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February 6, 2023

Incontrare Südtirol begegnen: Anna

Daniela Caixeta Menezes
Wer einmal nach Südtirol kommt, kommt immer wieder – und einige entscheiden sich, zu bleiben. So auch die Autorin. Um die neue Heimat und ihre Menschen kennenzulernen, zu erfahren, wie sie leben, denken, wovon sie träumen, lässt Daniela sie erzählen. Den Ausgangspunkt für jede Begegnung bildet ein Fragen-Dreiklang: Wer bist du (heute)? Wie bist du dahin gekommen, wo du heute bist (gestern)? Wovon träumst du (morgen)?

… oder die ewig Suchende.

Es gibt Menschen, die stehen eines Morgens auf und wissen, wer sie sind und was sie wollen (zumindest meinen oder behaupten sie es). Sie haben gefunden, wonach sie gesucht haben (oder sie haben erst gar nicht gesucht, sondern wurden gefunden – von einer Berufung, einem anderen Menschen, einem Zufall vielleicht). 

Und dann gibt es solche, die ewig suchen: sich selbst, ihr Ziel, das Neue. Dieser Typus Mensch findet nie die eine Antwort auf diese eine – in unserer modernen Gesellschaft beinahe schon fetischisierte – Frage: Wer bin ich und was will ich? Und möchte es auch gar nicht, denn die Suche selbst ist die Antwort; auf diese eine und auf alle anderen Fragen. 

Darf ich vorstellen? Anna, ein Mensch aus der zweiten Kategorie. Die als erstes verkündet, ihr palindromischer Name sei für sie das Sinnbild der zwei facce, die sie habe: ein chaotisches Gesicht und ein präzises im ständigen Zwiegespräch.

»Bisogna avere un caos dentro di sé per partorire una stella danzante.(Man muss noch Chaos in sich haben, um einen tanzenden Stern gebären zu können, Also sprach Zarathustra)«, 

zitiert sie Nietzsche und die tanzenden Sterne seien dabei ihre Ideen. Um diese zu konkretisieren und umzusetzen, bedürfe es allerdings der rationalen Facette in ihr. 

Die zweigesichtige Anna hat so eine besondere Aura, in der ich mich von Anfang an wohlfühle. Vielleicht auch deshalb, weil sie mir in vielerlei Hinsicht ähnlich ist, sich aber ganz im Gegensatz zu mir damit abgefunden hat, eine ewig Suchende zu sein, ja förmlich darin aufgeht.  Ihre Suche wird zum modus operandi für alles, was sie macht. Und sie macht alles 1.000%ig. Noch so eine Gemeinsamkeit. Beglückt nippe ich an meinem Kaffee und fühle mich plötzlich so empowered, wie selten zuvor. Wenn ich groß bin, möchte ich auch so sein wie Anna, the Seeker

Dabei ist es nicht so, dass Anna nicht auch mal findet; „Wer suchet, der findet“ – die Binse verliert hier nicht ihre Gültigkeit, sondern transformiert sich gewissermaßen in der Bewegung: Ihre Suche führt Anna an Orte (Menschen der Kategorie 1 würden vielleicht sagen: Ziele), die aber zugleich immer nur Ausgangspunkte für eine neue, veränderte Suche darstellen. Bei der sie sich auch schon mal verliert, weil das eben zum Suchen abseits vorgefertigter percorsi dazugehört. Dafür sammelt sie unterwegs Augenblicke, wie Anna das frei nach Heinrich Böll so schön ausdrückt. 

»Io sono un clown, e faccio collezione di attimi (Ich bin ein Clown und sammle Augenblicke, Ansichten eines Clowns).«

Und weil es derart viele dieser persönlichkeitsbildenden Punkte und Momente in Annas Leben gibt, als dass ich sie alle hier anführen könnte, folgt jetzt ein Kondensat ihres bisherigen Lebens im Schnelldurchlauf: die Meranerin Anna, überstimuliert aufgewachsen mit und zwischen Kunst und Büchern; die Pianistin Anna, groß geworden am Konservatorium, um in die Fußstapfen ihres Musiker-Vaters zu treten; die Abiturientin Anna, erwachsen geworden durch eine decisione fortunata, die sie heraus aus ihrem safe space in die Stadt ihrer Träume führt: La Serenissima; die Architektin Anna, klandestin verliebt ins Theater, das ihre große Leidenschaft wird; die Berliner Pädagogin Anna, recuperando, was in ihrem Leben zusammen gehört: die schönen Künste, das gesprochene Wort, Musik, Bewegung, Menschen – ein Kaleidoskop aus Farben, Klängen und Erlebtem, das sie zu der macht, die sie heute ist.

Nach Meran kehrt sie, die ewig Suchende, zurück als eine (selbst)bewusste Frau, die mit sich und ihrem Leben im Reinen, die ein Stück weit angekommen ist, ohne stillzustehen. Denn wenn sie von ihrer Arbeit mit Kindern spricht, scheint es, als hätte sie ihren bedeutendsten Endpunkt gefunden, der zugleich ein Anfang ist. 

»Citando Maria Montessori, mi piace preparare un terreno fertile (eine vorbereitete Umgebung!), sul quale bambin* possano autonomamente apprendere cose nuove e altre, sviluppandosi liberamente.«  

Die Möglichmacherin Anna, übersprudelnd mit Ideen und Visionen, begleitet die kleinen Menschen bei der Entdeckung der Welt. Und schärft dadurch auch immer wieder ihr eigenes Bewusstsein, ihre consapevolezza, indem sie anders auf sich selbst schaut. 

»Jetzt, mit 52, kann ich die Früchte ernten, die mein Suchen gesät hat«,

… und schmecken, ob sie süß, sauer oder salzig sind.

Wie schmeckt Südtirol für die Weltenbummlerin Anna? Zugegebenermaßen ein wenig bitter: Die Entscheidung, die Weiten Berlins zurückzulassen und für die vergleichsweise enge Heimat einzutauschen, ist ihr nicht leicht gefallen. Gleichwohl sieht sie, die ausgebildete Köchin (ja, das war sie im Laufe ihres Lebens auch schon!), das Potenzial Südtirols und beginnt gleich nach ihrer Ankunft mit dem Würzen; denn an frischen Zutaten und engagierten Gleichgesinnten mangelt es nicht.

Aber auch dies sei nur eine Etappe auf ihrer Suche, sagt Anna ohne Trotz oder Resignation in der Stimme. Das tückische, verunsichernde und schwierige Los, nirgends und niemals wirklich anzukommen: Bei Anna klingt es wie ein Kunsthandwerk, das sie mit jedem neuen Schritt weiter perfektioniert. Lässt sich die Suche nach dem Sinn des Lebens schöner gestalten als so?

Was bleibt da an Wünschen übrig, Anna?

Eigentlich wolle sie einfach nur weitersuchen, sich immer wieder mit dem Neuen und Unbekannten konfrontieren, antwortet sie. Und ein gutes Gleichgewicht finden zwischen Südtirol, ihrer alten und neuen Heimat, und Berlin. An beiden Orten könne man sich auf Dauer nämlich verlieren. Du sprichst mir aus der Seele, denke ich, die Exil-Berlinerin, und gehe beflügelt meiner Südtiroler Zukunft entgegen.

Foto: Daniela Caixeta Menezes

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