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January 23, 2023

Incontrare Südtirol begegnen: Nasim

Daniela Caixeta Menezes
Wer einmal nach Südtirol kommt, kommt immer wieder – und einige entscheiden sich, zu bleiben. So auch die Autorin. Um die neue Heimat und ihre Menschen kennenzulernen, zu erfahren, wie sie leben, denken, wovon sie träumen, lässt Daniela sie erzählen. Den Ausgangspunkt für jede Begegnung bildet ein Fragen-Dreiklang: Wer bist du (heute)? Wie bist du dahin gekommen, wo du heute bist (gestern)? Wovon träumst du (morgen)?

Als Nasim sich vorstellt und lächelnd verkündet, sein Name bedeutet „Brise“, muss ich schmunzeln: Was würde unsere Begegnung treffender beschreiben als ein Hauch frischer Luft, den wir uns gegenseitig um die Ohren wehen – er, der Afghane, und ich, die Deutsche, in unserer Wahlheimat Meran?

»Alle hier sind Familie« 

Was uns verbindet: Wir haben beide einen sogenannten Migrationshintergrund, besitzen nicht die italienische Staatsangehörigkeit und mussten die Landessprache erst noch lernen (dafür spricht Nasim sieben (!) andere fließend).
Angesichts meiner Privilegien, die ich in Berlin in meinen Rucksack gesteckt und hier in der Questura ganz lässig wieder rausgezogen habe, ist es mir allerdings beinahe peinlich, uns denselben Stempel aufzudrücken. 

Uns trennen Welten. Mit 16 gehe ich für ein Highschool-Jahr in die USA; Nasim flieht mit 16 vor der Gewalt aus einem Land, in dem jeden Tag jemand stirbt, den er kennt. „Wieso bin ich hier geboren?“, fragt er seine Mutter, die keine Antwort für ihn hat.
Iran, Pakistan, Türkei, Griechenland – Nassim erzählt von der Balkanroute, die für uns nur eine Worthülse ist. Jeden Tag Angst vor dem Tod zu haben, das wünsche er keinem.

Wer bist du, Nasim?

Ein Wort, das durch seinen Bericht Gestalt annimmt. Betroffen kämpfe ich gegen den Kloß in meinem Hals. Und Nasim? Ist betrübt, dass ich betrübt bin. „Hey, willst du was trinken? Oder essen? Ich lad’ dich ein!“

Seine Freundlichkeit ist echt und unmittelbar, sein Interesse an mir und meinem Leben so groß, dass ich mich am Ende unseres Treffens beeilen muss, meine Fragen für diesen Text noch zu stellen. „Wer bist du, Nasim?“

Wieder dieses einnehmende Lächeln. Als Antwort erzählt er eine Anekdote über das Vorstellungsgespräch im Hotel, in dem er heute arbeitet. Auf die Frage, wann er anfangen könne, habe er die Ärmel hochgekrempelt und gleich loslegen wollen. „Ich kann nicht gut rumsitzen und nichts tun“, bekundet er, und es klingt beinahe wie eine Rechtfertigung. Schichtbeginn um 8:00? Nasim steht um halb 8:00 auf der Matte. Eine Reisegruppe aus dem Mittleren Osten hat sich angekündigt? Nasim geht seinem Kollegen zur Hand und übersetzt, denn mindestens eine der Sprachen kann er immer.
Ich erfahre also: Nasim ist auch sehr pünktlich und hilfsbereit.

»Ich bin glücklich hier und möchte bleiben, allein schon wegen der vielen netten Menschen.«

Mit einem großen Strahlen auf dem Gesicht winkt er jetzt seinem Einjährigen zu, der die Schaukel für sich entdeckt hat und seinem Vater stolz entgegen schwingt. „Ich bin glücklich hier und möchte bleiben, allein schon wegen der vielen netten Menschen.“ 

Da sind zum Beispiel Rosemarie und Kilian, die ihm beim Ankommen helfen, als noch alles verwirrend neu für ihn ist. Wenn Nasim über sie spricht, leuchten seine Augen. „Alle hier sind Familie“, sagt er dann, Rosemarie und Kilian und auch die anderen, die ihm begegnen. Und am liebsten würde er gleich morgen sein eigenes kleines Restaurant eröffnen: um noch mehr Familie kennenzulernen. Dort gäbe es natürlich afghanische Speisen und Südtiroler Spezialitäten, wie er sie als Psairer Küchenhilfe aus dem Effeff kennt.

Aber vor allem gäbe es dort einen riesigen Tisch, wie früher bei seiner Mutter, an dem alle zusammenkämen und wo sich alte und neue Heimat träfen. Qabuli Pulau und Schlutzkrapfen. Garam Masala und Vinschgauer Brotgewürz. Rosemarie und Mariam. Kilian und Habib. Und wer noch eine gute Rezeptidee in petto habe: immer her damit, der freundlich-fleißige Chef de la cuisine verwebt sie in seinem bunten Kulinarikteppich.

Beim Gedanken an seine Mutter und ihren tausende von Kilometern weit entfernten Tisch gestattet sich der immerzu lächelnde Nasim dann doch ein bisschen Wehmut. Es vergehen neun Jahre, bis er sie nach seiner Flucht wieder in die Arme schließen kann; einen seiner Brüder hat Nasim seit 17 Jahren nicht gesehen.

»Das hier ist doch ein Traum!«

Wie schaffst du es, trotz allem so ein fröhlicher Mensch zu sein, Nasim?

Da lacht er wieder und zeigt auf die Stadt, die ihn umgibt. „Das hier ist doch ein Traum!“

Als er aufsteht und seinem kleinen Sohn und seiner Frau entgegenläuft, spüre ich sie wieder: die frische Brise, die mir um die Ohren weht. Und dann dreht er sich noch einmal zu mir um, um mich zum Essen zu ihnen nach Hause einzuladen. Auch ich bin jetzt Teil seiner Südtiroler Familie

Foto: Daniela Caixeta Menezes

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