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February 4, 2023

Bei Barbara Vinken queert die Mode

Susanne Barta

Meine Freundin Elsbeth Wallnöfer hat mich darauf hingewiesen, dass Barbara Vinken ein neues Buch veröffentlicht hat. Erinnert ihr euch an „Angezogen. Das Geheimnis der Mode“, über das ich mit ihr für diesen Blog gesprochen habe? Hier geht’s zur Erinnerungsauffrischung. Barbara Vinken ist Professorin für Allgemeine Literaturwissenschaft und Romanische Philologie an der Ludwig-Maximilians-Universität in München und derzeit Fellow am IFK, Wien. Sie schreibt regelmäßig über Mode, ihr neues Buch heißt „Ver-Kleiden. Was wir tun, wenn wir uns anziehen“ und ist im Residenzverlag erschienen. Der Titel könnte vielleicht dazu verleiten, das Buch in die Ecke entspannte Lektüre über Mode zu stellen, daher ist es hilfreich, dass auf dem Cover der programmatische Anspruch der Abhandlung abgedruckt ist: „Gender ist zu de-konstruieren (nicht zu destruieren), Geschlechtsidentität ist zu durchkreuzen, nicht ad acta zu legen. Im harten Aufeinandertreffen von Männlichkeits- und Weiblichkeitsklischees werden diese Kategorien nicht zementiert, sondern ironisch gegeneinander ausgespielt.“ Somit ist klar: Das Buch ist eine ernsthafte Sache. Und das braucht die Mode. Nicht nur über Trallala und ihre Klimasünden zu berichten, sondern auch theoretische Auseinandersetzungen anzubieten. Mode ist eine Sprache, die abhängig ist von gesellschaftlichen Kontexten und Konventionen. Ich denke das wissen die meisten. Aber, wie Barbara Vinken zeigt, zugleich auch ein Mittel, genau das zu durchkreuzen. Und da wird es spannend. 

„Ver-Kleiden. Was wir tun, wenn wir uns anziehen“ ist aus einer Vorlesung im Rahmen der Veranstaltungsreihe „Unruhe bewahren“ im Literaturhaus Graz hervorgegangen. Ich habe das Buch mit Interesse gelesen, einige Absätze mehrfach. Die Fotos, die meinen Artikel begleiten – frei nach dem Motto „Shop your closet“ – stellen den Anzug in den Mittelpunkt, denn der spielt eine durchaus beachtliche Rolle in diesem Buch. „Im zwanzigsten Jahrhundert bemächtigen sich die Frauen im Zuge des Kampfes für gleiche Rechte der Männerkleider. … Diese Übertragung von Männerkleidern in Frauenkleider ist DAS bestimmende Prinzip der Mode in der Moderne“, schreibt Barbara Vinken an einer Stelle.vinken_2+3 (c) susanne bartaDas Buch beginnt mit gesprengten Genderkorsetts, Gender-Fluidity, Triebschicksalen, Selbstbestimmung, der Geheimsprache der Kleider. Feministische Ikonen wie Simone de Beauvoir, Judith Butler und Alice Schwarzer treten auf und Barbara Vinken schreibt: „Sie (Geschlechtlichkeit) ad acta zu legen und Geschlecht auf ein neutrales Menschsein hin zu überschreiten, scheint mir wenig reizvoll und nicht der Weisheit letzter Schluss. Heiter und erhellend scheint mir das geistreich-ironische Spiel, das Verschieben und Verrücken von Gender, das jeglichen Identitätsanspruch ad absurdum führt.“ Auf diese Aussage/Anleitung kommt Barbara Vinken in ihren Ausführungen immer wieder zurück. Bis es im letzten Absatz unter anderem heißt: „Die Mode hat vor allen Dingen etwas Lustvolles. Elegant, geistvoll, ironisch sprengt sie jedes drückende Genderkorsett.“ 

Dazwischen wichtige Sätze wie: „Die neue Authentizität, nichts als mein ,Selbst‘, mein ,Sein‘, meine Identität ausdrücken zu wollen, sitzt einem Kurzschluss auf. Eher blind als befreiend scheinen mir diese Bestrebungen. … Geschlechtsrollen sind nicht natürlich; sie gründen nicht adäquat in Natur“.vinken_4+5 (c) susanne bartaHoch lebe die Travestie und die Transvestie. Die Mode queert bei Barbara Vinken. Crossdressing ist für sie die Grundlage der Mode als Kunstform. Denn: „Im Durchkreuzen der normativen Rollen erst scheinen diese als solche auf: als Rollen. … Dies befreit von der zwanghaften Auslegung und Anwendung des biologisch Binären, indem es deren oszillierende Alternativen kultiviert.“ 

Wie in ihrem Buch „Angezogen“ widmet sich Barbara Vinken auch hier der Geschichte der Mode vor und nach der Französischen Revolution. Denn da hat sich Grundlegendes verschoben. Vor der Revolution war es noch der Stand, auf den sich die Mode bezog, nach der Revolution rückt das Geschlecht in den Mittelpunkt. „Mit der Revolution wurden ,Mann‘ und ,Frau‘ zu der neuen leitenden Opposition. … Die ,Stimme der Natur‘, natürlich immer nur von Männern verstanden und interpretiert, trat in dieser Perspektive an die Stelle der Willkür der feudalen Ordnung.“ (Weibliches) Fleisch stehe also nun in der Moderne gegen (männlichen) Geist, oberflächliches (weibliches) Kleid gegen tiefen (männlichen) Charakter, (männliche) Eigentlichkeit gegen (weibliche) kunstvoll künstliche Uneigentlichkeit, Sein gegen Schein.vinken_6+7 (c) susanne bartaVollendet wird dieses neue Prinzip im Anzug. „Folgt man Nietzsche, dann ist es den Geistesmenschen, selbstredend männlich, im Anzug gelungen, modern zu sein, weil sie nicht modisch sind.“ Der Anzug wird also zum ikonischen Zeichen, zu DEM Kleidungsstück der Moderne. „Wird die männliche Kleidung mit dem Anzug funktional, so bleibt die weibliche vom Ornament bestimmt“. Aber geradezu heimtückisch untergräbt die Mode im Laufe der Zeit diese Zuschreibungen. Die Übertragung von Männer- in Frauenkleidung, als Pionierin feiert Vinken hier Coco Chanel, erfährt gerade eine Umkehrung. „Im Moment passiert in der ,Männermode‘ mehr als in der ,Frauenmode‘. Die Einbahnstraße läuft in die Gegenrichtung: Übersetzt wird das Weibliche ins Männliche.“ Das Zeitalter der Herrenmode nach dem Anzug ist also längst eingeläutet. Und ich kann Barbara Vinken nur zustimmen: „Die unwiderstehliche Faszination der Mode verdankt sich dem Durchbrechen, nicht dem Auflösen der Gender-Normen.“vinken 8 (c) diane von schoen 9 (c) susanne bartaDas Buch von Barbara Vinken „Ver-Kleiden. Was wir tun, wenn wir uns anziehen“ ist im Residenzverlag in der Reihe „Unruhe bewahren“ erschienen. Ihr solltet es lesen. Um besser zu verstehen, was wir tun, wenn wir uns anziehen.

Fotos: (1–7, 9) © Susanne Barta; (2, 3) schwarze Hose of many years, Secondhand Rüschenbluse und Blazer von Everlane; (4, 5) Anzug und Bluse habe ich aus dem Kostümfundus der Vereinigten Bühnen Bozen ausgeliehen (mehr dazu nächste Woche); (6, 7) Secondhand-Anzug Emporio Armani, Secondhand Pumps Roger Vivier, Secondhand Gürtel Aigner, Rolli von Armedangels; (8) Barbara Vinken © Diane von Schoen

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