Fashion + Design > Design

January 30, 2023

Andreas Rier, der Formgeber

Maria Oberrauch

Andreas Rier kreiert Objekte, die gebraucht werden können, aber nicht müssen. Schüsseln, Vasen, Gläser, Karaffen, mundgeblasen und handgemacht, die als Gebrauchsgegenstand gut taugen, aber in ihrem objekthaften Sein noch weit mehr sind. Ausstellungsstück, Blickfänger, Raumgestalter aus Holz, Glas und Porzellan. Aus Holz sind seine Formen, in die heißes Glas geformt wird, Jute ist der Ausgangspunkt für Porzellanobjekte. Tradition, so scheint es, sucht Andreas Rier wissbegierig dort, wo Wissen noch zu holen ist, bevor es in Zukunftsszenarien verloren geht, und er zögert nicht, sie experimentell anzuwenden. – An der Kunsthochschule Burg Giebichenstein in Halle studierte der Kastelruther Industriedesign mit dem Schwerpunkt Keramik und Glas. In verschiedenen Glashütten assistierte er, um zu üben, für Othmar Prenner formt er Holz, die Innengestaltung und den Ausbau des Stanglerhof-Hofladens  ist sein Werk. Was als nächstes so ansteht? Ein paar Fragen an Andreas Rier.

Künstler? Kunsthandwerker? Materialverschmelzer? Feuerspieler? Was stünde auf deiner Visitenkarte?

Derzeit steht auf meiner Visitenkarte Produktdesigner, weil ich genau das studiert habe. Prinzipiell finde ich es aber gar nicht so einfach, mich nur mit einer Bezeichnung oder einem Material zu identifizieren. Eigentlich bezeichne ich mich selbst als „Tuttofare“, da meine Interessen sehr breit gefächert sind und mich vor allem die Schnittstellen verschiedener Arbeitstechniken, Materialien, Kulturen und Traditionen begeistern.05_TSP_RierAndreas_web Kopie08_TSP_RierAndreas_web Kopie

Glas und Porzellan sind Materialien, die aufwendig bzw. zeitaufwendig verarbeitet werden müssen. Wie wichtig ist dir das Handwerk selbst? Wo ist die Form schon vorher da, wo entsteht sie im Prozess, wo muss man auch mal den Zufall annehmen?

Da ich bei jeder meiner Arbeiten den gesamten Prozess aktiv gestalte, spielt das Handwerk eine zentrale Rolle. Die Idee entsteht in meinem Kopf, nach einigen schnellen Skizzen arbeite ich direkt dreidimensional. Meine Erfahrungen mit diesen Materialien sind sehr wichtig, um einen schlüssigen Produktionsweg zu erarbeiten und ein gelungenes Produkt zu gestalten, aber die spannendsten Arbeiten entstehen manchmal genau dann, wenn man Fehler macht, auf seine ursprüngliche Idee beharrt und sich nicht von handwerklichen „Regeln“ oder Traditionen einschränken lässt. Glas, Porzellan, aber auch Holz und Silber, eignen sich hervorragend, um mit dem Zufall zu arbeiten.

Du setzt den Zufall also bewusst ein?

Ja, in meinen Kleinserien experimentiere ich sehr häufig mit Techniken, bei denen ein Zwischenspiel von Kontrolle und kontrolliertem Zufall die Spannung der Arbeit und die Einzigartigkeit des daraus resultierenden Objektes ausmachen. DSC_7373Auch das Kochen hast du professionell erlernt. Eine ganz andere Welt? 

Eigentlich sind diese Welten gar nicht so konträr oder unterschiedlich, wie sie auf den ersten Blick scheinen. Beides sind komplexe Prozesse, bei welchen mich die Vielfalt an Möglichkeiten und Wahrnehmungen fasziniert. Von der Auswahl der Materialien, über einen Arbeitsprozess bis hin zum sogenannten „servieren“ oder teilen mit anderen. Mich begeistert es, im Wald nach passenden Hölzern zu suchen, ähnlich wie es mich begeistert, im Garten oder auf Märkten großartige Lebensmittel zu finden. Sowohl beim Arbeiten in der Glashütte als auch in der Küche ist Zeit, Temperatur und gute Teamarbeit ein wesentlicher Faktor für gutes Gelingen. Essen ist unmittelbar, essential und alltäglich. Es hinterlässt eine Erinnerung, ein Gefühl, für mich sehr ähnlich wie bei der Kunst. Diese Tätigkeiten eint, dass Menschen sich seit Jahrtausenden mit ihnen beschäftigen und uns somit heute viele Traditionen, Erfahrungen und Wissen zur Verfügung steht. 

Woran arbeitest du aktuell? 

Aktuell arbeite ich an einer neuen Glasserie, bei der es um die Kombination von Glas- und Holzgefäßen geht. Es sollen Gefäße entstehen, die vielfältig miteinander kombinierbar sind und den*die Betrachter*in dazu einladen, eine eigene, über die Zeit veränderbare Komposition zu erschaffen. Nebenher arbeite ich an einer Serie von Silberringen, sowie an handgeschnitzten Löffeln. Bei der Löffelserie ist die Verwertung von Baumästen, welche gezielt von einem lebenden Baum entnommen werden, zentrales Thema. Ein Objekt, ein Löffel aus lebenden Material, im Gegensatz zu herkömmlichen Holzprodukten, welche aus „totem Stammholz“ gefertigt werden.Andrea Rier_DSC_7296

Was und wer inspiriert? Und wie?

Durch meine Begeisterung für die Arbeit mit Holz als formgebendes Material bin ich vom Wald und der Natur im Allgemeinen sehr inspiriert: der unaufhörliche Wandel und gleichzeitig die Beständigkeit von Bäumen, das scheinbar unendliche Wachstum und die Zersetzung. Mittlerweile genauso wichtig ist für mich die Stadt und der universitäre Raum für Entfaltung und Austausch. Inspiration finde ich auch in der Werkstatt, wo ich von erfahrenen Glasmacher*innen und Formbauer*innen lerne und auch bewusst zu einem „Bewahrer“ von Wissen werde: Das „Aussterben“ von Berufen, wie der des*der Glasmacher*in schreckt mich nicht ab, sondern motiviert mich weiterzumachen.

Muss man die Räume dafür erst finden? Wo gehst du gerade um?

In den letzten Jahren habe ich sehr viel mit Kristallglas gearbeitet und war dadurch oft auf die Lage der Glashütten angewiesen. Auch in den nächsten Jahren werde ich voraussichtlich zwischen Südtirol, Wien und Halle an der Saale pendeln. Die Herstellung der Holzformen findet fast immer in Südtirol statt. Die Arbeit mit Glas und Keramik hingegen vorwiegend in Deutschland oder Wien. Zurzeit bin ich in Südtirol beim Formenbau für einige Aufträge und neue Glasserien, welche ich dann in den kommenden Monaten in Deutschland in der Glasmanufaktur Harzkristall umsetzen werde.Andreas Rier_ND57347 Kopie 3Andreas Rier_ND57347 Kopie 4

Was birgt die Zukunft?

Heute scheint es immer unmöglicher, unsere Zukunft wirklich zu planen. Ich fühle mich sehr privilegiert, meine Leidenschaft als Beruf auszuüben. Obwohl wir uns in einem Zeitalter der multiplen Krisen befinden, versuche ich mich auf das Positive und meine Arbeiten zu konzentrieren. Eine leichte Ungewissheit gibt es auch in meinem Sektor, die aktuelle Energiekrise und deren Auswirkungen auf die beiden sehr energieaufwendigen Materialien Glas und Porzellan bleibt. Aber trotzdem bin ich zuversichtlich, was die Zukunft bringt, eine Krise ist immer auch eine Zeit des Wandels. Für mich persönlich bringt die Zukunft hoffentlich viele spannende neue Arbeiten, Begegnungen und Kollaborationen. Mein Ziel für die kommenden Jahre ist der Masterabschluss an der Burg Giebichenstein in Halle an der Saale und ein fixes Atelier für Holz, Keramik, Gips und Silber. Außerdem bin ich immer auf der Suche nach regionalen Materialien und Produktionswegen, um weiterhin mit gutem Gewissen Dinge produzieren zu können.

Fotos: Helmuth Rier (1, 2, 3, 6, 7), Anna Malfertheiner (4, 5)

Print

Like + Share

Comments

Current day month ye@r *

Discussion+

There are no comments for this article.