Music

January 19, 2023

Anna Groß über Gender in Music und feministisch Feiern

Kunigunde Weissenegger

Temperaturen steigen, Nachmittage werden länger, ziehen sich hinein, bis in den Abend und die Nacht, die Konzerte tankt und Musikfestivals. Dicht und dichter wird die Fülle, voll und voller der Kalender, eine Auswahl zu treffen ist scheinbar unmöglich. Was tun, wenn die Entscheidungsfreudigkeit ausbleibt und aber ein Entschluss fallen muss? 

Es gibt ganze Reihen von Ausschlusskriterien, um zum Punkt, zum Ziel, zum Tanzen, zum Feiern zu kommen. Eine simple, effektive Möglichkeit wäre, einfach alle Festivals zu streichen, die Diversität außen vor lassen und deren Line-Up rein weiß-männlich ausfällt. „Wir sind im Jahr 2023! Unsere Gesellschaft ist divers und mehr als die Hälfte aller Menschen sind nicht cis männlich. Die will man auch auf der Bühne erleben“, meint dazu Anna Groß. Sie ist Referentin der MaLisa Stiftung für die Musikbranche, politische Bildnerin, Autorin und Betreiberin des Berliner Labels Springstoff

Kommenden Samstag kommt sie zum Start ins neue Festivaljahr nach Südtirol: Der Zusammenschluss Südtiroler Festivals #southtyrolmusicfestivals hat sie für Referat und Workshop ins Bozner Haus Goethe eingeladen. Dort können mit ihr die Ergebnisse der Studie „Gender in Music – Charts, Werke und Festivalbühnen“ diskutiert und Ideen für mehr Diversität und Geschlechtergerechtigkeit auf Festivals erarbeitet werden. Sicher nicht unnötig, wenn mensch sich so den letztjährigen Südtiroler Festivalauftakt und auch manch hiesige Line-ups ansieht …  

Anna, wie bist du denn dazu gekommen, dich so intensiv mit dem Thema „Gender in Music und feministisch Feiern“ zu befassen und Workshops und Vorträge zu halten? 

Seit 2002 arbeite ich in der politischen (Jugend-) Bildung und bin dort als Skateboard-Trainerin gelandet. Skateboarding ist – wie so viele andere Sportarten auch – ein sehr männerdominierter Sport. Ich habe früh gemerkt, dass ich als Workshopleiterin anderen jungen Frauen und nichtbinären Personen meine Leidenschaft vermitteln kann und sie darin unterstützen kann, es auch mal mit Skateboarden zu versuchen. Und wenn man einmal angefangen hat, sich mit Geschlechter(un)gerechtigkeit zu beschäftigen, kann man es nicht mehr nicht sehen. Als ich dann 2009 angefangen habe, mit der queerfeministischen Rapperin Sookee im Marketing und Management zusammen zu arbeiten und ihr Booking aufzubauen, lag das Thema für mich auch in der Musikbranche sofort sehr nahe. In meiner gesamten Label-Arbeit bei Springstoff – gemeinsam mit meinem Business-Partner Rainer – haben wir einen Fokus darauf gelegt, Menschen abseits von cis Männlichkeit auf der Bühne zu supporten. Und mit den Männern, mit denen wir arbeiten, über das Thema ins Gespräch zu kommen, um sie zu sensibilisieren. 
Workshops zu „Feministisch feiern“ gebe ich schon seit etwa 7 Jahren immer wieder für unterschiedliche Gruppen. Als Referentin der MaLisa Stiftung beschäftige ich mich nun auch intensiver mit Studien, die mit Zahlen zur Geschlechtergerechtigkeit in der Musik- und Medienbranche zeigen, wie der Status quo zu bewerten ist und wo es weitere Maßnahmen braucht für eine gerechtere Branche. 

Als Organisator*in scheint es ja eher einfach zu sein, ein Festival oder eine Veranstaltung inklusiver, barriereärmer und diverser zu gestalten – ich kann die Menschen einfach dementsprechend aussuchen und buchen. – Oder ist es doch nicht so einfach?

Einerseits ja! Genau so. Dafür muss das Bewusstsein und die Bereitschaft im Booking- und Festivalteam vorhanden sein, dass man das Thema gemeinsam angehen möchte, und dann kann man alles daran setzen, es genau so zu veranstalten. Klingt banal, aber oft ist das schon die erste Hürde. Gerade wenn man in Teams arbeitet, in denen manche so weitermachen möchten wie bisher und andere was verändern möchten. 
Andererseits gibt es noch die Hürden, die durch die Branche allgemein geschaffen werden: Zum Beispiel gibt es die Barriere, dass vor allem Headliner*innen nicht einfach vom Himmel fallen. Gerade die bekannten Bands/Acts/Musiker*innen sind ja genau die, die es durch eine relativ homogene Musikbranche nach oben schaffen, also auch oft eher männlich geprägt sind. Man will ja aber auch genau die Bands und Musiker*innen buchen, die gerade angesagt sind, um das Publikum zu locken und Tickets zu verkaufen. Aber gerade Festivalveranstalter*innen, bei denen die Besucher*innen aufgrund des Festivals sowieso kommen, könnten da mehr wagen und sich ihre Headliner*innen der kommenden Jahre selbst aufbauen, indem sie sie auf eine kleinere Bühne buchen und bei Erfolg im kommenden Jahr auf die große Bühne buchen. 

Und wie kann ich als Besucher*in zu mehr Diversität beitragen? … boykottieren, protestieren …?

Festivals boykottieren, die sich dem Thema gar nicht widmen/deren Line-Up rein weiß-männlich ausfällt. Wenn keine Tickets verkauft werden, ist das Signal an die Veranstaltenden sehr deutlich. Man sollte es aber auch kommunizieren, sonst wissen diese ja gar nicht, warum man nicht kommt. Übrigens haben nicht selten gerade die Festivals, die mehr darauf achten, auch langfristig ein diverses Publikum. Das mit dem Boykott muss aber jede*r für sich selbst abwägen. Wenn ich ausgerechnet das Festival in meinem Ort komplett boykottiere, nehme ich mir ja vielleicht auch vor allem selbst etwas weg. Mir persönlich würde das Festival mit einem solchen Line-Up gar keine Freude bereiten, deshalb würde ich nicht hingehen. Aber ich bin da auch stark sensibilisiert. Was man aber natürlich noch tun kann: Veranstaltende auffordern, andere Bands zu buchen, und dafür gute Vorschläge machen, ist sicherlich auch eine fruchtbare Idee. Bei Festivals mit einem kleinen Team könnte man sich auch mit einbringen und in der Organisation mithelfen, damit das nächste Festival diverser werden kann. 

Was sind denn (drei?) Argumente, um Organisator*innen davon zu überzeugen, nicht nur den üblichen Verdächtigen Auftritte zu verschaffen? 

Festivals wie das Primavera Festival in Spanien zeigen, dass die Ticketverkäufe mit größerer Diversität steigen. 

Studien wie von Keychange zeigen auf, dass gerade junge Konsument*innen darauf achten, wie die Line-Ups der Festivals ausgerichtet sind und entscheiden sich auch gegen Ticketkäufe. 

Die Musikbranche ist oft sehr risikoscheu, was sich zum Beispiel darin widerspiegelt, immer wieder die gleichen Sachen zu buchen. Das Publikum wird dadurch immer älter, der Nachwuchs bricht weg. Hier lohnt es sich, etwas mehr ins Risiko zu gehen und zu schauen, welche Fem* Musiker*innen man denn in diesem Jahr statt den üblichen Verdächtigen buchen könnte. 

Und ganz wichtig natürlich: Wir sind im Jahr 2023! Unsere Gesellschaft ist divers und mehr als die Hälfte aller Menschen sind nicht cis männlich. Die will man auch auf der Bühne erleben. 

Gibt’s Plattformen, wo mensch sich themenbezogen vernetzen kann und Inputs findet?

Für HipHop gibt es z. B. 365femalemcs.com, für Elektro das internationale Netzwerk von Female Pressure. Zum Thema Studien: Für den internationalen Kontext gibt es zum Beispiel Studien der Annenberg Inclusion Initiative, in den USA oder für Deutschland die Studien auf der Seite der MaLisa Stiftung. Außerdem gibt es in Deutschland das Netzwerk Music Women* Germany, europaweit die Aktivitäten von Keychange und verschiedene Kollektive von Techniker*innen und Produzent*innen.  

Foto: Yvonne Labedzki

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