er sich.
Da blitzt es wieder hervor, sein Leitmotiv: Was wären wir ohne Emotionen?! Dafür steht er ein, auch wenn das bedeutet, dass er damit gelegentlich aneckt.
Was wünscht du dir für deine Zukunft, Giorgio?
Endlich darf Leia auf den Schoß und Giorgio, der ihr die Ohren krault, erzählt begeistert von seinem Traum: Eine Kochschule möchte er aufmachen, natürlich in Südtirol, wo denn sonst?
»Quello che mi piacerebbe fare in futuro è poter esprimere me stesso, a far davvero capire chi sono io veramente.«
Auch bei diesem Selbstfindungsprozess wird er wieder auf die Dreieinigkeit aus Bauch, Kopf und Herz vertrauen, wird er wieder alles in die Waagschale werfen, so viel steht fest.
Die Prinzessin begleitet mich miauend zur Tür. Und ich kann den restlichen Abend nicht aufhören zu denken: Tun wir das nicht irgendwie alle – versuchen zu verstehen, wer wir wirklich sind? Tut nicht Südtirol das auch, irgendwie?
Foto von Daniela Caixeta Menezes: Giorgio und Prinzessin Leia – ein Leben mit und für La Semplicità
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